Grundlegendes Umdenken gefragt

Ethisch korrekt leben: Ist das möglich?

Wie weit muss oder sollte sich der Einzelne für das Wohlergehen der Gesellschaft und der Umwelt verantwortlich fühlen? Welche Folgen haben die Dinge, die wir tun? Der britische Journalist Leo Hickman experimentiert mit ethisch korrektem Leben.

Im Jahr 2003 begann der britische Journalist Leo Hickman mit einem - wie er sich damals dachte - ganz einfachem Experiment. Er wollte anhand seines eigenen Lebens nachprüfen, welche Folgen die Dinge haben, die wir normalerweise tun - Essen, Heizen, Autofahren, Gewand kaufen, Kinder groß ziehen und dergleichen mehr.

Ein verantwortungsvolles Leben

Heute, fünf Jahre später, gibt Leo Hickman zu: Als er mit diesem Experiment begann, war er sich keinesfalls dessen bewusst, auf was er sich da eigentlich einließ. "Heute ist mir klar, dass sich die Frage nach einem ethisch korrekten Leben bei allen Dingen stellt, die man tut. Das geht weit über die Ökologie hinaus, das betrifft nicht nur den Umgang mit Menschen, mit denen man in persönlichen Kontakt kommt, sondern eben auch mit Menschen, die tausende Kilometer weit entfernt in einer Fabrik in China arbeiten und den Fernseher oder das T-Shirt herstellen, das ich dann kaufe und trage. Heute ist mir bewusst, um was für ein riesiges Thema es sich beim ethisch korrekten Leben handelt.“

”Fast nackt” lautet der deutsche Titel des Buches, in dem Leo Hickman sein Experiment schildert. Der Klimawandel und die Ausbeutung von Arbeitern und Arbeiterinnen in vielen Teilen der Welt beschäftigen freilich nicht nur Leo Hickman, wie die wachsende Zahl von Büchern und Artikeln belegt, die der Frage nach einem verantwortungsvollen Leben nachgehen.

Stell dir vor, das würden alle tun!

Die entscheidende Frage ist: Wer ist bereit, das eigene Konsumverhalten grundlegend zu ändern? Dahinter steht eine grundsätzliche Überlegung: Wie weit reicht die Verantwortung des Einzelnen für die Gesellschaft, in der er oder sie lebt? Wie weit muss oder sollte sich der Einzelne für das Wohlergehen der Gesellschaft und der Umwelt verantwortlich fühlen?

In einer modernen pluralistischen Gesellschaft gibt es keine eindeutige Antwort auf diese äußerst schwierige Frage, mit der sich sowohl die Angewandte Philosophie wie auch die Rechtsphilosophie beschäftigen. Von großer Bedeutung ist der deutsche Philosoph Immanuel Kant und der von ihm formulierte kategorische Imperativ, der da lautet: Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. Das heißt: Will man beurteilen, ob eine Handlung ethisch richtig ist, dann braucht man sie nur in eine allgemeine Regel zu verwandeln und sich überlegen, ob man deren Anwendung wirklich wollen würde. Banal ausgedrückt: Stell dir vor, das würden alle tun! Oder: Stell dir vor, das würden andere dir gegenüber tun!

"Lifestyles of Health and Sustainability"

Sollen die Menschenrechte und ebenso der Schutz der Umwelt und Nachhaltigkeit in vollem Umfang verwirklicht werden, so sind alle gefordert - der einzelne Bürger, die Zivilgesellschaft, Unternehmen, die Regierungen und überstaatliche Organisationen.

Im Englischen gibt es bereits einen eigenen Begriff zur Beschreibung von Menschen, die sich um ein ethisch korrektes Leben bemühen. LOHAS werden sie genannt - Menschen die "Lifestyles of Health and Sustainability" pflegen, also mit einem Lebensstil der Gesundheit und Nachhaltigkeit.

Ein weltanschaulicher Gangwechsel

"Es geht hier nicht nur um eine, sonder gleich um zwei Ebenen“, sagt Leo Hickman: Es geht um einen mentalen und weltanschaulichen Gangwechsel, also ein grundlegendes Umdenken, und dann um die praktische Umsetzung."

Das durchzuhalten, ist nicht immer leicht, weiß Leo Hickman. Manchmal will man entspannen, ein anderes Mal hat man Gewissensbisse, weil man mehr tun könnte und sollte. Dennoch resümiert Hickman: "Jedem, dem der Gedanke daran Angst macht, jedem, der meint, dass das viel Zeit und Geld kostet, kann ich nur raten: Versuchen Sie es einfach einmal. Und Sie werden staunen, wie zufriedenstellend es sein kann. Es tut dem eigenen Zugang zum Leben wirklich gut. Ich habe dank dieses Experiments gelernt, ganz anders über die Welt nachzudenken.“

Hör-Tipp
Dimensionen, MIttwoch, 30. Juli 2008, 19:05 Uhr

Buch-Tipps
Leo Hickman, "Fast nackt: Mein abenteuerlicher Versuch, ethisch korrekt zu leben", aus dem Englischen übersetzt von Theda Krohm-Linke, Pieper 2008

Herlinde Pauer-Studer, "Einführung in die Ethik", UTB 2003