Der Humor des Yan Lianke

Dürfen Chinesen Satire lesen?

Das hat man nun davon, wenn man einen Autor auszeichnet! Zwei der höchstrangigen chinesischen Literaturpreise wurden Yan Lianke verliehen, und wie dankt er es? Er macht sich über Mao und dessen Devise "Dem Volke dienen" lustig. Das darf nicht sein!

Die Tage von Mao sind eigentlich schon lange vorbei, niemand verlangt mehr von den Künstlern, das Loblied der Partei und ihrer weisen Funktionäre zu singen, und dennoch, trotz aller Reformen ist Mao unantastbar. Und so war man in den oberen Etagen der Hierarchie wie vor den Kopf geschlagen, als ein Roman erschien, der sich in unangebrachter Weise nicht nur über das revolutionäre Empfinden eines einfachen Soldaten, sowie die politische Erziehung des Volkes lustig machte, sondern auch die Vorgesetzten dieses Soldaten in einem Licht zeigte, das dekadent zu nennen ebenfalls schon zensurverdächtig zu nennen wäre!

Vorbei an der Zensur

Und so erschien, kaum dass "Dem Volke dienen" von Yan Lianke veröffentlicht war, folgende eilige Mitteilung an alle Verlage, Zeitungen und Zeitschriften: "Yan Liankes Roman 'Dem Volke dienen', erschienen 2005 in der ersten Ausgabe der Zeitschrift 'Hua Cheng', beinhaltet vulgäre und obszöne Darstellungen, sowie schwerwiegende gedankliche Irrtümer, außerdem wird das ehrwürdige Gebot 'Dem Volke dienen!' verachtet und verunglimpft. Dieses Werk darf in keiner Form nachgedruckt oder verbreitet werden - weder in der Presse (auch nicht in Auszügen) noch als Buch, als audi-visuelle CD oder im Internet."

Aber der Schaden war schon angerichtet: Bis die Zentrale bemerkte, dass es eine neue Literaturzeitschrift gab, und was sie verbreitete, waren schon 30.000 Exemplare verkauft, der Erfolg des Werkes nicht mehr zu stoppen. Klar, dass die "einfachen chinesischen Leser" den respektlosen Umgang mit den alten Parolen, den Maximen, den Gegebenheiten genossen. Noch dazu, wo die Story sehr deftig wird - sexbesessene Chefin nötigt naiven Soldaten zur lustvollen Aktion.

"Unliebsame" Romane

Dabei hätte man es wissen können. Dieser Yan Lianke ist ein aufrührerischer Geist. Schon sein erster Roman "Xia Riluo" wurde 1994 gleich nach seinem Erscheinen verboten, erzählt er doch die Geschichte von zwei Helden der Volksbefreiungsarmee, die komplett durchdrehen. Ob Yan Lianke diese beiden nach der Realität gezeichnet hat? Immerhin war er damals bei der Volksbefreiungsarmee als Propagandaschreiber angestellt! Zehn Jahre später wurde er gefeuert - er hatte nämlich schon wieder einen unliebsamen Roman veröffentlicht. In "Enjoyment" versuchen zwei Provinz-Offiziere, den Tourismus in ihrer Heimat anzukurbeln. Sie versuchen, den Russen Lenins Leichnam abzukaufen und ihn in ihrem Provinznest auszustellen. Für diese burleske Geschichte erhielt Yan Lianke einen der beiden hochrangigen Literaturpreise, de Lao-She-Award.

"Doch, ich überlege mir sehr gut, was ich noch schreiben darf und was ich lieber weglassen sollte", sagte Yan Lianke in einem Interview. Vielleicht lässt er zu wenig weg? Oder findet er immer die falschen Themen?

Konkurrenz für den Staat
Noch im selben Jahr 2005 erschien ein neuer Roman, "Der Traum des Dorfes Ding", der ebenfalls die Gemüter erregte. Vielleicht ist es zu wirklichkeitsnah? Es geht um das Dorf Ding, dessen Bewohner gerne am allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben möchten. Was in früheren Zeiten nie möglich gewesen wäre - einer staatlichen Stelle Konkurrenz zu machen -, das geht im Neuen China. Und so gründen im Dorf Ding einige Dörfler kleine Blutbanken, die sich gegenseitig im Preis für eine Flasche Blut überbieten und so aus dem Feld räumen. Aber die Händler sind nicht die einzigen Verlierer, denn die Verkäufer müssen einige Jahre später feststellen, dass sie alle mit Aids infiziert sind.

Chinas Leser brauchen starke Nerven und keine Zensoren!

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Yan Lianke, "Dem Volke dienen", Ullstein Verlag

Washington Post - Yan Lianke