Digitale Gemeinschaft hilft
Mehr Freiheit dank Blogs und Wikis
China ist nicht nur das Land mit dem derzeit schnellsten Zuwachs bei der Nutzung des Internet, sondern auch jenes mit der strengsten Internet-Zensur. Trotzdem finden die chinesischen User immer wieder Löcher in der "Great Firewall".
8. April 2017, 21:58
Ein chinesisches Projekt hat heuer die Goldene Nica beim Prix Ars Electronica in der Kategorie Digital Communities erhalten. Das Projekt nennt sich "One Kilogramm more" und möchte den mehr als 400.000 Grundschulen und Mittelschulen in den ländlichen Regionen Chinas helfen, die an notorischem Mangel an Personal, Büchern und Unterrichtsmaterialien leiden.
Das Projekt "1kg.org" fordert Reisende in China dazu auf, ihrem Gepäck noch ein weiteres Kilo - nämlich dringend benötigtes Schulmaterial - hinzuzufügen und dieses bei einer Schule, die am Weg liegt, abzuliefern.
Die Plattform wurde binnen kürzester Zeit eine der am schnellsten wachsenden und bestvernetzten NGOs in China. Es war aber nicht die einzige Einreichung in der Kategorie Digital Communities, denn das Internet hilft auch in China mehr und mehr, Menschen zu vernetzen und ihnen eine Stimme zu verleihen.
Bloggen für die Meinungsfreiheit
Isaac Mao, einer der Pioniere der Blogger-Szene in China, war heuer Mitglied der Prix-Jury für Digital Communities. Er sagt, das Internet und vor allem das sogenannte Web 2.0 spiele für die chinesische Bevölkerung eine bedeutende Rolle: "Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir in China Internet haben wegen der autoritären Tradition in diesem Land. Vor dem Internet gab es keine anderen Möglichkeiten für die Menschen, sich auszudrücken. Vor etwa sechs Jahren haben wir festgestellt, dass es viele neue Werkzeuge gibt, mithilfe derer die Menschen online ihre Meinung freier äußern können. Das sind zum Beispiel Blogs, Wikis oder Instant Messanger Systeme. Damit erhalten die Leute quasi einen Ort, an dem sie sich unterhalten können, und gleichzeitig können sie sehr leicht den Ort wechseln, um der Zensur und Überwachung zu entgehen."
Isaac Mao hat in Shanghai Computerwissenschaften studiert. Er forscht im Bereich soziale Lern-Technologien, schreibt Software und organisiert Finanzierungen für Web 2.0-Start-Ups. Er ist auch einer der ersten Blogger in China und Mitbegründer von CNBlog.org.
Im Jahr 2005, als gerade einmal zwischen 10 und 15 Prozent der Chinesen das Internet nutzten, hat er die erste Blogger-Konferenz in Shanghai organisiert und eine Bewegung gestartet, die chinesische Blogs auf Server in anderen Ländern auslagert.
Schlupflöcher in der Great Firewall
Ausländische Server sind auch eine Möglichkeit, um bei der Suche nach Informationen anonym bleiben zu können und damit der strengen Überwachung und Zensur in China zu entgehen.
Isaac Mao beschreibt ein Projekt, das dabei hilft: "Es gibt zum Beispiel Leute, die Server außerhalb von China verwenden. Wenn jetzt jemand in China auf ausländische Inhalte zugreifen möchte, die in China geblockt werden, dann können sie die Anfrage an diese Server schicken, und diese Server schicken nicht die Website, sondern ein Bild der Website zurück. Denn die elektronische Zensur kann auf einem Bild keine Inhalte finden! Wir haben aber auch viele andere Lösungen, aus denen man auswählen kann. Zum Beispiel bin ich jetzt Vorstandsmitglied eines Tor-Netzwerks. Das ist eine Technologie zur Anonymisierung von Verbindungsdaten. Der Nutzer kann damit einen Tunnel formen, mit dem er auf eine Website zugreifen kann, ohne überwacht oder geblockt zu werden. Die Leute in China wissen immer mehr über diese Technologien. Früher, wenn sie eine Website nicht erreichen konnten, haben sie gedacht, der Server ist down."
Mut zur Selbsthilfe
Umso mehr die Menschen in China lernen würden, ihre Meinung zu äußern und ihre Gedanken auszudrücken, umso mehr könnten sie auch mit Menschen aus aller Welt in Kontakt treten und sich austauschen, betont Isaac Mao.
Immer mehr Menschen würden dafür auch Fremdsprachen lernen - zumeist im Selbststudium. Über ein Wiki namens Yeeyan beliefern sie einander sogar mit ausländischen Zeitungsartikeln, die sie selbst übersetzen und anderen, die keine Fremdsprachen verstehen, zur Verfügung stellen.
Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 3. August 2008, 22:30 Uhr
Links
Prix Ars Electronica 2008
Projekt "1kg more"
Isaac Mao
Yeeyan