Marktstände in Juchitán

AFP/FRANCISCO RAMOS

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Mexikos Matriachat - die Frauen von Juchitan

Die neoliberale Globalisierung scheint die ganze Welt in ihr Netz der ökonomischen Profitmaximierung und der kulturellen Gleichschaltung eingefangen zu haben. Doch es gibt Ausnahmen, matriarchale Inseln mit einer anderen Form der Wirtschaft, wo es sich ganz gut lebt.

Im Süden Mexikos, in einer häufig von Windböen gepeitschten, heißen Gegend in unmittelbarer Nähe des Pazifiks, liegt Juchitán, eine Kleinstadt von knapp 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Trotz ihrer äußeren Reizlosigkeit ist die Stadt weltweit bekannt, sind über sie Bücher geschrieben und Filme gedreht worden: Juchitán ist eine der wenigen überlebenden Inseln mit matriarchalen Strukturen, in der die Frauen zwar nicht die "Herrschaft" ausüben, doch über ihre traditionelle Rolle und ihre dominierende Stellung in der Wirtschaft den Ton angeben.

Frauen-Wirtschaft

Zentrales Element der Stadt ist der große Markt, der ausschließlich in der Hand der Frauen liegt. Hier wird gehandelt, gekauft und verkauft, getauscht. Die Männer kommen hierher und kaufen eine Schüssel Essen, die sie nach Hause mitnehmen. Oder in die Arbeit, falls sie eine haben; wenn, dann sind sie in der Landwirtschaft, dem Fischfang, der Viehzucht, im öffentlichen Dienst oder in der Industrie tätig.

Trotz der Dominanz der traditionellen, von den Frauen geprägten Wirtschaft ist Juchitán keine "Insel der Seligen", bleibt nicht unberührt von den Außeneinflüssen. Die Politik liegt in der Hand der Männer - die Frauen interessieren sich nicht dafür, da sie bis jetzt immer erreichten, was sie wollten, doch die männlichen Kommunalpolitiker wollen Juchitán Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze bringen. Zwei Mal haben sie schon Konzessionen an Supermärkte erteilt. Der erste zog nach einem Brandanschlag wieder ab. 2005 errichtete der US-Konzern WalMart eine Filiale in Juchitán, aber wegen der schlechten Auslastung spielt auch er mit dem Gedanken, sich zurückzuziehen.

Die Stadt der Feste

Die Marktwirtschaft der Frauen von Juchitán ist auch der Motor für zahlreiche andere Wirtschaftszweige. Juchitán ist auch die Stadt der Feste. Jede Nacht gibt es mehrere Feste im öffentlichen Raum, für die ein Straßenzug abgesperrt, ein Platz besetzt wird. Feste zu Ehren von Heiligen, zu Geburtstagen, Hochzeiten, von Berufsständen, Nachbarschaftsfeste undsoweiter, an denen Hunderte Menschen teilnehmen.

Die organisierenden Frauen kaufen die gastronomischen Bestandteile für die Feste auf dem Markt ein. Und zum Fest legen die Frauen ihre prachtvoll und aufwändig bestickten bunten Kleider an und schmücken sich. Wohl in keiner Stadt der Welt gibt es - prozentuell zur Einwohnerzahl - so viele Schönheitssalons. Es gibt zahlreiche Friseurläden und Bekleidungsgeschäfte, Spezialgeschäfte für Kosmetik und Wimpern - und sogar für den Polterabend der Frauen.

Die vier Geschlechter

Ein weiteres Merkmal dieser Stadt ist ihr offener Umgang mit Geschlechterrollen. Es gibt hier auch die Musche, Menschen, die als Mann geboren werden, jedoch - meist schon in früher Jugend - bemerken, dass sie sich eigentlich als Frau fühlen. Und als solche leben sie auch, arbeiten in Frauenberufen, schmücken sich bei den Festen mit Frauenkleidern. Daneben gibt es auch noch, allerdings weniger sichtbar und weniger häufig, die Marimacha, das "vierte Geschlecht": Frauen, die sich als Männer fühlen und auch als solche leben.

Das Phänomen der Musche geht zurück auf die vorkoloniale Zeit. Es hat viel zu tun mit der Identifikation der Kinder mit der Mutter; es konnte nur durch die traditionelle Stärke und Autorität der Frauen entstehen. Wenn die Hebamme bei der Geburt verkündet: "Es ist ein Mädchen!", löst das ein Freudengeschrei aus. Diese bevorzugte Stellung der Frauen wird unbewusst wohl eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung des "dritten Geschlechts" gespielt haben.

Hör-Tipp
Journal Panorama, Montag, 4. August 2008, 18:20 Uhr

Buch-Tipps
Veronika Bennholdt-Thomsen, "Frauen Wirtschaft. Juchitán, Mexikos Stadt der Frauen", Frederking & Thaler

Film-Tipp
Carmen Butta, "Die mächtigen Frauen von Juchitán", Deutschland 1999, 52 min.

CD-Tipps
Martha Toledo, T"eca Huiini", CDAMI-64, Alfa Records

Lila Downs, "La Sandunga"

Mario López, "Boleros del Istmo", Discos Pentagrama