Zu viel Weihe im Bühnenweihfestspiel
Bayreuth im Umbruchsjahr 2008
Bayreuth 2008: Avantgarde bei den Inszenierungen, Einheitsbrei bei den Sängerbesetzungen. Daniele Gatti enttäuscht, Christian Thielemann triumphiert bei den Dirigenten, und Katharina Wagner ist schon jetzt allgegenwärtig.
8. April 2017, 21:58
Sommer 2008: eine Zwischen-Zeit bei den Bayreuther Festspielen. Festspielchef Wolfgang Wagner, demnächst 89, tritt kaum mehr in Erscheinung, würde der Öffentlichkeit aber geboten, was sie sich erwartet, müsste Katharina Wagner, die Tochter und, wie es aussieht, künftige Co-Leiterin der Richard Wagner-Festspiele, noch viel präsenter sein als sie es ohnehin schon ist.
Öffnung wird mit Public Viewing suggeriert: eine Festspielaufführung für alle, entgeltlich (mit technischen Problemen) im Internet mitzuerleben, gratis im Freien in Bayreuth auf einer Riesenleinwand. Und da Daniele Gatti bei der von ihm dirigierten Neuproduktion und Festival-Eröffnungspremiere von 2008, "Parsifal", die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt hat, blieb der "Ring des Nibelungen" unter Christian Thielemann der musikalische Höhepunkt der Festspiele.
Daniele Gattis "Parsifal" enttäuschte
Mit großer Neugier und Bereitwilligkeit am "Grünen Hügel" erwartet, zelebrierte Bayreuth-Debütant Gatti einen "Parsifal" der breitesten Tempi - im Vergleich war Pierre Boulez bei der vorangegangenen Christoph-Schlingensief-Inszenierung rasant durch das Stück gestürmt. Wo blieb die Intensität, die man von Daniele Gatti sonst gewohnt ist? Diesmal war es einfach nur langsam, und dabei nicht einfach zum Mithalten für die Sänger.
Am ehesten noch den Atem für Gattis extreme "Parsifal"-Tempi hatte der Gurnemanz, Kwangchul Youn. Amfortas Detlef Roth und Parsifal Christopher Ventris erlebte man unter ihrer üblichen Form, Kundry Mihoko Fujimura kam in ärgere Nöte und wurde am Ende ausgebuht, so wie auch Gatti selbst. Was nützt das schönste Konzept - "Parsifal" ganz auf den intimen Ton herunterzutrimmen, alle Kammersänger-Töne zu verbannen -, wenn die Sängerinnen und Sänger es nicht mittragen können?
Stefan Herheim inszeniert
In den "Parsifal"-Rezensionen fand sich das Musikalische aber ohnehin meist nur nebenbei erwähnt: So viel gab es zu sehen in der Regie von Stefan Herheim! Herheim inszeniert - erwartungsgemäß - nicht die Opernführer-Handlung des "Parsifal", sondern dessen Rezeptionsgeschichte, und dazu gleich noch 125 Jahre deutsche Vergangenheit.
Gralsritter im deutschen Kaiserreich, mit schwarzen Schwanenflügeln und durchmischt mit weiblichem Personal im 1. Akt, flatternde Hakenkreuzfahnen im 2.: Herheim holt aus. Parsifal selbst tritt an, den NS Spuk untergehen zu lassen - und Klingsor gleich mit, den geflügelten Transvestiten, dessen Maske an Siegfried Wagner erinnert, den Festspielchef der Zwischenkriegszeit. Zum Karfreitagszauber, den Trümmerfrauen sei Dank, steigt auch Bayreuth aus den Weltkriegs-Ruinen, und am Ende steht ein Familienfoto-Arrangement mit Gurnemanz, Kundry und Klein-Parsifal.
Wo bleiben die unverwechselbaren Sängerbesetzungen?
Dieses Spielen mit der Wahnfried- und Festspielhaus-Geschichte greift raffinierter auf, was im Vorjahr Katharina Wagner in ihrer Bayreuth-Debütinszenierung der "Meistersinger von Nürnberg" schon angestoßen hat: runter mit den Werken vom Ehrfurchts-Podest, aber auch: zeigen, wie eine Kunst-Religion zustande kommt.
Mit "Tristan und Isolde" und dem "Ring" gehörten die "Meistersinger" zu den Bayreuth-Reprisen von 2008, in teils schmerzlichen Sänger-Besetzungen, bei denen sich die Frage stellt: Wieso passieren solche Fehlentscheidungen bei den Richard-Wagner-Festspielen immer wieder, regelmäßig? Das Engagement von Sängerinnen und Sängern, so nondeskript und stimmlich mittelprächtig, dass es schon wieder wehtut? Doch hoffentlich nicht: Weil es überall sonst auch passiert? Sollte Bayreuth nicht anders sein?
Wenn, wie in jahrelanger genialer Taktik, so genial wie kaum etwas, was zuletzt bei den Festspielen sonst zu erleben war, Wolfgang Wagner es geschafft hat, ab demnächst Katharina Wagner als eine der Festival-Leiterinnen zu etablieren, wird der anderen am Tandem, Eva Wagner-Pasquier, erstes die Aufgabe zufallen, für Besetzungen zu sorgen, die den Stempel "Bayreuth" tragen, nicht abgekupfert sind, und trotzdem nicht nur aus "Systemerhaltern" bestehen - wenn das alles zusammen überhaupt möglich ist.
Qualitätsgarant Christian Thielemann
Wer immer in Bayreuth nach dem Ende der Festspiele 2008 wirklich ans Ruder kommt, wird sich jedenfalls der Mitarbeit von Christian Thielemann versichern. Für deutsche Kritiker ist der Dirigent schon heute der legitime Furtwängler- und Knappertsbusch-Nachfolger, einer, der sich mit der Musik "spielt" und den theatralisch in der Regie von Tankred Dorst weiterhin untergiebigen "Ring des Nibelungen" mit dem plötzlich um eine Kategorie besser klingenden Festspielorchester zum musikalischen Ereignis macht.
"Wenn man die Augen schließt", war zu lesen, "bekommt man ein Gefühl von dem Unendlichkeitsanspruch dieser Musik": Ein Gegengift zu allem, was auf der Bühne des Festspielhauses an allzu "Heutigem" passiert?
Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 14. August 2008, 15:06 Uhr
Link
Bayreuther Festspiele