Gibt es die?

Weidgerechtigkeit

Kann man etwas Unmoralisches anständig ausführen? Haben die Jagdgegner denn noch nichts von "Weidgerechtigkeit" gehört? Dem Begriff der Weidgerechtigkeit, also dem "anständigen Jagen", hat der Jäger Bernd Balke nun ein Buch gewidmet.

"Weidgerechtigkeit nennt man einen gewissen Kanon an Normen und Regeln, die für jeden verantwortlichen Jäger oder Angler gelten sollten. Dies umfasst unter anderem die Hege des Wildes oder der Fischbestände und den Verzicht auf bestimmte, als grausam geltende Jagd- bzw. Angelmethoden". Soweit eine Definition des Internet-Lexikons Wikipedia.

"Weidgerecht jagen heißt anständig jagen". Dieser Satz ist im Denken eines Jagdgegners paradox. Für den Jagdgegner gibt es den Begriff "weidgerecht" nicht. Jegliches Bemühen um das Wort wäre für ihn sinnlose Kraftverschwendung. Der Jagdgegner würde argumentieren, die Jagd sei grundsätzlich unmoralisch. Und etwas Unmoralisches könne nicht anständig ausgeführt werden!

Zwischen Jägern und Jagdgegnern

Der Jäger und Buchautor Bernd Balke wollte es genau wissen. Begonnen hatte es für den Arzt und Vater von vier Kindern mit seinen eigenen Zweifeln, da er "immer zwischen Jägern und Jagdgegnern aufgewachsen" ist.

Gesetzliche Regelungen zur Weidgerechtigkeit gibt es nur in Deutschland und Österreich. Der Begriff der Weidgerechtigkeit ist aber nicht nur mit Tierschutz- und Ökologie-Aspekten, sondern auch mit dem Brauchtum der jeweiligen Region eng verknüpft. Bernd Balke ging es für sein Buch allerdings weniger um rechtliche oder volkskundliche Themen, sondern um eine kulturgeschichtliche Definition des Begriffs der Weidgerechtigkeit:

Ich behaupte, dass das, was wir unter weidgerechtem Verhalten verstehen, kein willkürliches Sammelsurium von Verhaltensweisen ist. Es geht mir in diesem Buch nicht darum, zu beschreiben, welches Verhalten weidgerecht ist. Ich möchte wissen, wodurch das Weidgerechte weidgerecht ist.

Zu diesem Zweck ist der Autor weit in Geschichte und Literatur zurückgegangen. Seneca, Spinoza, Thomas von Aquin, Friedrich Nietzsche, Arthur Schopenhauer, Rainer Maria Rilke, José Ortega y Gasset, Gotthold Ephraim Lessing, Sören Kierkegaard und viele andere sind die von ihm zitierten Gewährsleute zu Fragen des Mitleids, der Menschlichkeit, der Macht, der Herrschaft oder des Gewissens.

Mitleid ist menschlich

"Auf meiner Suche ob es anständig und legitim ist überhaupt zu jagen, habe ich für mich die Antwort gefunden." Die Antwort, so viel sei verraten, ist für den Autor selbst positiv ausgefallen, denn Bernd Balke ist nach wie vor Jäger. Interessant ist sein Weg zu dieser Antwort. Denn dieser Weg, für den Interessierten im Buch nachvollziehbar, erlaubt es dem Leser oder der Leserin auch, zu ganz anderen Ergebnissen als der Autor zu kommen.

Der Mensch ist das mitleidende Wesen. Nur in ihm kann sich alles Leid der Erde versammeln. Das Mitleid ist die emotionale Ausrüstung desjenigen, der für die Sorge um die Welt berufen ist. Gerade weil wir hinüberfühlen in die Leben unserer Umwelt haben wir eine Umwelt, und nicht nur eine Welt wie die Tiere. Das Mitleid kettet uns fest an unseren Auftrag. Es ist ein Indiz für unsere Pflicht zur Fürsorge, das keines intellektuellen Auftrags bedarf. Ist es aber nicht genau dieses Mitleid, das zur Jagdgegnerschaft motiviert? Muss man nicht aus Mitleid zum Jagdgegner werden?

Man lässt töten

Bernd Balke hat für sein facettenreiches Für und Wider die verschiedensten Textarten zusammengetragen: In dem kompakten kleinen Büchlein findet man Zitate sowohl aus Gesetzestexten als auch aus Gedichten, sowohl aus Romanen als auch aus philosophischen Abhandlungen. Die von Bernd Balke zitierten Autoren werden nicht zur Untermauerung einer bereits vorgefassten Meinung herangezogen, sondern in weiten Kreisen von jeder Seite her befragt. Wobei die direkte Frage nach der Weidgerechtigkeit von Bernd Balke sehr oft ersetzt werden musste durch Fragen nach dem Mitgefühl, dem Tötungsrecht, dem Hunger oder der Solidarität mit den Mitgeschöpfen. Denn den Begriff der "Weidgerechtigkeit" gibt es erst, seit die eigenhändige Jagd für den einzelnen Menschen nicht mehr überlebensnotwendig ist.

Die "Anderen", die das Jagen erledigen, das sind in unserer arbeitsteiligen Gesellschaft Bauern oder Fleischer, oder eben auch Jäger. Wobei das Töten eines eigens für den Fleischkonsum gezüchteten Tieres von Jagdgegnern paradoxerweise häufig als ein vergleichsweise lässlicher Sündenfall angesehen wird, trotz der oft wenig tiergerechten Bedingungen dieser Aufzucht. Die Lust an der Jagd ist es, was vielen Jagdgegnern missfällt. Der Autor tischt uns hier keines der oft gehörten und zum Teil nicht ganz ehrlichen Argumente für die Jagd auf, als da sind: die Notwendigkeit, den Wald gegen Wildverbiss zu schützen oder die angeblich edle Aufgabe, die Natur bei ihrer natürlichen Auslese zu unterstützen, sondern er nennt die Dinge beim Namen.

Fragen der Maßhaltigkeit und Verantwortung

Das Töten als Voraussetzung fürs Haben ist für Bernd Balke keine Perversion, als die es oft dargestellt wird, sondern ein Vorgang, der zum Menschsein gehört. Die Frage, so der Autor, sei nur das Wie, und nicht das Ob.

Bernd Balkes Argumentation als Immer-Noch-Jäger zielt darauf ab, den Lustgewinn bei der Jagd nicht abzukoppeln von Fragen der Maßhaltigkeit oder der Verantwortung. Reine Trophäenjagd ist ebenso wenig weidgerecht wie die Vergeudung von Fleisch oder das Töten von Muttertieren. Und zwar nicht in erster Linie deshalb, weil es in irgendwelchen Jagdgesetzen steht, sondern weil es menschlich ist. Wenn aber "weidgerecht" menschlich heißt, so die Argumentationslinie, dann wäre der völlige Verzicht auf die Jagd undweidgerecht.

Wertvolle Diskussionshilfe

Von Jagdgegnern wird Bernd Balke oft mit dem scheinbaren Widerspruch zwischen seinem Beruf als Arzt und seiner Leidenschaft für die Jagd konfrontiert. Wer er an das Tier menschliche Maßstäbe anlegt, so Bernd Balke, sei ebenso in Gefahr, die natürlichen Zusammenhänge aus den Augen zu verlieren, wie der unweidgerechte Jäger, der das Tier und seine Leidensfähigkeit nicht achtet. Die Jagd, so der Autor, mag zwar nicht jedermanns Sache sein, aber für den, der sie weidgerecht ausübt, führe sie zu einer Rückbesinnung auf unser Menschsein.

Das Buch ist für alle Leserinnen und Leser geeignet, die sich scheuklappenfrei mit einem kontroversiell diskutierten Thema auseinandersetzen wollen. Die argumentative Transparenz und der kulturhistorische Kontext, in den der Autor dieses Thema setzt, macht das Buch zu einer wertvollen Diskussionshilfe nicht nur für Jäger, sondern auch für Jagdgegner.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Bernd Balke, "Weidgerechtigkeit", Österreichischer Jagd- und Fischereiverlag