Diplomatische Mission in der Steiermark
Der Schubert-Entdecker Johann Herbeck
Franz Schubert hat keines seiner symphonischen Meisterwerke je gehört. Nur die Lieder haben die Zeitgenossen anerkannt. Den gewichtigen Rest zu entdecken blieb der Nachwelt vorbehalten. Johann Herbeck hat sich dabei besondere Verdienste erworben.
8. April 2017, 21:58
Johann Ritter von Herbeck, Wiener Hofoperndirektor und Komponist, hat sich als Leiter des Singvereins und der Konzerte der Gesellschaft der Musikfreunde besondere Verdienste um das Oeuvre Franz Schuberts erworben: Er hat die "Unvollendete" aufgefunden und uraufgeführt - allerdings erst mehr als vier Jahrzehnte nach ihrer Entstehung.
Die vollendete "Unvollendete"
Also eine lange Geschichte: Im Herbst 1822 hat Schubert die ersten Takte zu Papier gebracht. Als seine Klavierskizzen bis zum Trio des dritten Satzes gediehen waren, brach er ab. Am 30. Oktober fing er an, den ersten und zweiten Satz zu instrumentieren. Der zweite Satz schließt auf einer rechten Seite. Er blätterte um und schrieb auf der Rückseite die ersten neun Takte des dritten Satzes und auf der folgenden (wiederum einer rechten) Seite weitere elf Takte, die er allerdings nicht voll instrumentierte. Hier endet die Partitur.
Schubert legte sie beiseite, komponierte anderes, versprach aber kurz darauf dem Steiermärkischen Musikverein, zum Dank für die verliehene Ehrenmitgliedschaft, ehestens eine seiner "Sinfonien in Partitur zu überreichen".
Brief an Herbeck
Fast vierzig Jahre später erhielt Johann Herbeck, der Leiter der Gesellschaftskonzerte des Wiener Musikvereins, einen Brief von Josef Hüttenbrenner, der ihn darauf aufmerksam machte, dass sein Bruder Anselm, einst Direktor des Steiermärkischen Musikvereins, die Noten einer unbekannten Schubert-Symphonie in seinem Besitz habe.
Herbeck wurde hellhörig. Da gab es ein Werk zu entdecken, das Schuberts Bedeutung als Symphoniker unterstreichen würde - für einen Schubert-Verehrer wie Herbeck ein Problem von brennendem Interesse. Ein Problem deshalb, weil er sich kaum erklären konnte, warum ein Freund Schuberts das Manuskript jahrzehntelang verborgen hielt. Es konnte Neid auf den Erfolgreicheren sein, Sammlerstolz oder einfach Nachlässigkeit. Also fuhr er in die Steirermark. Sein Sohn hat uns einen Bericht von Herbecks diplomatischer Mission überliefert.
Ein sorgfältiger Plan
"Ich bin gekommen", sagte Herbeck zu Hüttenbrenner, "um mir von Ihnen die Erlaubnis zu erbitten, eines Ihrer Werke in Wien zur Aufführung zu bringen." Es scheint, dass das Wort Wien auf den alten Mann wie ein elektrischer Schlag gewirkt hat. So ängstlich er sonst seine Manuskripte hütete, so sehr entzückte ihn die Aussicht, eine seiner musikalischen Schöpfungen in Wien zur Geltung gebracht zu wissen.
Unter Hüttenbrenners Arbeiten konnte Herbeck lange nichts Passendes finden, bis er endlich auf eine Ouvertüre in C stieß. Erst jetzt konnte Herbeck an die Erfüllung seiner eigentlichen Mission gehen. "Es ist meine Absicht", begann er, "die drei Zeitgenossen Schubert, Hüttenbrenner und Lachner dem Wiener Publikum in einem Konzerte vorzuführen. Natürlich wäre mir sehr daran gelegen, auch Schubert mit einer Novität vertreten zu sehen."
"Ja von Schubert", antwortete Hüttenbrenner, den Herbeck nun schon gänzlich für sich gewonnen hatte, "von Schubert habe ich noch eine Menge Sachen." Dabei ging der alte Herr auf einen altmodischen Kasten zu, aus dem er eine mit Papier voll gepfropfte Lade hervorzog. Herbecks erster Blick fiel auf Schuberts Handschrift. "Symphonie in h-Moll" stand auf dem Umschlag. Es war das gesuchte Werk.
"Das wäre gleich etwas Geeignetes", äußerte Herbeck nach vollendeter Durchsicht. "Erlauben Sie, dass ich das Manuskript auf meine Kosten sofort abschreiben lasse?' - "Es hat keine Eile damit", antwortete Hüttenbrenner, "Sie können es ruhig mitnehmen". Herbeck, überglücklich durch den Besitz des kostbaren Werkes, kehrte mit den beiden Manuskripten am 3. Mai nach Wien zurück.
Uraufführung in Wien
Am 17. Dezember 1865 fand die Uraufführung in Wien statt. Mit riesigem Erfolg. Doch Herbeck wagte damals nicht, mit dem langsamen Satz zu schließen und fügte das - von ihm - bereits fünf Jahre zuvor "ausprobierte" Finale von Schuberts dritter Sinfonie in D-Dur an.
Hör-Tipp
Musikgalerie, Montag, 18. August 2008, 10:05 Uhr