Das Multitalent Paula Köhlmeier

Nicht Los Angeles sein

Paula Köhlmeier, 2003 mit 21 Jahren verstorben, porträtierte in ihren Werken in knappen, präzisen und beinah filmischen Sequenzen Menschen ihrer Generation. Sie war ein Multitalent und am liebsten hätte sie alles gemacht: schreiben, filmen, schauspielen.

Es war im Spätsommer 2003. Paula Köhlmeier, 21 Jahre alt, Studentin an der Wiener Filmakademie und Tochter des Schriftstellerehepaares Monika Helfer und Michael Köhlmeier, kommt ins heimatliche Hohenems, weil sie vom ORF Vorarlberg eingeladen wurde, ein Jahr hindurch jede Woche eine Geschichte zu erzählen. Paula Köhlmeier hat diese Geschichten im Gepäck.

"Wann ist man eine Schriftstellerin?", fragt sie ihre Eltern und gibt sich selbst die Antwort: "Wenn man davon leben kann." Ganz so weit ist es noch nicht. Aber 2002 hatte sie unter dem Pseudonym Fabienne Purtscher das Stipendium des Landes Vorarlberg für Literatur gewonnen. Ein Roman, der die geschlossene Form fragmentarisch und genialisch unterläuft, ist so gut wie abgeschlossen. Er hätte "Die Heldin in der ketchupfarbenen Blutlache" heißen sollen.

Ein fertiges Skript wartet darauf, verfilmt zu werden: "Von Menschen, die sich fressen oder All you can eat". Paula, sagen ihre Eltern, war überzeugt davon, dass sie schon bald vom Schreiben würde leben können.

Suche nach Trost

Am 21. August steigt sie - wie so oft - gemeinsam mit einer Freundin auf den Schlossberg. Es ist ein schöner Tag, sie ziehen sich die Schuhe aus und gehen über den Bergkamm. Beide stürzen ab. Die Freundin kommt mit ein paar Kratzern davon, Paula stirbt am nächsten Tag im Krankenhaus.

Als 2005 der von Monika Helfer und Michael Köhlmeier herausgegebene Band mit den nachgelassenen Texten der Tochter unter dem Titel "Maramba" erscheint, suchen begeisterte Rezensenten nach Trost. Passt die tragische Geschichte der Autorin nicht auf frappierende Weise zu den Geschichten, die sie erzählt hat? Es passt aber überhaupt nichts, wenn ein junger Mensch voll Plänen und Projekten im Kopf ums Leben kommt.

Schreiben als Existenzform

Paula Köhlmeier war ein Multitalent. Sie hat erzählt, sobald sie reden konnte, und geschrieben, seit sie schreiben konnte. Sie stand schon als Kind auf der Bühne des Vorarlberger Landestheaters, sie hat in den Hörspielen Monika Helfers gesprochen und den Text erst kurz vor der Aufnahme durchgelesen. Sie hat an der Filmakademie einen Semesterfilm über ihre Mutter gedreht. Am liebsten wollte sie einmal wie Woody Allen alles machen: Drehbuch, Regie und Schauspiel.

Aber das Schreiben war ihr immer das Wichtigste. Nicht als Berufsbild, wie ihre Eltern betonen, sondern als Existenzform. Sie hat schnell geredet, schnell gelebt und war nie lang an einem Ort. Sie hat in jeder Lebenssituation geschrieben, in ein Schmierheft, auf dem Boden kauernd oder, zwischen Umzugsschachteln sitzend, in ihren Laptop.

Nichts ist es ihr nicht wert, beschrieben zu werden, alles ist poesiewürdig. Ein vergifteter Hund, ein Elefant aus Glas, ein Kaugummi, eine Tasse Kaffee, ein Spiegel, karges Land mit Mangobäumen, ein Wort.

"Ich bin der Thunfisch in der Pralinenschachtel"

Paula Köhlmeier hat Menschen genau beobachtet, sie hat ihnen ins Gesicht gesehen, sie "fotografiert" und unter die Lupe genommen. Sie war hinter den Geschichten und Haltungen dieser Menschen her. "Sein Kopf ist nach Bereichen sortiert", schreibt sie über einen seit drei Jahren verheirateten Mann: "Arbeit, keine Arbeit, Frau".

Sie hat ihre eigene Geschichte verfremdet. Ihre Lebenswelt ist die einer jungen Erwachsenen, die sich zu orientieren versucht. "Es ist schwer zu verstehen, dass das Kind irgendwann abfällt wie ein Mantel, der zu klein geworden ist", schreibt sie. Oder: "Ich bin der Thunfisch in der Pralinenschachtel." Oder: "Die Langeweile ist ein schwarzer Käfer, der Löcher durch die Körper frisst." Sätze wie Fremdkörper, die in jeder Geschichte Paula Köhlmeiers stehen könnten.

Lieber weniger als zu viel erzählen

Es sind offene Geschichten, die Paula Köhlmeier schreibt, Geschichten, die sich die Spontaneität des Entwurfs erhalten haben und assoziativ miteinander vernetzt sind. Lakonische Geschichten, fragmentarische Geschichten, die lieber weniger als zu viel erzählen. Geschichten, die aus dem Leben gegriffen sind, ohne dieses Leben je eins zu eins wiederzugeben. Schräg wird die Wirklichkeit angegangen, die Wahrheit hinter der Wirklichkeit gesucht, direkte Rückschlüsse von der Autorin auf die Protagonistin, die immer wieder Rutha heißt, werden unterlaufen.

Der Name Rutha ist übrigens der Kinderbuchreihe ihrer Mutter um das Mädchen Rosie entnommen. Dort ist Rutha eine kleine Holzpuppe, die sich einem Menschen anverwandeln kann und Rosie bei Bedarf zu Hilfe eilt. Auch die Figur Rutha eilt der Autorin Paula zu Hilfe. Sie ist ihr Alter Ego und mehr. Sie ist ihre Potenzialität, ihr Schatten, ihre Doppelgängerin, das Beste und das Schlechteste, was sie sich zutraut.

Angeekelt von den Reichen Hollywoods

In der Geschichte "Pablo" ist die reale Paula Köhlmeier, die kurze Zeit in Los Angeles und acht Monate in Mexiko verbracht hat, ihrer Rutha ganz nah. Das Leben der Reichen in Hollywood, die mit Cocktailkleidern und Sekt vor dem Fernsehschirm sitzen, um in ihrer Luxusvilla der "Oscar"-Verleihung beizuwohnen, hat Paula angekotzt, sagt Monika Helfer.

In der Armut und im Dreck von Mexico City war sie in ihrem Element, sagt Michael Köhlmeier. Aber sie ist eine junge Schriftstellerin aus gutem Hause und gehört auch nicht zu den Armen, denen ihre Sympathie und ihr Mitgefühl gilt. Rutha, die in Paulas Geschichte in einem Café sitzt, raucht und schreibt, wird von Pablo, der Glas-Elefanten verkauft, gebeten, zu ihrer Familie mitzukommen: "Sie können mein Leben retten." Er legt ihr einen Vertrag in deutscher Sprache vor, den er nicht versteht. Sie versteht das Juristendeutsch auch nicht. Nur so viel, dass man versucht, der Familie, das Einzige abzuluchsen, was sie besitzt: das Land mit den Mangobäumen. "Gerichtsstand ist München", steht am Ende des Vertrages. "Ich würde nicht unterschreiben", sagt Rutha schließlich.

"Paula wollte nicht Los Angeles sein", sagt Michael Köhlmeier, "aber wie sollte sie diesen Menschen glaubhaft machen, dass sie nicht Los Angeles ist? Manchmal hat sie mich übrigens angesehen, als ob ich Los Angeles wäre. Aber sie hat gewusst, dass ich nicht Los Angeles bin."

Lieben und hassen

Im Filmskript "Von Menschen, die sich fressen oder All you can eat" lernen wir eine andere Rutha kennen. Eine junge, schöne Frau, der das Elend der Welt herzlich egal ist oder die näher liegende Probleme hat. Sie liebt und hasst einen mindestens doppelt so alten Mann, dick, hässlich und immer besoffen, der sie mit einer anderen jungen, schönen Frau betrügt, die sich ebenfalls nicht von ihm lösen kann. Niemand kann das verstehen. Rutha am allerwenigsten. Aber es gibt solche Geschichten. Rutha holt zum Befreiungsschlag aus, der Mord heißt.

Zum fünften Todestag von Paula Köhlmeier hat der ORF in Koproduktion mit WDR und DLR das Drehbuch wortgetreu in ein Hörspiel umgesetzt. Paula Köhlmeier hätte bestimmt gerne selbst inszeniert und mitgespielt.

Mehr zu Paula Köhlmeier in oe1.ORF.at
Manchmal kehrt sich mein Hirn nach außen
Maramba

Hör-Tipp
Hörspiel-Studio, Dienstag, 19. August 2008, 20:31 Uhr

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