Jahrtausende alte Gen-Mutation
Das Geheimnis des Schimmels
Die Lipizzaner stammen nicht aus Wien, sondern ursprünglich aus Lipica im heutigen Slowenien. Weiß sind die Pferde auch nicht immer, auf jeden Fall nicht von Geburt an. Bedingt wird das Schimmel-Phänomen durch eine Jahrtausende alte Gen-Mutation.
8. April 2017, 21:58
Die Lipizzaner sind neben dem Stephansdom und dem Riesenrad die bekannteste Tourismus-Ikone von Wien. Eine Aufführung der eleganten weißen Pferde in der Spanischen Hofreitschule gilt als Höhepunkt für viele Wien-Besucher. Zum Mitnehmen gibt es sie in allen Souvenir-Shops der Stadt in Porzellan oder Plastik, als Figurine, Kaffeetasse, Tischdecke oder Mousepad.
Dabei stammen die Lipizzaner gar nicht aus Wien, sondern ursprünglich aus Lipica im heutigen Slowenien. Weiß sind die Pferde auch nicht immer, auf jeden Fall nicht von Geburt an.
Wie alle Schimmelpferde werden auch die Lipizzaner mit dunklem Fell, zumeist dunkelbraun oder schwarz geboren und ergrauen erst im Laufe der Zeit. Bei den Lipizzanern dauert dieser Prozess durchschnittlich sieben Jahre. Bedingt wird dieses Phänomen durch eine Jahrtausende alte Gen-Mutation, das so genannte Grau-Gen.
Ausgangspunkt Zuchtforschung
Eine internationale Forschergruppe, die vom Institut für Nutztierwissenschaften der Universität für Bodenkultur in Wien geleitet wurde, untersuchte über viele Jahre die Erbanlagen der Lipizzaner und entdeckte dabei erstaunliche Zusammenhänge zwischen dem Grau-Gen, der Schimmelung und Hautkrankheiten der Tiere. Dabei wollten die Forscher ursprünglich nur wissen, ob unter einer der ältesten europäischen Pferderassen aufgrund der genetisch kleinen Population zu viel Inzucht herrscht, sagt Forschungsleiter Johann Sölkner.
Die ursprüngliche Überlegung war, dass man den Austausch von Zuchttieren zwischen den einzelnen europäischen Lipizzaner-Gestüten intensivieren könnte, sollte es innerhalb der Gestüte zu große genetische Ähnlichkeit geben. Da die Lipizzaner-Zucht in Piber eine 400-jährige Tradition hat und das Bundesgestüt die Aufgabe, die Rasse als Kulturerbe zu erhalten, müsste ein derartiger Austausch jedoch gut überlegt und ausreichend begründet werden.
Zusammenhang zwischen Haut und Farbe
Bei ihren Erhebungen trafen die Forscher eines Tages beim Lipizzaner-Gestüt Piber in der Steiermark auf Monika Seltenhammer, Forscherin an der Klinik für Chirurgie und Augenheilkunde der Veterinärmedizinischen Universität Wien, die für ihre Dissertation Melanome bei Schimmeln erforschte. Im Gegensatz zum Menschen ist dieser Hauttumor bei Schimmeln meist nicht bösartig, kann aber in späteren Jahren wegen des Größenwachstums zu Problemen beim Luftholen oder beim Abkoten führen. Bekannt war bereits, dass Melanome bei Schimmeln häufiger auftreten als bei anderen Pferden.
Die Wissenschaftler taten sich zusammen und entdeckten immer mehr Details und Zusammenhänge zwischen der Ergrauung und dem Auftreten von Melanomen sowie der Weißfleckenkrankheit Vitiligo.
Grau-Gen entschlüsselt
Leif Andersson von der Agrarwissenschaftlichen Universität in Uppsala in Schweden, dessen Gruppe das Grau-Gen entschlüsselt hatte, brachte dann Licht in die Sache. Mithilfe der umfangreichen Daten der österreichischen Forscher konnte nachgewiesen werden, dass das Grau-Gen große Wirkung auf die Ergrauung und die beiden Hautkrankheiten hat.
Ist ein Pferd reinerbig, hat es also das Gen von beiden Eltern vererbt bekommen, so ist es rein-weiß ohne Punkte und hat eine höhere Wahrscheinlichkeit, Melanome und Vitiligo zu bekommen.
Ungewöhnlich an der für die Schimmelung verantwortlichen Mutation ist, dass sie sich nicht im kodierenden Bereich eines Gens, dessen Basen in Aminosäuren übersetzt werden, befindet, sondern im regulierenden Bereich.
Wichtig für die Zucht
Angesichts dessen, dass beim Gestüt in Piber seit hunderten von Jahren bevorzugt rein-weiße Pferde für die Spanische Hofreitschule in Wien gezüchtet werden, kann man sich sehr leicht ausrechnen, was das bedeutet: Die Lipizzaner in Österreich sind bezüglich dieser Gen-Mutation zu einem hohen Prozentsatz reinerbig. Allerdings bleibt durchschnittlich eines von hundert Lipizzanerfohlen, die in Piber zur Welt kommen, dunkel.
In Piber sagt man, das seien Glückspferde, weil sie so selten sind. Diese Pferde könnten in Zukunft unter Umständen mehr in die Zucht einbezogen werden, um mischerbige Schimmel zu züchten. Gestütsleiter Max Dobretsberger hofft, mithilfe der neuesten Erkenntnisse über die Genetik der Schimmel im Allgemeinen und der Lipizzaner im Besonderen die gesundheitlichen Schwachstellen der Tiere mildern und die edle Rasse weiter verbessern zu können.
Hör-Tipp
Dimensionen, Mittwoch, 20. August 2008, 19:05 Uhr
Links
Universität für Bodenkultur Wien - Johann Sölkner
Veterinärmedizinische Universität Wien - Monika Seltenhammer
Uppsala University - Leif Andersson
Lipizzaner-Gestüt Piber