Der unprätentiöse Meisterdirigent

Wolfgang Sawallisch

Seit 2005 dirigiert er nicht mehr, aber seine Strauss- und Wagner-Abende, seine vielen Konzerte mit den Wiener Symphonikern sind unvergessen: Wolfgang Sawallisch, Weltklassedirigent ohne "Genialitäts"-Masche, feierte 85. Geburtstag.

Wolfgang Sawallisch und München gehören zusammen, für die über zwei Jahrzehnte, in denen der Dirigent in seiner Geburtsstadt das Bild der Oper prägte. Wolfgang Sawallisch und Wien ebenso: Zehn Jahre lang war er Chefdirigent der Wiener Symphoniker, mit über diese Zeit, 1960 bis 1970, hinausgehendem herzlichen Kontakt, bis zum (krankheitsbedingt) überhaupt letzten Konzert, das Sawallisch dirigiert hat, 2005.

Viele Langspielplatten aus der Wiener Ära Sawallisch liegen in den Archiven. Bekannter (und immer wieder hoch gelobt) sind die von Philips produzierten Bayreuth-Live-Produktionen unter Sawallischs Leitung aus den frühen 1960er Jahren. Energisch, drahtig, unsentimental, ein Könner, aber bereit, sich für die Sache zurückzunehmen: Bei den Bayreuther Festspielen war Wolfgang Sawallisch für eine Weile der ideale Partner für Wieland Wagner, unter anderem für "Holländer", "Lohengrin", "Tannhäuser", sämtlich mit Anja Silja.

Wunder Sawallisch

"Das Wunder Sawallisch" schrieb der "Spiegel" vor kurzem, als diese drei Einspielungen auf CD neu ediert wurden: Sawallischs "brausend jugendliche Frische" - ideal für den jungen Wagner.

In München, wo der Dirigent später den musikalischen "Hausgöttern" Strauss, Wagner und Mozart seine Verdi-Begeisterung zum Opfer bringen musste, hatten die Wagner-Aufführungen der "Ära Sawallisch", in den 1970er, 80er Jahren, das Niveau, das Bayreuth damals gern gehabt hätte.

Im Zentrum: Die Bayerische Staatsoper

"Das Wunder Sawallisch", die Formulierung ist natürlich Anspielung auf die legendär gewordene Zeitungskritik, mit der seinerzeit in Berlin die Karriere von Herbert von Karajan - nicht zufällig, wie man heute weiß - ihren Anfang nahm. Dabei ist man bei den akkuraten, manchmal sogar als "buchhalterisch" empfundenen, "Show"-losen Pultmanieren Sawallischs vom Devotion fordernden "Maestro" Lichtjahre entfernt.

Johann Mattheson hat 1739 noch nicht an Wolfgang Sawallisch denken können, wie er sein Traktat "Der vollkommene Kapellmeister" verfasste, der in Wahrheit ausgebildeter Pianist (und passionierter Liedbegleiter und Kammermusiker) ist, aber das alles hat Münchner Kritiker nie darin gehindert, Sawallisch mit diesem Ehrentitel auszustatten. Obwohl es an der Bayerischen Staatsoper, viel mehr als bei Sawallischs früheren GMD-Stationen Köln und Hamburg, auch jede Menge Turbulenzen gab und Kleinkrieg mit Sawallischs Intendanten-Widerpart, dem Egomanen August Everding.

Akkuratesse und Bescheidenheit
Apropos Karajan: Kaum hatte Walter Legge Herbert von Karajan ans Londoner Philharmonia Orchestra engagiert, dirigierte auch Sawallisch Studioproduktionen mit dem Orchester - unter anderem ein bis heute Maßstäbe setzendes Strauss-"Capriccio".

Kaum hatte Karajan in Salzburg seinen österlichen "Ring des Nibelungen" gestartet, gastierte Sawallisch bei der Radiotelevisione Italiana für einen mustergültigen Radio-"Ring" - wie 15 Jahre früher Wilhelm Furtwängler und nicht zum letzten Mal.

Unprätentiös, frisch, kühl, schwerelos
Aus dieser Zeit stammt auch ein Sawallisch-Psychogramm von Alexander Witeschnik, dem Wiener Kritiker:

Sawallisch ist kein Magier am Pult und kein Besessener. Er ist ein Mann der strengen Logik und der klaren Ordnung. Originalitätssehnsucht, optische Effekte liegen ihm fern. Er steht nicht im Scheinwerferlicht, er musiziert - unprätentiös, frisch, kühl, schwerelos und immer diszipliniert. Er denkt nicht daran, mitzuleiden oder mitzurasen mit den Komponisten. Er dirigiert nicht im Schweiße seines Angesichts; alle genialischen Attitüden fehlen. Musik nicht als Passion, sondern als einen rationalen Akt, indem er nichts in sie "hineinlegt", aber möglichst alles aus ihr herausholt, was in den Noten steht. Dass sich diese Gesinnung bei Sawallisch mit persönlicher Bescheidenheit verbindet, das hat ihm die Sympathien der Musiker und des Publikums in aller Welt eingetragen.

1965 geschrieben - gültig für die nächsten 40 Jahre, bis zu Wolfgang Sawallischs Zeit als "großer alter Mann" der deutschen Kapellmeister-Tradition, als Ehrendirigent des NHK Symphony Orchestra Tokyo und als Chef des Philadelphia Orchestra.

Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 28. August 2008, 15:06 Uhr

Link
Wolfgang Sawallisch Stiftung