Schule der Eltern - Teil 3

Nein - aus Liebe

Wenn Kinder im Mittelpunkt des Interesses stehen, wenn die Aufmerksamkeit der Erwachsenen nur um sie kreist, dann werden sie nicht glücklich. Sie lernen nicht, ihre Rolle in der Gesellschaft richtig einzuschätzen.

Wenn Kinder ihre Rolle in der Gesellschaft nicht richtig einschätzen können, dann wird diese Fehleinschätzung spätestens im Kindergarten oder in der Schule zum Konflikt. Gleichzeitig fehlt es den Kindern an Orientierung.

Kinder in ihre Familien integrieren

"Die zentristische Position des Kindes in der Familie beruht auf einem Missverständnis", sagt der dänische Familientherapeut Jesper Juul. Denn in den 1960er und 1970er Jahren plädierten in Skandinavien Pädagogen und Politiker dafür, Kinder ins Zentrum des Interesses zu stellen.

Jesper Juul: "Das war eine politische Aussage. In den Familien müssen aber die Erwachsenen die Führungsrolle übernehmen. Dieses Missverständnis hat dazu geführt, dass wir als Therapeuten heute viele Kinder wieder in ihre Familien integrieren müssen."

Wünsche versus Bedürfnisse

Eltern müssen unterscheiden lernen zwischen dem, was sich Kinder wünschen, und dem, was ihr tatsächliches Bedürfnis ist. Wünsche wissen Kinder immer zu äußern, Bedürfnisse werden durch Wünsche oft maskiert. Das wichtigste Bedürfnis von Kindern ist es jedoch, dass ihre Eltern Orientierung vermitteln.

Den eigenen Kindern Grenzen zu setzen, fällt schwer. Viele Eltern fürchten, mit einem "Nein" die Beziehung zu ihren Kindern zu zerstören. Doch das Gegenteil sei der Fall, meint der Neurobiologe Gerald Hüther von der Universität Göttingen. Denn: Kindern Grenzen weisen heißt auch, mit ihnen in Beziehung treten. Und der Erwachsene zeigt damit dem Kind, welche Position er vertritt.

Selbstdisziplin statt Gehorsam

Eine gute Gesprächsbasis ist die Grundlage dafür, dass Kinder lernen, sich an Regeln zu halten. Doch eine Regel darf nicht nur ihrer selbst Willen eingeführt werden, sondern sie muss dem Kind auch einsichtig sein. Sonst lernt das Kind nur zu gehorchen.

Gehorsame Kinder haben aber wenig Disziplin, vor allem: wenig Selbstdisziplin. Darum bezeichnet Gerald Hüther Disziplinierungsmaßnahmen als eine Falle. Denn Kinder lernen nicht, sich selbst zu organisieren. Um diese Falle zu vermeiden, sollte man Kinder dafür begeistern, selbständig Projekte zu organisieren: Bergtouren, oder die Planung und Ausführung eines Werkstückes. In der Realisierung lernen die Kinder Selbstorganisation, und sie übernehmen Verantwortung.

Aber gerade in Fragen wie Disziplin und Gehorsam sind viele Eltern ratlos. Aus Angst, die Beziehung zu zerstören, fällt es ihnen schwer, den Wünschen und Forderung der Kinder nicht nachzukommen. Ein "Nein" kann zu heftigen Auseinandersetzungen führen, die viele scheuen. Doch zur Elternrolle gehört es auch dazu, "Nein" zu sagen. Und zwar aus Liebe, meint Jesper Juul, denn ein grenzenloses Gewähren zeigt dem Kind nicht, wo der Erwachsene steht und was er denkt.

Nein sagen lernen

Doch ein "Nein" darf nicht zur starren Kategorie werden. Eltern müssen ihre Haltung immer wieder überprüfen, denn auch Eltern müssen ihre Standpunkte entwickeln und erweitern. Und gerade für Jugendliche ist es wichtig, das bedächtige "Nein" in der Familie zu erproben.

Jesper Juul: "Wir haben heute wenige verbindliche moralische Werte in unserer Gesellschaft. So muss ein Jugendlicher lernen, 'Nein' zu sagen - gegenüber Freunden und Kollegen, die ihn zum Beispiel mit Drogen oder Alkohol in Kontakt bringen. Das ist der einzige wirksame Schutz dieses jungen Menschen."

Diese Kompetenz können Kinder und Jugendliche nur in der Familie erwerben. Ohne die Möglichkeit aber, in einer Beziehung "Nein" zu sagen, gibt es auch kein herzliches "Ja". Das gilt für die Beziehung zu den Kindern wie für die Paarbeziehung der Eltern.

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Hör-Tipp
Radiodkolleg, Montag, 8. September bis Donnerstag, 11. September 2008, 9:05 Uhr

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