Reich an Erdöl, Erdgas und Kohle

Chinas ferner Westen

Anschläge im Umfeld der Olympischen Spiele haben das Interesse der Weltöffentlichkeit auf das Xinjiang und die Uiguren gelegt. Seit 1955 drängen sie für ihre an Bodenschätzen reiche Region auf die Durchsetzung einer versprochenen Selbstverwaltung.

Die Weltmacht China hatte heuer durch die Olympischen Sommerspiele - und derzeit durch die Paralympics - einen großen internationalen Auftritt. Starke Sicherheitsvorkehrungen haben im Wesentlichen für einen reibungslosen Ablauf gesorgt.

Im Nordwesten Chinas gab es im Sommer einige Anschläge auf Einrichtungen der chinesischen Zentralmacht. China wirft den muslimischen Uiguren sezessionistische Tendenzen vor.

Exil-Organisationen verurteilen Gewalt

Die Gewalt hat bewirkt, dass die Uiguren nun hauptsächlich über die Terror-Berichterstattung wahrgenommen werden. Doch die Probleme liegen tiefer, und uigurische Exil-Organisationen in Europa und den USA verurteilen die Gewalt - sie wollen die 1955 versprochene Selbstverwaltung auf friedlichem Wege erreichen.

Die Provinz Xinjiang ist mehr als viermal so groß wie Deutschland und reich an Erdöl, Erdgas und Kohle. Öl wurde erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts in der Wüste Takla Makan entdeckt, die etwa zwei Drittel von Xingjiang bedeckt. Wegen dieser Energievorkommen setzt China alles daran, die Stabilität in dem Gebiet zu sichern.

Ein zweites Tibet

Xinjiang ist eine autonome Region, in der Turkvölker mit eigenen Kulturen und Sprachen leben. Die größte dieser Minderheiten sind die muslimischen Uiguren mit knapp zehn Millionen Menschen. Sie nennen Xinjiang auch Ost-Turkestan, 1949 wurde es China eingegliedert. Forderungen nach echter Umsetzung des Autonomie-Statuts von 1955, das Selbstverwaltung, kulturelle Eigenständigkeit und Religionsfreiheit vorsieht, werden von den chinesischen Behörden mit massiver Unterdrückung beantwortet, denn China wirft den Uiguren - ähnlich wie den Tibetern - separatistische Tendenzen vor.

Die Bedeutung radikal-islamische Einflüsse aus dem angrenzenden Pakistan und Afghanistan ist selbst für Experten schwer einzuschätzen, doch seit dem 11. September 2001 benutzt China das Argument des "Kampfes gegen den Terror", um auch gegen gewaltlose Autonomie-Bestrebungen vorzugehen.

Aggressive Siedlungspolitik
Durch gezielte Ansiedelung von Han-Chinesen sind die Turkvölker und die muslimischen Hui-Chinesen in ihrem Gebiet zu ethnischen Minderheiten geworden.

Seit den 1950er Jahren erfolgte eine Zwangsumsiedelung vieler Uiguren in den wüstenhaften Süden. Für die Ausbeutung der Rohstoffreserven kommen Arbeitskräfte aus Ost- und Zentralchina. Deshalb sind die Angehörigen des Mehrheitsvolkes der Han die wahren Gewinner des Wirtschaftsbooms, der Xinjiang ein noch höheres Wirtschaftswachstum beschert als den Landesdurchschnitt von zehn Prozent. Die Einkommensschere zwischen meist städtischer Han- und ländlicher uigurischer Bevölkerung klafft weit auseinander.

Gelenktes Bildungssystem
Die uigurische Sprache wird aus dem Bildungswesen verdrängt, obwohl ihnen die Autonomie eigene Schulen ermöglicht. Mit ihrer Muttersprache kommen Uiguren in ihrer Heimat nicht weit, ein beruflicher Aufstieg ist ihnen ohne Chinesisch nicht möglich.

Meinungsfreiheit und Religionsausübung sind drastisch eingeschränkt. Kommunistische Ideologie wird in politischen Kursen vermittelt - sogar für Schulkinder und natürlich für muslimische Vorbeter, die Imame. Angestellte in staatlichen Firmen oder Büros können keine praktizierenden Muslime sein, sie würden die Kündigung riskieren. So verlagert sich Religion in den Privatbereich, was dann oft als "subversive Tätigkeit" verfolgt wird.

Zwangs-Sterilisationen
Nicht nur kulturell, auch physisch gehören die Uiguren heute zu den bedrohten Völkern. Obwohl die chinesische Ein-Kind-Politik nicht für Minderheiten unter zehn Millionen gilt, werden Zwangs-Sterilisationen und zwangsweise Abtreibungen an uigurischen Frauen durchgeführt. Die allgemeine Perspektivlosigkeit hat unter den Uiguren zu einem Drogenproblem geführt, wodurch sich AIDS rapide ausbreitet.

Die leichte politische Lockerung, die China seit dem Wirtschaftsaufschwung zugelassen hat, hat das autonome Gebiet der muslimischen Uiguren nicht erreicht. Durch den Assimilierungsdruck besteht die Gefahr, dass die Minderheiten Chinas in ihren kulturellen und religiösen Eigenheiten so angepasst werden oder aussterben, bevor die politische Öffnung dazu führt, dass sie ihre Autonomie wirklich leben können.

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Dienstag, 16. September 2008, 18:25 Uhr

Buch-Tipps
Rebiya Kadeer, Alexandra Cavelius, "Die Himmesstürmerin", Heyne Verlag München, 2007

Patricia von Hahn, "Freiheitskämpfer oder Terroristen? Die Uiguren Chinas", Verlag Dr. Müller, 2008

Hans van Ess, "Die 101 wichtigsten Fragen. China", Beck'sche Reihe, 2008