Sensationelle Eisenbahn

Die stählerne Schlange Eritreas

Eine der sensationellsten Eisenbahnstrecken der Welt verbindet die Hafenstadt Massawa mit der Hauptstadt Asmara. Das sind zwar nur 70 Kilometer Luftlinie, aber sie führt vom Meeresniveau, also von null auf fast 2.400 Meter Seehöhe.

Asmara - wenn Sie nicht wissen, wo das liegt: Damit sind Sie nicht allein. Asmara ist dem Himmel nah: auf fast 2.400 Metern Höhe im ostafrikanischen Hochland, am Horn von Afrika. Asmara ist die Hauptstadt von Eritrea, dem jüngsten unabhängigen Staat Afrikas. Eritrea liegt am Roten Meer, südlich des Sudans, östlich von Äthiopien, nördlich von Dschibuti. Die längste Zeit war Eritrea italienische Kolonie, daher rührt auch heute noch das italienische Flair von Asmara.

Durch ein Meer von Feigenkakteen

Eine vierzylindrige Mallet-Heißdampf-Lokomotive, gebaut in Genua von Ansaldo im Jahr 1938, steht zur Abfahrt bereit auf dem Bahnhof von Asmara. Dieser Bahnhof von Asmara ist für die Stadt heute nahezu bedeutungslos. Und Lokomotiven werden hier nur alle paar Tage einmal angeheizt: für Ausflugsfahrten von Touristen und Eisenbahnliebhabern auf den Holzbänken der zwei alten Waggons, terza classe, ohne Fensterscheiben.

Früher, da war das eine der sensationellsten Eisenbahnstrecken der Welt. Sie verband die Hafenstadt Massawa mit der Hauptstadt Asmara. Das sind nur 70 Kilometer Luftlinie. Aber es geht von Meeresniveau, also von null auf fast 2.400 Meter Seehöhe. Das ist um 300 Meter höher als Schneeberg oder die Schmittenhöhe. Die Bahntrasse benötigt dafür 118 Kilometer, 30 Tunnels, 35 Brücken, 14 Viadukte und 667 Kurven. Fertigstellung der Strecke: 1911. Nur Ingenieure, die schon Bahnstrecken in den Alpen und Dolomiten gebaut hatten, waren zu dieser Meisterleistung imstande.

Auf Dromedaren wurde das Baumaterial über schroffe Felsen hinaufgeschleppt. Die stählerne Schlange, il serpente d'acciaio, windet sich durch ein steiles Meer von Feigenkakteen. Die Züge der Ferrovie Eritree benötigten bergauf sechs Stunden.

Italienischer Kolonialismus

Mit der Eröffnung des Suezkanals 1869 vom Mittelmeer ins Rote Meer war Ostafrika für die europäischen Mächte interessant geworden. Nachdem Frankreich sich schon Dschibuti unter den Nagel gerissen hatte, die Briten den Jemen und ein Stück von Somalia, bekam Italien Angst, kein Stück vom kolonialen Kuchen zu bekommen. Noch im Jahr der Suezkanal-Eröffnung hatte eine italienische Schifffahrtsgesellschaft den Hafen Assab einem lokalen Sultan abgekauft. 1882 übernahm das italienische Königreich den Hafen. Beim ersten Versuch, das Hinterland zu erobern, wurde die italienische Armee von einheimischen Truppen vernichtend geschlagen. In Wien berichtete die "Neue Freie Presse" im Februar 1896 über Österreichs Beitrag zum Kolonialkrieg:

Der Feldzug der Italiener in Abyssinien hat einen sehr lebhaften Bedarf nach Maria-Theresien-Thalern hervorgerufen. Die österreichischen Thaler bilden dort das beliebteste Zahlungsmittel. Das Wiener Münzamt hat die Silberprägung ausgedehnt.

Eroberung des Hochlandes

Italien schickte ein stärkeres Heer und war nun nicht mehr aufzuhalten. Es eroberte das Hochland und nannte seine neue Kolonie Eritrea nach dem antiken Namen des Roten Meeres. Hauptstadt wurde zuerst die Hafenstadt Massawa, sommers eine der heißesten Städte der Welt, bald aber das hoch gelegene, kühlere Asmara.

Aus dem kleinen Flecken mit gerade einmal 5.000 Einwohnern sollte in den nächsten vier Jahrzehnten eine der modernsten afrikanischen Großstädte werden. Und dafür brauchte man die Eisenbahn.

Bauboom in den 1930ern

Die Machtergreifung Mussolinis 1922 trieb die Entwicklung Eritreas und damit Asmaras entscheidend voran. Für Mussolinis Traum eines italienischen Imperiums diente Eritrea als Aufmarschplatz für die Eroberung des viel größeren Abessinien, des heutigen Äthiopien. Zusätzlich zur Eisenbahn wurden Straßen gebaut und eine 70 Kilometer lange riesige Materialseilbahn von der Küste bis hinauf zur Hauptstadt. Sowohl in der Hafenstadt Massawa wie in Asmara entstanden vielfältige Industrieanlagen.

Vor allem in den 1930er Jahren erlebte Asmara einen ausgesprochenen Bauboom. Die Stadt hatte 100.000 zivile Einwohner, mehr als die Hälfte davon Italiener. 1935 überfielen und eroberten die italienischen Soldaten mit modernstem Kriegsgerät und unter Einsatz von Giftgas Abessinien. Wie gewalttätig sich die italienischen Kolonialisten gegenüber der einheimischen schwarzen Bevölkerung aufführten, erfuhren die Italiener zu Hause mit großer Verspätung: Der Historiker Angelo del Boca dokumentierte erst in den 1980er Jahren, dass die Brutalität der italienischen Kolonialherren der der belgischen im Kongo um nichts nachgestanden hatte.

Demokratisierung unter britischer Verwaltung

Der italienische Traum vom Imperium währte nur kurz. Schon 1941 eroberten britische Truppen Asmara. Damit war Italiens Kolonialgeschichte und der Zweite Weltkrieg für Ostafrika zu Ende. Die Eisenbahngesellschaft war aber immer noch der größte Arbeitgeber des Landes.

Ein gutes Jahrzehnt, von 1941 bis 1952, blieb Eritrea unter britischer Verwaltung. Und die Briten räumten gehörig auf: Vor allem Industrieanlagen wurden abgebaut und in andere britische Kolonien wie Indien oder Uganda verbracht. Dafür ließen die Briten politische Parteien zu, Gewerkschaften, eine unabhängige Presse, also Voraussetzungen für eine demokratische Entwicklung. Allerdings ließen die Briten auch etwas anderes zu: Sie erlaubten den Amerikanern, an der Peripherie von Asmara eine riesige Spionage-Abhörstation aufzubauen, an der bis zu 4.000 US-Soldaten und -Techniker beschäftigt waren: Kagnew Station. Das eritreische Hochland war wie kein anderer Ort dazu geeignet, mit 700 Antennen ein riesiges Areal abzuhören: Vom Mittelmeerraum über Afrika bis hinunter zum Kap, bis in den Nahen und Mittleren Osten. Praktisch, schließlich hatte gerade der Kalte Krieg begonnen.

Föderation mit Äthiopien

Anfang der 1950er Jahre hatte die noch junge UNO über die Zukunft Eritreas zu entscheiden und baute Mist. Auf Druck der USA, die ihre Kagnew-Spionage-Station nicht gefährdet sehen wollte, entschied die UNO gegen eine Unabhängigkeit Eritreas und trieb das Land in eine Föderation mit dem USA-Freund Äthiopien. Dessen wieder eingesetzter mittelalterlicher Herrscher Haile Selassie pfiff auf den UN-Beschluss und annektierte Eritrea.

Der UNO war das egal, den USA war es recht, nur die Eritreer konnten damit nicht leben. Äthiopien war ein absolutistisch regiertes, armes Agrarland. Eritrea hatte unter den Italienern Industrialisierung und unter den Briten Demokratisierung kennengelernt. Das passte nicht zusammen.

Wiederaufbau der Strecke

1961 begann der bewaffnete Widerstand gegen die Äthiopier. Es sollte ein 30-jähriger Befreiungskrieg werden, der längste auf dem afrikanischen Kontinent, mit Hunderttausenden Opfern auf beiden Seiten. 1991 hatten ihn die Eritreer für sich entschieden.

1993 wurde Eritrea offiziell unabhängig. Doch die stählerne Schlange war mittlerweile verschwunden. Äthiopien hatte die Eisenbahn, eines der Symbole der Stärke Eritreas, eingestellt, die Gleise herausgerissen und anderweitig verwendet.

Der Wiederaufbau der Strecke, mit einem Minibudget und viel freiwilliger Arbeit, war ein symbolischer Akt, ökonomisch fragwürdig. Seit 2003 ist nun das alte Symbol des Fortschritts, die stählerne Schlange, wieder befahrbar. Mit der Ansaldo-Lok aus 1938.

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Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 14. März 2009, 17:05 Uhr

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