Zurück in DDR-Zeiten
Der Turm
Mit seinem ersten Roman gewann Uwe Tellkamp 2004 den Ingeborg-Bachmann-Preis. In seinem dritten Buch beleuchtet Tellkamp die DDR-Vergangenheit. Nicht ganz zufällig haben die Hauptfigur des Textes und der Schriftsteller viele Gemeinsamkeiten.
8. April 2017, 21:58
Nichts scheint für das deutsche Feuilleton so wichtig zu sein wie die Vergangenheit. Die Gegenwart mag aufregend sein, die Zukunft viele Herausforderungen bereit halten, über die es zu schreiben und nachzudenken gelte; aber was zählt das alles gegen die Vergangenheit, die noch einmal und noch einmal abgehandelt werden muss.
In diesem Sinne war die deutsche Wiedervereinigung für den Literaturbetrieb ein wahrer Jackpot. Hat man nun neben dem Nationalsozialismus mit der DDR einen zweiten großen Vergangenheitsbrocken bekommen, an dem man sich abarbeiten kann. Einer, der an dieser Vergangenheitsbewältigung an vorderster Front mitschreibt, ist der 1968 in Dresden geborene Arzt und Schriftsteller Uwe Tellkamp. Er, von dem man sich den großen Wende-Roman erwarten durfte, hat nun wirklich einen solchen vorgelegt.
Zuhause in Dresdens Villenviertel
Eines gleich vorweg: Dieser Text wird den Erwartungen nur eingeschränkt gerecht. Zwar endet sein Buch - wie könnte es anders sein - mit dem 9. November 1989; zwar werden hier in epischer Breite die letzten Jahre der Deutschen Volksrepublik geschildert, aber Tellkamp erzählt nur über eine bestimmte soziale Schicht, eine, die dazu noch ganz und gar untypisch für das Land ist.
Er berichtet über die Bewohner des Dresdner Villenviertels. Hausmusik, Lektüre und intellektueller Austausch stehen hier an der Tagesordnung. Es ist ein soziales Biotop, das es im Arbeiter- und Bauernstaat so gar nicht geben hätte dürfen. Wie aus der Zeit gefallen, sprechen und denken hier die Bewohner.
Publizieren in der DDR
Christian ist der Held des Buches. Einer, der sich im System DDR nicht zurechtfinden kann. Er will Medizin studieren, doch das klappt nicht so recht. Zu unangepasst ist er. Christian ist zweifelsohne jene Figur, die der Autor mit eigenen Erlebnissen ausgestattet hat.
Man kann "Der Turm" ohne Weiteres als Erinnerungsbuch lesen. Es spielt zwischen November 1982 und November 1989. Im Januar 1984 zum Beispiel war das Papier knapp und der russische Staatschef Andropow lag im Sterben. Schriftsteller treffen sich konspirativ in Hinterzimmern und stellen in Kleinstauflagen Zeitschriften her, die auf dünnes tschechoslowakisches Durchschlagspapier gedruckt werden. Das Warten auf den neuen Trabi, Spottverse gegen die Machthaber. Und immer wieder die Frage, wie viele Freiheiten man sich in dem System erlauben kann.
Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Was dürfen Autoren schreiben, wie können sie den sich oft im Wochenrhythmus wechselnden Vorgaben der Partei entsprechen? Da gibt es jene Schriftsteller, die für ihre Texte kämpfen und sich weigern, ihre Dichtung selbst zu zensieren. Und dann sind da jene, die für die Tipps, was denn gerade noch durchgeht und was nicht, dankbar sind. Schließlich will man nicht anecken; will publizieren und so gut wie möglich leben.
Herausfordernde Lektüre
Uwe Tellkamp war in den letzten Monaten der DDR Panzerkommandant bei der Nationalen Volksarmee. Am 9. Oktober 1989 verweigerte er die Befehle, was ihm einige Wochen Gefängnis eintrug. Diese Erlebnisse ließ er in sein Buch einfließen, und gerade diese autobiografischen Passagen, die er Christian erleben lässt, bereiteten dem Schriftsteller die größten Probleme, wie er im Gespräch zugibt.
2004 gewann Uwe Tellkamp den Ingeborg-Bachmann-Preis für einen Auszug aus diesem Roman. Die Kritik auf den Text war zwiespältig. Gelobt wurde vor allem die virtuose Sprachbeherrschung, kritisiert wurde hingegen, dass der Text schwer verständlich sei und dass der Auftritt Tellkamps in Klagenfurt auf die Mentalität der Jury zugeschnitten gewesen sei.
"Der Turm" nun ist ebenfalls ein äußerst hermetisches Werk. 973 Seiten umfasst es, und es ist eine äußerst herausfordernde Lektüre. Zwar ist es nicht so, dass nichts passieren würde. Aber die Handlungsstränge werden zumeist von sehr langen, sehr detailreichen Schilderungen von Kleinigkeiten überlagert. Dazu kommt, dass ein DDR-Erinnerungsbuch für DDR-Leser durchaus seinen Reiz haben mag, für österreichische Leser hingegen ist diese Ostalgie nicht wirklich nachvollziehbar.
"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.
Hör-Tipps
Das Buch der Woche, Freitag, 19. September 2008, 16:55 Uhr
Ex libris, Sonntag, 21. September 2008, 18:15 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Buch-Tipp
Uwe Tellkamp, "Der Turm", Suhrkamp Verlag