Entwurf einer eigenen Verfassung
Die "Vojvodina-Frage"
Der Entwurf der neuen Verfassung der serbischen autonomen Provinz Vojvodina, die von den regierenden Koalitionsparteien veröffentlicht wurde, ist auf heftige Kritik gestoßen. Die Gegner des Vorschlags sehen in ihr klare separatistische Signale.
8. April 2017, 21:58
In ihrer Ausgabe vom 19. September 2008 hat die wichtigste serbische Tageszeitung "Politika" als "Exklusiv" einen Artikel unter dem Titel "Der Entwurf der Verfassung von Vojvodina ist fertig" veröffentlicht. Man liest weiter, dass die Parteien der herrschenden Koalition in Vojvodina dem Konzept der Verfassung zugestimmt haben.
Auf den ersten Blick sollte das eine ganz normale Nachricht für ein Bundeslandes sein. Nur: Vojvodina ist nicht ein "üblicher" Fall. Am Beispiel Vojvodina kann man alle wichtigen labyrinthähnlichen Wege in der Geschichte von Süd-Osteuropa verfolgen.
Völkergemisch
Die fruchtbare Ebene ist seit jeher ein Treffpunkt verschiedenster Interessen und Einflüsse. Hier begegneten sich Habsburger und Osmanen, slawische und altrömische Völker, die hier seit der Antike angesiedelt waren. Heute ist Vojvodina noch immer eine stark völkergemischte Region. Auf einer Fläche von 21.506 Quadratkilometern (etwas größer als Niederösterreich) leben mehr als zwei Millionen Menschen. Diese Autonome Provinz innerhalb Serbiens hat sechs anerkannte Amtssprachen, die in zwei Schriftarten, kyrillischer und lateinischer, geschrieben werden.
Noch bis zum Zweiten Weltkrieg hatte Vojvodina eine große Zahl deutschsprachiger Einwohner, die nach dem Krieg als "faschistische Elemente" aus ihrer Heimat vertrieben worden sind. Heute sind die Serben mit 65,05 Prozent der Einwohner in der Mehrzahl. Man muss dazu sagen, dass noch bis 1991 der Anteil der Serben um rund zehn Prozent niedriger war. In der gleichen Zeit hat sich die Zahl der zweitgrößten Volksgruppe, Ungarn, von 16,86 auf 14,28 Prozent verringert.
Die genaue Grenze Vojvodinas konnte man nie ziehen und die heutige Abgrenzung der Provinz ist eine mehr oder weniger erfolgreiche Bestimmung der "Grenzmacher" vom Zweiten Jugoslawien (auch als "Titos Jugoslawien" bekannt).
Richtung Unabhängigkeit oder doch nicht?
Nach dem Zerfall Jugoslawiens konnte man auch, dem Beispiel Kosovo folgend, fürchten, dass ebenso Vojvodina nach Unabhängigkeit streben würde. Ansätze dafür gab es schon, aber vielleicht wegen des Völkergemischs kam keine große Bewegung zustande.
Jeder Eingriff in die heutige Verfassung und auf die Lage Vojvodinas innerhalb Serbiens ruft heftige Reaktionen hervor. Der ehemalige Premierminister Serbiens, Vojislav Kostunica, äußerte sich sehr deutlich über den Entwurf: "Der Vorschlag der Verfassung von Vojvodina birgt einen Samen der Spaltung, die in Vojvodina und in ganz Serbien sehr ernsthafte und langjährige Probleme verursachen kann. Anstatt sich mit der Autonomie der Provinz, wie sie in der Verfassung von Serbien schon geregelt ist, zu beschäftigen, versucht dieser Vorschlag auf Umwegen, Elemente der Staatlichkeit für Vojvodina zu schaffen."
Der "neue serbische politische Gedanke"
Djordje Vukadinovic, Chefredakteur der Zeitschrift für politische Theorie und gesellschaftliche Erforschungen "Nova srpska politicka misao" (deutsch: "Neue serbische politische Gedanken") aus Belgrad schätzt, dass nach allem, was in den letzten Monaten in Serbien passiert ist – der Ausruf der Unabhängigkeit von Kosovo, die Verhaftung von Radovan Karadzic und eine zu langsame Annäherung an die EU -, die politische Situation in Serbien zerbrechlich ist und in diesem Moment so eine Verfassung kontraproduktiv wäre.
Obwohl, der Entwurf ausdrücklich in seiner ersten von 70 vorgeschlagenen Präambeln betont, dass die "Autonome Provinz Vojvodina eine autonome territoriale Gemeinschaft innerhalb der Republik Serbiens ist", bleiben für Gegner der so geplanten Verfassung einige Formulierungen völlig unannehmbar.
"Regierung" statt "Regionalem Exekutivrat"
Auf die schärfste Kritik der Opposition sind die vorgesehene Gründung der vojvodinaschen Akademie der Wissenschaft und Kunst, eine Bank für Entwicklung und die Eröffnung von eigenen Repräsentanzbüros im Ausland gestoßen. Sehr scharf wurde kritisiert, dass der jetzige "Regionale Exekutivrat" nach diesem Vorschlag durch eine "Regierung" ersetzt werden soll und dass das heutige Sekretariat den Status eines Ministeriums bekommen sollte.
Die Befürworter des Entwurfs dementieren natürlich heftig. Ihren Worten nach entsprechen die Vorwürfe, dass sich Vojvodina von Serbien separieren möchte, überhaupt nicht ihrer Intention. Der Direktor des Zentrums für Regionalismen in Novi Sad, Aleksandar Popov, denkt, dass die Vorschläge dieser Region ihre verlorene Würde zurückgeben werden.
Spannender Herbst
Wie immer, der Entwurf liegt jetzt zur öffentlichen Begutachtung vor. Am 14. Oktober 2008 sollten dann die vojvodinaschen Abgeordneten das letzte Wort zur zukünftigen Verfassung von Vojvodina sprechen. Bevor die Verfassung in Kraft tritt, muss sie vom gemeinsamen serbischen Parlament ratifiziert werden.
Es ist sicher, dass der Herbst in Serbien viele spannende und wichtige Entscheidungen bringen wird. Es bleibt zu hoffen, dass die Worte des Vorsitzenden des Exekutivrats von Vojvodina, Bojan Pajtić, "dieses Statut wird in den kommenden Jahren allen unseren Bürgern ein glücklicheres und erfolgreiches Leben ermöglichen", nicht nur auf Vojvodina beschränkt bleiben werden.
Link
Politika online