Konzentrierter Tanz mit der Technik

Need for Speed

Schneller reagieren, schneller produzieren, schneller kommunizieren. Zum tagtäglichen Tempotaumel gehört auch der Verkehr. Neue Kommunikationssysteme zwischen Autos und Ampeln machen den Verkehr flüssiger und sorgen für mehr Nachhaltigkeit.

Der Schnellste sein zu wollen, ist das eine. Kontrolle, Konzentration, Körperlichkeit, ist das andere, was Geschwindigkeitsfreaks wie den früheren deutschen Motorradrennfahrer Thomas Kuttruf am Motorradfahren fesseln. Der Tanz mit der Technik und die rhythmischen Wiederholungen von Bewegungsabläufen haben fast meditative Funktion, sagt er.

Geschwindigkeit für den "flow"

Worauf es bei der Passion Geschwindigkeit oft ankommt, ist der "Flow", das lustbetonte Gefühl, völlig in einer Tätigkeit aufzugehen. Herzschlag, Atmung und Blutdruck sind synchronisiert. Gefühle und Gedanken sind eins.

Die "Flow"- Theorie wurde vom Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi im Hinblick auf Risikosportarten entwickelt. Flow und Spiel hängen eng zusammen.

Geschwindigkeitsekstasen als Aggressionsventile

Den rauschhaften Zuständen, wie sie im Geschwindigkeitstaumel oder bei wilden Spielen entstehen, wird eine wichtige Funktion als Aggressionsventil zugeschrieben. Kontrollierte Ekstasen könnten Kriege verhindern, sagen Soziologen wie Georges Bataille. Sogar in den wildesten Wettspielen gehe es nämlich - anders als im Krieg - nicht um die Vernichtung des Gegners.

Gefühlte Geschwindigkeit

Geschwindigkeit lässt sich objektiv messen, aber auch subjektiv erfahren, also anfühlen, anhören, anschauen. Die beiden Maßstäbe klaffen oft erstaunlich weit auseinander. In einem Lieferwagen im Stau zu stehen, fühlt sich viel langsamer an als in einem Sportwagen im Stau zu stehen. Nichtsdestotrotz brauchen starke Motoren viel Sprit.

Daraus folgt für den Münchner Technikhistoriker Ulrich Wengenrot: "Um den Menschen einerseits ihre Freude an prestigeträchtigen und schönen Autos zu lassen, andererseits aber die Nachhaltigkeit zu forcieren, sollte man mit Autos wie mit Krawatten umzugehen: sie müssten nur gut ausschauen. Auf starke umweltbelastende Motoren sollte verzichtet werden, schon deshalb, weil sie im Alltagsstau ohnehin keine Vorteile brächten."

Ampeln und Autos kommunizieren miteinander

Weniger radikal sind technologische Vorschläge zur Vereinbarkeit von mobilem Glück und Nachhaltigkeit. Die Physikerin Ingrid Paulus leitet zum Beispiel ein Pilotprojekt, das den Verkehr flüssiger macht, indem Autos und Ampeln miteinander drahtlos über Wlan kommunizieren.

Ampeln senden zum Beispiel an Autos über mehrere Hundert Meter Entfernung Signale, die auf Grün oder Rot hinweisen. So kann der Fahrer seine Fahrweise anpassen. Umgekehrt kann auch die Ampelschaltung reagieren, wenn zum Beispiel viele herannahende Autos registriert werden.

Es werden also durchaus Anstrengungen unternommen, um mobiles Glück und Nachhaltigkeit unter einen Hut zu bringen. Denn auf mobiles Glück und Geschwindigkeitstaumel will nämlich kaum einer verzichten.

Tempobolzen und Bayreuth

Psychologen sehen die Wurzeln der Geschwindigkeits-Lust in angstbedingten Fluchtreflexen, im Beuteverhalten und im Spieltrieb. Geschwindigkeitsfanatiker gelten aber oft auch als Menschen, die Minderwertigkeitsgefühle kompensieren.

Diese Auffassung teilt der Münchner Psychoanalytiker und Autor Wolfgang Schmidbauer nicht. Jeder Mensch wolle schnell sein, aber nicht jeder könne oder wolle es sich leisten. Jeder Mensch brauche Hilfskonstruktionen, ob einen Besuch in Bayreuth oder Tempobolzen. Der Unterschied liegt in der Gefährlichkeit.

Hör-Tipp
Dimensionen, Dienstag, 7. Oktober 2008, 19:05 Uhr