Eine Ärztin im Einsatz für kriegstraumatisierte Frauen

Nicht aufhören anzufangen

Chantal Louis erzählt in ihrem Buch die Lebensgeschichte der knapp 50-jährigen Monika Hauser, die heuer für ihren Einsatz mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Ihre Organisation medica mondial hilft kriegstraumatisierten Frauen.

Monika Hauser hat die Frauenrechtsorganisation medica mondiale zur Hilfestellung für bosnische Frauen gegründet. Grund für ihre Auszeichnung mit dem Alternativen Nobelpreis ist "ihr unermüdlicher Einsatz für Frauen, die in Krisenregionen schrecklichste sexualisierte Gewalt erfahren haben".

Privilegien nützen

Eine bildhübsche 18-jährige Schülerin schreckt jede Nacht aus Alpträumen hoch. Sie ist eine von drei Schwestern, die in das Sporthotel Vilina Vlas bei Visegrad verschleppt wurden. Serbische Soldaten hatten das Hotel während des Krieges am Balkan zu einem Vergewaltigungshaus gemacht. Die 18-Jährige entkommt nach einer Nacht aus Vilina Vlas, doch sie entkommt nicht den Schmerzensschreien ihrer jüngeren Schwester, die seitdem verschwunden ist.

Ich habe das Privileg eines europäischen Passes, ich habe eine gute Ausbildung genießen können, ich bin stark. Ich muss diese Privilegien nutzen, um andere Frauen, die auf der Schattenseite leben, zu unterstützen. Und mit medica mondiale können wir sehr vielen Frauen helfen. Uns geht es ja auch darum, die Frauen nicht nur medizinisch und psychologisch zu unterstützen, sondern wirklich darum, dass sie ihr Schicksal, ihr Leben in die eigenen Hände nehmen können.

Das sind die Leitgedanken der Ärztin Monika Hauser. Sie hat sich vor über 15 Jahren der Situation der vergewaltigten Frauen in Bosnien angenommen und die stumme Isolation aufgebrochen, die ein Leben mit dem allgegenwärtigen Trauma der Vergewaltigung verursacht.

Ein Leben lang leiden

Die vergewaltigten Frauen in Bosnien sind weibliche Kriegsversehrte. Anders als die verwundeten Soldaten jedoch, haben sie kein Recht auf Rente. Und doch leiden die Frauen ihr Leben lang unter der physischen und psychischen Gewalt, die ihnen zugefügt wurde. In der Fachsprache ist vom "Trigger-Mechanismus" die Rede, wenn ein bestimmter Reiz gemeint ist, der plötzlich das Grauen der Vergewaltigung blitzschnell wieder ins Bewusstsein bringt.

Auslöser dafür, dass sich eine 33-jährige Gynäkologin aus Deutschland nach Bosnien aufmacht, ist eine Reportage im Magazin "Stern", die die Katastrophe der vergewaltigten Frauen aufdeckt. Im Dezember 1992 bricht Monika Hauser auf eigene Faust nach Bosnien auf. Intensiv wirbt sie für ihr Vorhaben eines gynäkologischen Therapiezentrums. Zunächst klopft Monika Hauser bei verschiedenen Hilfsorganisationen an. Der UNHCR weist sie zurück mit dem Argument, "geschändete muslimische Frauen seien sowieso nicht mehr resozialisierbar."

Der engagierten Medizinerin gelingt es dennoch, zu überzeugen. 1993 gründet Monika Hauser das erste Therapiezentrum für vergewaltigte Frauen in Zenica. medica mondiale bietet medizinische und psychologische Hilfe. Die Mitarbeiterinnen von medica mondiale machen ihre Arbeit konsequent publik. Sie rufen die verletzten Frauen auf, das Zentrum medica mondiale zu besuchen und sie gehen in die Flüchtlingscamps. Nicht nur dort ist schon am Gesichtsausdruck vieler Frauen offensichtlich, dass Vergewaltigung ein kollektives Problem der bosnischen Gesellschaft ist.

Bewusstmachen als erster Schritt

Schon das Wort "Vergewaltigung" auszusprechen, sorgt für heftige Diskussionen - im Bosnischen ist man nicht so direkt, heißt es. Aber Monika Hauser weiß, dass der erste Schritt das Bewusstmachen ist. Mit ihren kurzgeschnittenen Haaren und ihren knallbunten Hosen verkörpert die junge Gynäkologin ein ganz anderes Frauenbild, als jenes der traditionellen Muslime.

In Laufe der Jahre wenden sich mehr als 40.000 bosnische Frauen um medizinische und seelische Unterstützung an medica mondiale. Monika Hauser setzt sich weltweit für vergewaltigte Frauen ein, im Kosovo, in Afghanistan und in deutschen Altersheimen. Die Traumaforschung hat inzwischen schon längst die scheinbare Weltabgewandtheit - oder "Demenz" - vieler alter Frauen als ein Ergebnis erlittener Vergewaltigungen erkannt.

Die Lebensumstände in die Behandlung einbeziehen

Monika Hauser, 1959 in der Schweiz geboren, absolvierte ihr Medizinstudium in Innsbruck im Rekordtempo. Daneben reist sie nach China, Tibet und Indien. Schon ihre Großmutter Elsa vertraut sich Monika Hauser an, sie erzählt von Zeiten, in denen Liebe und Zuneigung Luxus waren und in denen Sex oft mit Gewalt einherging.

Monika Hausers Mutter arbeitete als Haushaltshilfe bei einer Schweizer Unternehmerfamilie, wo Übergriffe von Seiten des Chefs zum Tagesgeschäft gehörten. Als die junge Ärztin Monika Hauser in Südtirol ihre Ausbildung bestritt, erlebte sie die patriarchale Medizin am eigenen Leib. Die männlichen Ärzte versuchten ihr Behandlungsmonopol zu behaupten und blendeten die Gewalterfahrungen der Patientinnen aus: Monika Hauser lernt indes schnell, in ihre Behandlung die Lebensumstände der Patientinnen mit einzubeziehen.

Tochter Monika lauscht den Erzählungen der Mutter mit "Riesenohren" und tritt die Flucht nach vorne an. Sie läuft in die Bibliothek und leiht alles aus, was sie zum Thema Krieg finden kann. Die direkte Konfrontation mit dem Grauen ist besser als das unterschwellige Wabern. Monikas Strategie: "Dem Schrecken begegnen, indem ich ihn mir konkret anschaue. Alles andere macht mir noch mehr Angst."

"Nicht aufhören anzufangen" ist die Geschichte einer Frau mit einer Vision. Das Buch berichtet davon, wie diese Vision Wirklichkeit wird. "Nicht aufhören anzufangen" erzählt aber auch von vielen Personen, die das Ihre beitrugen zur epochalen Arbeit der Monika Hauser im Dienste einer gesunden Gesellschaft.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Chantal Louis, "Monika Hauser - Nicht aufhören anzufangen. Eine Ärztin im Einsatz für kriegstraumatisierte Frauen", Verlag rüffer & rub

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medica mondiale