Von Heifetz bis Faust
Musikalische "Poèmes"
Tondichtungen wurden um die Jahrhundertwende und im späten 19. Jahrhundert gerne "Poème" genannt. Also das großteils aus Frankreich kommende, französische Pendant zu den Symphonischen Dichtungen der deutsch-österreichischen Romantik.
8. April 2017, 21:58
Chaussons "Poème" im Interpretationsvergleich
Ravels "Ondine" aus dem dreiteiligen "Gaspard de la Nuit" ist ein wunderbares Beispiel für die Verschleierungstechniken der französischen Poèmes. Doch der Impressionismus ist nicht die einzige Strömung, die, inspiriert durch die Malerei, klangliche Verschleierungen als Stilmittel eingesetzt hat.
Es waren natürlich auch die von Wagner beeinflussten und teilweise begeisterten Franzosen der Spätromantik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die immer schwülstiger, schwerer, harmonisch bizarrer komponierten.
Ein schönes Beispiel ist das Poème von Ernest Chausson für Violine und Orchester - in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts komponiert. Eines der letzten Werke Chaussons, der 1899 starb und als Schüler von Cesar Franck und Verehrer Wagners ein richtiger Spätromantiker französischer Prägung war. Der, so könnte man hinzufügen, mit den Experimenten eines gewissen Debussy nichts am Hut hatte. Aber hört man vor allem diesen Anfang seines "Poème", so erscheint der Weg zum Impressionistischen nicht weit.
Isabella Faust
Wie von der ferne, mit wenig vibrato, mit fast kaltem Klang spielt Isabella Faust, die eine Art ätherische Stimmung erzeugt mit diesem nüchternen Klang wie aus dem Jenseits. Zu hören im ersten Teil unseres Audios.
Ginette Neveu
Wir wagen einen Vergleich mit einer sehr viel älteren Aufnahme. Und einer Geigerin einer ganz anderen Generation: Ginette Neveu, 1949. Hören Sie in unserem Audio das Einstiegssolo der Geige. Langsamer das Tempo, viel Vibrato, teilweise schnell und dramatisch bebend der Ton, ein höchst intensiver dramatischer Bogen.
Gidon Kremer
Wir springen in diesem Werk jetzt ein klein wenig weiter - nach ein paar Orchesterpassagen setzt wieder ein großes dramatisches Solo der Violine ein, diesmal gespielt von Gidon Kremer, mit wärmerem Ton als Isabella Faust und sehr agogisch musizierend, also das Tempo immer ein bisschen variabel der Dramatik der Musik angepasst.
Jascha Heifetz
Hören Sie im vierten Teil unseres Audios noch eine andere Aufnahme mit dem genannten Violin-Thema: mit Jascha Heifetz. Deutlich schneller hier das Tempo, fast könnte man sagen alles klingt etwas beschwingter, geigerisch-virtuoser, unbeschwerter. Dadurch erscheint das Stück nicht mehr so mysteriös düster, mehr wie ein romantisches schwärmerisch-virtuoses Violinkonzert.
Sehr unterschiedlich ist die Tempogestaltung: Der schnellste ist Heifetz mit 13,17 Minuten, die Langsamste ist Neveu mit 16,46 Minuten - ein riesiger Unterschied.
Hör-Tipp
Ausgewählt, Mittwoch, 8. Oktober 2008, 10:05 Uhr
CD-Tipps
Ernest Chausson, "Poème", Deutsches Symphonieorchester Berlin, Marko Letonja, Isabella Faust, Harmonia Mundi
Ernest Chausson, "Poème", Ginette Neveu, Philharmonic Symphony Orchestra, Charles Munch, Music & Arts Program
Ernest Chausson, "Poème" Gidon Kremer, London Symphonie Orchestra, Riccardo Chailly, Philips
Ernest Chausson, "Poème", Jascha Heifetz, RCA Victor Symphony Orchestra, Izler Solomon, RCA
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