Charlotte und Fritz im Krankenhaus
Feucht auf dem Mars
Wo soll man schreiben? Schreibtisch? Kaffeehaus? Im Krankenhaus! Da sind die Sorgen um Zeit und Geld in die Ferne gerückt, einzig die sprachliche Form zählt. Ob diese Krankengeschichten dann jemand lesen will, ist eine andere Frage - eine des Marketing.
8. April 2017, 21:58
Conor Oberst ist eine sympathische Erscheinung. Ein junger Mann mit Charisma und musikalischem Eigensinn, mit Bobo-Schick und Rastelbinder-Attitüde. Ich bekam eine Freikarte, weil ich versprach, über Conor Oberst zu schreiben. Alle lieben Conor Oberst; ich seit dem Konzert nicht mehr, ihn nicht mehr und seinesgleichen wie die von seinen Gnaden bewegte Jugend auch nicht.
Ich langweilte mich eine halbe Stunde lang, dann bin ich zur Bar und trank da ein Bier. Vielleicht muss ich jetzt den Kartenpreis zurückzahlen. Conor Oberst ist der Markenname für eine Generation, von der ich eigentlich die Nase voll habe. Wir haben nichts anzubieten. Wir tragen supersexy Outfit, im Bett sind wir wahlweise Zisterzienser oder Kardinalschnitten. Beim Vögeln Erbsen zählen, wie sie rollen, und beim Essen die Kalorien, wie sie verschwinden. Wir umzingeln uns mit Revo-Style, im Innern herrscht ein großes, schwarzes Gähnen. Wir spielen Konzerte vor einer jungen, wilden Rotte und teilen mit ihr die Leidenschaft der wölfischen Introvertiertheit.
Soll sein. Wölfe sind immerhin sehr sozial. Ich kenne jemanden, der musste ins Krankenhaus, weil er sich am Spatz verletzt hatte, dort las er Frau Charlotte Roches pinkes Buch "Feuchtgebiete", und da ihm das nicht gefiel, schrieb er, in einem makellosen Furor des Erwachens, einen Roman über das wochenlange Liegen im Krankenhaus und das Lesen von Charlotte Roches "Feuchtgebiete". Er befasst sich darin dann auch mit der sensiblen Einrichtung Phallus generell und dem brachialen (!) Abhusten phallischen Überschusses allgemein. Wenn Charlotte Roche wieder einmal ins Krankenhaus muss, komme ich sie gerne besuchen und lese ihr aus dem Phallus-Roman vor. Vielleicht inspiriert sie das zu erneuten Höhenflügen. Auch will ich ihr gerne aus dem Buch "Mars" vorlesen, welches von einem jungen Mann geschrieben wurde, der danach an Krebs gestorben ist.
Ich war übrigens gerade im Krankenhaus und machte dort eine erfreuliche Erfahrung. Der Arzt, der mich untersuchte, konnte sich, wie ich mich an ihn, an mich erinnern, der ich vor einem Jahr schon einmal bei ihm in der Notambulanz gewesen war. Er war dann freundlich zu mir. Und ich zu ihm. Es geht uns gut.
Da in der Notambulanz die Ärzte sonst immer unfreundlich sind, sah ich mich in erhellender Weise an das zuletzt angesprochene Buch jenes Mannes namens Fritz Zorn erinnert, der als eines der nachhaltigen Übel seines Elternhauses die Tatsache befand, dass man dort, hauptsächlich in Gestalt des Vaters, zu behaupten pflegte, dass dieses Ding mit jenem Ding nicht vergleichbar sei - der deutsche mit dem spanischen Faschismus, das Schweizer Wahlrecht mit dem aller anderen Länder, etc. -, was der nun vom Alter her schon erwachsene Sohn als ultimative Entwertung des einzelnen Dinges betrachtet - die Dinge gleiten und schweben an einander vorbei, ohne je mit einander zu tun zu bekommen. Hier ist Herr Zorn bei Kafka, genauer, in dessen Brief an den Vater fündig geworden, der den Sohn erniedrigt, indem er die Dinge erniedrigt. Die Sache wird mir hier zu esoterisch. Ich fahr' lieber wieder ins Krankenhaus. Conor Oberst ist ein scharfer Feger, Jörg Haider ist tot und mir ist alles wurscht.
Tipp
Ö1 Kolumnen können seit 1. September im Rahmen der Ö1 Podcast nachgehört werden. Alle Sendungen des kostenfreien Radio-Abos finden Sie hier.
Links
Conor Oberst
Wikipedia - Fritz Zorn