Die Rallye hat mich nie interessiert

Nikolaus Geyrhalter im Interview

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Der Dokumentarfilm "Unser täglich Brot" hat Nikolaus Geyrhalter zu einem der Aushängeschilder für die österreichische Doku-Szene gemacht. Der Film, der laut Grimme-Preis-Jury den "ultimativen Mechanisierungsgrad der Nahrungsmittelproduktion in eindringlicher und beklemmender Weise" sichtbar gemacht hat, heimste weltweit zahlreiche Auszeichnungen ein. Nun, rund drei Jahre später, feiert Geyrhalters neue Doku "7915 km" über das afrikanische Leben entlang der Rallye-Strecke Paris-Dakar bei der Viennale ihre Österreich-Premiere.

APA: Wie schwierig war es denn, nach dem Erfolg von "Unser täglich Brot" an ein neues Projekt heranzugehen?
Geyrhalter: Wir haben mit "7915 km" eigentlich noch vor "Unser täglich Brot" angefangen, das Konzept ist viel älter. Deswegen habe ich für mich auch gar keinen Druck verspürt, hier anschließen zu müssen. In der Ästhetik ist der neue Film eigentlich ein Schritt zurück, und das hat mich freigespielt von allen Ansprüchen oder Anforderungen. Das war recht angenehm.

Das Rennen selbst, vom sportlichen her, hat Sie also nie interessiert?
Überhaupt nicht. Die Rallye interessiert mich nicht, hat mich nie interessiert. Mir ging's immer um Afrika. Ich finde es sehr schwer, ohne einen erkennbaren roten Faden oder ohne ein bestimmtes Konzept einen Film über Afrika zu drehen. Da tappt man leicht in alle Fallen, in die man tappen kann. Und deshalb war diese Rallye so gut, weil sie von Haus aus eine Strecke vorgegeben hat, an die wir uns auch ganz genau gehalten haben.

Europa kommt auf der Bildebene nur minimal vor, ist als Thema aber immer präsent. War hier ursprünglich von den Bildern her auch mehr geplant?
Es war auf jeden Fall klar, dass das verloren geht im Film - es war nicht klar, dass es so früh passiert. Wir haben auch die Rallye am Anfang noch gedreht, haben gedreht, wie der Tross von Malaga nach Afrika übergesetzt hat, sind auch mit gecharterten Booten mitgefahren und haben das erste Camp in Marokko gefilmt. Aber das ist im Schnitt rausgeflogen, weil es nicht funktioniert hat. Als wir das rausgehaut haben und uns die Rallye nur erzählen ließen, sind die Erzählungen auf einmal wertvoll geworden. Und damit funktioniert dann auch die Fantasie, und die Leute werden ernst genommen.

Wie wurden denn die Gesprächspartner vor Ort ausgesucht?
Wir hatten natürlich in jedem Land vor Ort ein Team mit Aufnahmeleiterin und Dolmetscher, die haben uns begleitet von Grenze zu Grenze, das war ganz wichtig für uns, denn dadurch hatten wir auch immer die notwendigen Informationen. Es war dann eine gemeinsame Arbeit - ich habe ihnen erklärt, was ich suche, und wir sind dann in der Praxis die Strecke nachgefahren, ziemlich genau sogar, und sind dann einfach stehengeblieben, haben geschaut: wär das was, wär das nix. Das war wirklich eine Entscheidung vor Ort aus dem Bauch heraus - oft irrt man sich halt und manchmal trifft man eben auf Schätze.

Wie waren die Drehbedingungen für euch? Ihr wart ja vier Monate unterwegs, einen großen Teil davon in der Wüste.
Ja, das war natürlich anstrengend. Wir waren auch dementsprechend ausgerüstet, haben auch schon fast wie ein Rallye-Unternehmen ausgeschaut. Wir waren zum Teil zwölf Leute, haben in Zelten geschlafen irgendwo, haben mit mitgebrachten und lokalen Lebensmitteln irgendwie kochen müssen, haben jeden Abend Bänder überspielt und Übersetzungen aufgenommen, sprich auch Strom mitgehabt. Das Ganze war also relativ aufwendig, allein das war so, dass es energiemäßig gereicht hätte. Den Film noch dazu zu drehen, das war schon ein bisschen viel - das würde ich so sicher nicht mehr machen.

Wie viel Filmmaterial hattet ihr am Schluss zur Verfügung? Und wie fand die Auswahl statt?
Wir hatten 180 Kassetten, da gehen jeweils 50 Minuten drauf - also rund 150 Stunden. Und die Auswahl war schwierig. Vieles ist zwar von Haus aus weggefallen, es war immer klar, dass ganz chronologisch erzählt werden muss. Das heißt, wir haben schon beim Drehen die Interviews mit einer gewissen Dramaturgie im Kopf führen müssen. Wir hätten ja nicht eine Person, die gepasst hätte, aber ein Land früher oder später vorgekommen wäre, vorziehen können - das ging nicht. Wir sind nur den Kilometern nachgefahren - und dadurch hat sich eh schon sehr viel relativiert.

Dramaturgisch fällt auf, dass der Film sich anfänglich noch mehr bei den Befindlichkeiten der Leute aufhält, im Lauf der Zeit aber immer politischer wird. Und je tiefer ihr in den Kontinent vordringt, desto tiefergehender werden auch die Gespräche. Lag das am Zeitfaktor?
Einerseits muss der Film natürlich ein Thema erst entwickeln - wir hatten zum Teil sehr prägnante Interviews auch am Anfang, aber die konnte man einfach nicht nehmen, sonst wäre die ganze Spannung weg gewesen. Und andererseits entspricht der Film jetzt einem Kennenlernen in komprimierter Form: zuerst redet man privat, dann wird es politisch, und dann geht es ums Auswandern. Das sind diese typischen Steps, von dem her passt das schon ganz gut.

Der Film wird von einer "europäischen Klammer" zusammengehalten - einerseits die Vorstellung des exotischen Afrika als Abenteuerspielplatz, andererseits die Wahrnehmung der Flüchtlingsbewegungen.
Es war immer ein Teil des Konzepts, dass es hier zwei große Reisebewegungen gibt - eine von Norden nach Süden und eine von Süden nach Norden. Die haben beide ganz unterschiedliche Ziele, ganz unterschiedliche Voraussetzungen - aber dass die Wege sich kreuzen, war von Anfang an klar.

Am Schluss hat man das Gefühl, man muss nur noch den Fernseher einschalten und weiß, wie es weitergeht.
Richtig, und gleichzeitig weiß man aber auch mehr über die namenlosen Köpfe. Man hört immer von 400 Flüchtlingen, 200 Flüchtlingen - aber ich wollte sie personalisieren, ich wollte ihnen Geschichten geben.

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