Aufgebaut als Konkurrent Glucks
Der vergessene Star-Komponist
Zu Publicityzwecken im Paris der 1770er Jahre als Konkurrent zum verehrten Christoph Willibald Gluck aufgebaut, Opern-Berühmtheit europaweit: Der Aufstieg des Niccolo Piccinni - und sein Fall in Armut in Folge der französischen Revolution.
8. April 2017, 21:58
Sie suchen einen Komponisten, der über 100 Opern geschrieben hat? Volltreffer bei Niccolo Piccinni: Bei ihm zählt man rund um 115, entstanden zwischen 1754 und 1794, die mit leicht fraglicher Autorschaft noch nicht mit gerechnet. Dennoch denkt, wer "Piccinni" sagt, zugleich "Streit": Als "Piccinnistenstreit" ist die Auseinandersetzung zwischen den Anhängern Christoph Willibald Glucks und denen Piccinnis in Paris heute nicht mehr recht nachvollziehbare Musikgeschichte.
Das Klischee: Hier Glucks "Reformopern", dort die "klassische" Arien-Oper, womöglich mit Pietro-Metastasio-Libretto, Star-orientiert, das Spiel der Melodielinien in den Musikstücken l'art pour l'art, die Aktion in den Rezitativen abgehandelt. Dass die Grenzen fließender waren, Piccinni nicht der verknöcherte Traditionalist, Gluck nicht in jedem seiner Werke Experimentator, wollten die rebellischen Fans nicht wahrhaben. Als Gluck 1787 starb, war es Piccinni, der auf die Errichtung eines Denkmals für den großen Konkurrenten drängte.
Kastraten-Virtuosität und empfindsame Melodik
Ehe der 1728 bei Bari in den "Marken" geborene Piccinni in den 1770er Jahren einem Ruf nach Paris folgte, belieferte der Leonoardo-Leo- und Francesco-Durante-Schüler die italienischen Opernstädte mit Bühnenstücken - bejubelt und im Dutzend. "La buona figliuola" in Rom, "Alessandro nelle Indie" in Neapel wurden am populärsten, auch über Italien hinaus. Weil sie den musikalischen Zeitstil auf den Punkt brachten, wie ihn auch Paisiello, Cimarosa, Anfossi, Guglielmi vertraten?
Man liebte Piccini, der zwar perfekt Commedia-dell-arte-Personal plappern und römische Helden mit Koloraturen-Schnittgut brillieren lassen konnte, vor allem für seine empfindsamen Melodien: weich, elegisch, zwischen Dur und Moll changierend. Vincenzo Bellini wird mit derlei später sein Publikum zu Tränen rühren. Nicht nur die Rondo-Finali der "Buona figliuola" klingen "mozartisch" - vor Mozart.
"Il re pastore" zehn Jahre vor Mozart
Piccinni und Mozart: Wer hätte gewusst, dass auch Niccolo Piccinni "Il re pastore" komponiert hat, auf den gleichen Pietro-Metastasio-Text wie ein Jahrzehnt später Wolfgang Amadeus Mozart, hätte nicht das Opernfestival von Martina Franca im Sommer 2008 diese Opernrarität auf den Spielplan gesetzt?
Wie immer bei Metastasio ging das ursprünglich für Giuseppe Bonno und den Wiener Hof geschriebene Libretto bei Komponisten der Ära von Hand zu Hand und kam dabei, am Weg zum jungen Mozart, 1765 in Neapel bei Piccinni an. Während Mozarts Version in zwei Stunden vorüberzieht, breitet sich die von Piccinni über dreieinhalb aus, Pausen nicht mit gerechnet: große Opera seria, mit zwei ausgewachsenen Kastratenpartien und jeder Menge kunstvoll ausgebauter Nebenhandlungs-Stränge.
Nach dem Aufstieg der Fall
Als Meister dieser kaum mehr steigerbaren Virtuosen-Kunst folgte Niccolo Piccinni dem Ruf nach Paris, wo jedoch andere Gesetze herrschten. Französische Texte, ein Ineinander von Rezitativen, Arien, Ensembles und Chören - Glucks "reformatorische" Errungenschaften beeinflussten auch Piccinni, nur der heroische Furor des anderen Opern-"Immigranten" blieb ihm fremd. Umso kurioser, dass die Opéra gerade die beiden absichtlich zu Konkurrenten machte, mit parallelen Vertonungen der "Iphigénie en Tauride".
Die Fassung von Gluck wurde ein Premieren-Triumph, worauf Piccinni zunächst auf die Aufführung seiner "Iphigénie" verzichtete. Zwei Jahre später kam sie auf die Bühne - ein Achtungserfolg. "Adèle de Ponthieu", "Didon", "Le Faux Lord", "Diane et Endymion" hießen spätere Pariser Opern des nun auch als Lehrer gesuchten Piccinni, teils Tragédies, teils Komödien.
In Neapel unter Hausarrest
Erst vor der französischen Revolution floh er, zurück nach Neapel, unter die Fittiche von König Ferdinand IV., um dort aber in Ungnade zu fallen, sobald seine Tochter einen französischen Demokraten heiratete. Piccinni wurde - bizarr! - als "Revolutionär" angeklagt und verfolgt. Auf vier Jahre Hausarrest folgten erniedrigende Wanderjahre, wie in seiner Opern-Anfängerzeit: ein Auftrag hier, einer dort...
Behielt zuletzt doch sein Vater recht, ein Musiker, der den Sohn um keinen Preis im gleichen Metier sehen wollte? 1798 noch ein Comeback-Versuch in Paris, enthusiastischer Empfang, aber keine Arbeit mehr für Piccinni, seine Zeit abgelaufen: 1800 fällt der Vorhang über dieser Geschichte von Aufstieg und Fall eines der europäischen Opern-Regenten des 18. Jahrhunderts.
Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 23. Oktober 2008, 15:06 Uhr