Markenprodukte als Nationalsymbole

Typisch österreichisch

Eine Gruppe von Menschen, die sich untereinander nicht kennen, muss daran glauben, dass sie zusammengehört. Um sich als "imaginäre Gemeinschaft" alias Nation verstehen zu können, braucht es unter anderem Erfahrungen, die im Alltag verankert sind.

Konsumgüter, die dank ihrer patriotischen Aufladung als Leitprodukte einer ganzen Nation in Selbst- und Fremdwahrnehmung taugen, nennt der Wirtschaftshistoriker Oliver Kühschelm "Vehikel der Nationalisierung". Was wir konsumieren, kaufen und rezipieren, sickert in den Alltag und die Biografien, stiftet Gemeinschaft.

Als Rückenpolster nationaler Identität fungieren in Österreich Marken wie Manner, Meinl, Swarowski, Mirabell, Atomic und Austrian Airlines. Und wer sich, wie Oliver Kühschelm, mit der Haftkraft dieser Unternehmen für das von wenig Selbstvertrauen getragene kleine Österreich der Nachkriegszeit beschäftigt, kann viel über die Logiken junger Massenkonsumgesellschaften lernen. Man will was aus sich machen und ruft ein nationales Projekt auf den Plan, das sich mit der Kleinstaatlichkeit versöhnt und dem nationalsozialistischen Erbe verweigert hat: Wir sind ab nun, was wir konsumieren.

Manner und das süße Wiener Mädel

An dem patriarchalisch-bürgerlichen Familienunternehmen Manner kleben bis heute der kleine verborgene Luxus und die Prüderie der Aufbaujahre, Bieder- und Gemütlichkeit. Firmenfarbe altrosa, Schnitten- und Kochschokoladeproduzent mit Exportschmäh "süße Donaumonarchie". Da gibt es Geschichten vom Wiener Bonbon-Ball in den 1960er Jahren, wo die "Miss Manner" in Schnitten aufgewogen wurde, um sodann nach München zu einer Messe geschickt zu werden, wo das süße Wiener Mädel - Brust heraus - aus dem Flugzeug steigt, in Rosa gewandet und mit Mini-Stephansturm unterm Arm, um die Allegorie des Bayerntums, einen Münchner Bazi mit Bierkrug, zu begrüßen. Die Kameras sind dabei.

Manner nährt also die Stereotypen und 700 Mitarbeiter, seit den 1890er Jahren ist das Unternehmen durchgehend - nicht zuletzt dank Verstrickung während der NS-Zeit - in den schwarzen Zahlen, hält im Waffelsegment 50 Prozent Marktanteil und gilt als "letzter Mohikaner" der österreichischen Süßwarenindustrie; immerhin hat man sich erfolgreich gegen die "vaterlandslosen Multis" zur Wehr gesetzt.

Überall erhältlich

Die "süße Wurstsemmel" (Zitat Christoph Wagner) ist Symbol des genuin Wienerischen, versetzt mit einem gehörigen Schuss Retro-Charme und ein Mythos, den selbst Carl Manner, pensionierter Vorstand, mit dem Satz "Wir werden über unsere Umsatzbedeutung hinaus bewertet" nüchtern, wenn auch freudig kommentiert.

Das effektive Vertriebsnetz des Paradeprodukts mit dem Stephansdom als Markenzeichen scheint das Erfolgsgeheimnis zu sein: Man bekommt die Schnitten auf Skihütten, am Buffet der Wiener Staatsoper und sogar beim Greißler in New York. Ein Produkt, das die Nation eint, sagt Oliver Kühschelm. "Die Schnitten repräsentieren Erfahrungen aus der Kindheit, sind assoziiert mit Geborgenheit, dem Süßen, Unschuldigen, Weiblichen und Kindlichen. Damit identifiziert sich der Konsument als Individuum und der Staatsbürger in einer von der Vergangenheit unbelasteten Nation."

Nichts wie abfahren

Nicht unbelastet und beschaulich, vielmehr belastbar, bodenständig und geländegängig ein anderes Beispiel: der österreichische Ski. Marken wie Atomic, Kneissl oder Fischer gelten bis in die 1980er Jahre als das alpenländisch gefärbte Symbol einer Gesellschaft, die sich zur erfolgreichen Industrienation hinaufschraubt.

Der Puch 500 bleibt ja bekanntlich hängen. Die Ski setzen sich durch. Allein Fischer produzierte im Jahr 1960 120.000 Paar Ski, man wird trotz schwerer Krisen in den 1980ern, Konkursen und nationalistisch aufgeladener Agitation gegen die französische Konkurrenz Rossignol und Salomon weiterhin (und bis heute) den Weltmarkt mit 60 Prozent beherrschen.

Bis hin, dass man sich mit dem Carving-Ski dem Snowboard anbiedert und damit verjüngt, funktioniert die Masche: Dem großen Bruder Deutschland mit seinen protzigen Autos, der peniblen Schweiz mit ihren Uhren oder dem einparfümierten Frankreich fährt man - einen Pack von olympiareifen "Sportskanonen" unterm Arm - auf diese Weise davon. Skifahren ist teures Freizeitvergnügen, wird aber zum Must einer Nation. Es ist Symbol für den Aufstieg in die Mittelschicht.

Ich flieg zu dir und du zu mir

"Auch für Österreich ist Platz am Himmel", titelt man 1958 im Kleinen Volksblatt. Die Austrian Airlines nehmen ihren Flugbetrieb auf. Bis in die 1970er Jahre sind sie ein betriebs- und marktwirtschaftliches Fiasko, dann erholt sich das verstaatlichte Management. Klingende Zeiten, in denen jede Landung mit Applaus quittiert wurde. Die sind vorbei.

Dieser Tage wird der Wert der AUA mit Sätzen wie "Auch gratis noch zu teuer" in den Medien kommentiert. In den 1970er Jahren wäre ein Verkauf noch eine nationale Katastrophe gewesen, so Oliver Kühschelm, heute - solange die rot-weiß-roten Heckflossen bleiben, wird wohl kein Schrei durch die Nation hallen. Dazu ist Österreich ein wirtschaftlich zu erfolgreiches Land, und die "friendly Airline" grundsätzlich zu defensiv in ihrem Image.

Identität hat sich stabilisiert

Eine postmoderne Erlebnisgesellschaft differenziert die Angebote, aus denen man Identität zusammenkratzt. Der Wohlstand lässt über die Grenzen blicken, das Territorium verliert an Zugkraft, Individualität tritt hervor. Oliver Kühschelm spricht von "banalem Nationalismus" und den Orientierungspunkten in einer "nationalen Produktlandschaft": Aus Hofer wird dann Aldi, aus Eskimo Langnese, die Postkästen haben eine andere Form und Farbe, die Zusammensetzung der Automarken ergibt ein spezifisches Straßenbild.

An solchen Details krallt man sich - konsumierenderweise - fest, sagt Oliver Kühschelm, um souverän zu sein, zu wissen, wer man ist, wo man hingehört. Auch wenn Raider seit den 1990ern für alle Twix heißt. Dafür bleibt der Erdäpfelsalat Erdäpfelsalat.

Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 25. Oktober 2008, 17:05 Uhr

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