Wie viele Symphonien schrieb Schubert?
Der posthume Symphoniker
1823, als er sechs Symphonien abgeschlossen hatte, schrieb Schubert: "Da ich fürs ganze Orchester eigentlich nichts besitze, welches ich mit ruhigem Gewissen in die Welt hinaus schicken könnte, kann ich Ihnen bei dieser Gelegenheit nicht dienen."
8. April 2017, 21:58
"Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück!" - dieses Gedicht stammt zwar nicht von ihm, aber Schubert selbst hat diese Zeile so formuliert und komponiert. Man kann sie als schicksalhaftes Motto seines unerfüllten Traums vom Erfolg als Symphoniker betrachten.
Denn in der Antwort auf die Anfrage nach seinen Orchesterwerken im Jahr 1823 hat er auf "viele Stücke großer Meister" hingewiesen "z. B. von Beethoven: Ouvertüren aus Prometheus, Egmont, Coriolan etc." und mit den Worten geschlossen: "So muss ich recht herzlich um Verzeihung bitten, Ihnen bei dieser Gelegenheit - nicht dienen zu können, indem es mir nachteilig sein müsste mit etwas Mittelmäßigem aufzutreten."
Vorbild Beethoven
In dieser Zeit begann Schubert, sein Liedschaffen ein wenig einzuschränken und sich auf Kammermusik zu konzentrieren, die er als Vorstufe für seinen Weg zur "großen Symphonie" ansah. Bereits 1824 in Zseliz (Ungarn) wollte er an die Arbeit gehen, doch erst ein Jahr später in Gmunden kam es tatsächlich dazu. Die fertige Symphonie in C-Dur widmete er 1826 dem Musikverein - später - nach seinem Tod nannte man sie dann die "Große". Dazwischen ist die Unvollendete entstanden, deren beide fertige Sätze er als Geschenk an den steirischen Musikverein verwendet hat.
Es gibt also acht aufführbare Symphonien, eine davon mit nur zwei Sätzen, deren Partituren Schubert vollständig instrumentiert hat.
Rezeption mit Hindernissen
Schon deren Zählung hat im Lauf der Zeit viel zur Verwirrung der Konzertbesucher beigetragen. Da gibt es zunächst die ersten sechs Symphonien, die Jugendwerke, die in mancher Hinsicht Vorbildern - Haydn, Mozart, Beethoven und Rossini - verpflichtet sind, andererseits aber auch Zeugnisse einer starken eigenständigen Persönlichkeit. Doch dann wird es kompliziert. Zumindest heute.
Im 19. Jahrhundert hat man es sich noch einfach gemacht und die beiden restlichen spielbaren Werke in der Reihenfolge ihrer Uraufführung gezählt: die "große" C-Dur-Symphonie als 7. und die "Unvollendete" in h-Moll als 8. Symphonie. Mit den Fortschritten der Schubert-Forschung änderte sich die Lage mehrmals. Es wurde zwar noch immer keine weitere spielbare Partitur entdeckt, trotzdem weiß ein in Leipzig erschienener Konzertführer aus dem Jahre 1974 bereits von zehn Symphonien zu berichten. Der Autor bezieht symphonische Skizzen in D-Dur aus dem Jahre 1818 ein; da die sechs abgeschlossenen Jugendwerke damals bereits vorlagen, konnte er diese Skizzen als 7. Symphonie zählen, das E-Dur-Fragment aus dem Jahre 1821 als 8., die "Unvollendete" als 9. und die "große" C-Dur als 10. Symphonie.
Folgt man diesem Prinzip, alle Fragmente in die Zählung einzubeziehen, konsequent, so führt es sich von selbst ad absurdum. In jüngerer Zeit haben sich nun neue Einblicke in Schuberts symphonische Arbeit ergeben: wahrscheinlich hat er sogar an 13 verschiedenen Symphonien gearbeitet. Wollte man sie alle nummerieren, gäbe es eine heillose Verwirrung.
Posthume Bearbeitungen
Wenn wir uns nicht Zählungen beschäftigen, sondern mit Werken beziehungsweise Skizzen, die nach seinem Tod - durch tatkräftige Hilfe der Nachwelt - aufführbar gemacht wurden, so kommen wir in jüngerer Zeit etwa zu Brian Newbould und Sir Neville Marriner. Der hat nicht nur Newboulds Vollendung der Unvollendeten in seine CD-Box mit der Academy of St. Martin in the fields inkludiert (Philips), sondern auch mehrere vollständige Symphonien, die erst durch Newboulds Arbeit zu aufführbaren Werken geworden sind.
Insgesamt - so heißt es im Titel der Box - geht es um die zehn Symphonien Schuberts. Seinem Ziel am nächsten kommt Newbould wohl bei der - nach seiner Zählung - siebenten Symphonie, jene in e-Moll, deren Skizzen die Deutschverzeichnisnummer 729 tragen, von der immerhin 1.300 Takte von Schuberts Hand geschrieben worden sind. 950 davon allerdings nur in einer einzelnen Notenzeile. Der starke melodische Reiz, die umsichtige Vorgangsweise Newboulds bei der Bearbeitung und die Qualität der Interpretation der Academy of St. Martin in the fields unter Sir Neville Marriner machen diese posthume Symphonie Schuberts durchaus hörenswert. Die Sätze: Adagio-Allegro, der zweite Satz ist ein typisches Schubertsches Andante, Wandern war ein Lebenselixier für ihn, der dritte ist ein Scherzo-Allergo, und der vierte trägt die Bezeichnung Allegro giusto.
Knapp vor der Unvollendeten ist dieser symphonische Entwurf Schuberts entstanden. Und 1982 wurde er in Newboulds Bearbeitung von der Academy of St. Martin in the fields unter Neville Marriner in London aufgenommen.
Der Liederfürst
Im Lied unbestritten, war Schubert für seine Zeitgenossen als Komponist von Symphonien gar nicht existent. Öffentliche Aufführungen seiner Symphonien hat er nicht erlebt. Die sechs Jugendwerke waren teils für das Konvikt geschrieben worden und erklangen zu Schuberts Lebzeiten nur im privaten Kreis. Das war auch einer der Gründe, warum er als Symphoniker auch in der Nachwelt lange Zeit nicht für voll genommen wurde.
Schubert-Kenner Harnoncourt
Nikolaus Harnoncourt kritisierte diese Voreingenommenheit im 19. Jahrhundert und findet es bezeichnend, "was Brahms bei der Edition der ersten Schubert-Ausgabe machte. Da kann man eine fast oberlehrerhafte Einstellung erkennen. Der arme kleine Komponist, der nie aufgeführt worden ist, der überhaupt nicht wirklich gewusst hat, wie ein Symphonieorchester klingt, wie die spielen und was sie machen - man hat da dieses Bisschen Konviktsorchester ganz vernachlässigt. Da heißt es, das ist genial in der Idee, aber in der Ausführung eigentlich unmöglich, und so wird halt herumkorrigiert. Wenn sie sich anschauen, was Brahms bei der 4. Symphonie gemacht hat, nur mal bei der 4. Symphonie. Da hat er sogar ins Autograph hineingeschrieben. Das sehen wir im Musikvereinsarchiv. Und der Mandyczewski (Brahms' Freund und damaliger Leiter des Archivs) hat auch Bemerkungen hineingeschrieben. Und dabei haben sie sogar gegenteilige Meinungen vertreten, ja, nein, oder: machen wir's doch so. Daran lässt sich einiges erkennen und auch daran, wie die Ausgabe dann endgültig im Druck ausgesehen hat."
Schubert-Förderer Brahms
Wir wissen erst seit wenigen Jahrzehnten, dass die sagenhafte Gasteiner Symphonie nicht verschollen ist, sondern ident mit der sogenannten "großen" C-Dur-Symphonie. Robert Schumann, der das nicht wusste, hat die als Gran Duo 1838 veröffentlichte C-Dur-Klaviersonate für vier Hände Deutsch-Verzeichnis 812 für die "Gasteiner Symphonie" gehalten. Der symphonische Charakter des Werkes hat nicht nur Schumann zu dieser kühnen aber wohlmeinenden Schlussfolgerung veranlasst, sondern auch seinen Freund Johannes Brahms von der Notwendigkeit einer Instrumentation überzeugt.
Auf dessen Drängen instrumentierte Joseph Joachim die Sonate, und Brahms dirigierte am 10. November 1872 im Großen Musikvereinssaal in Wien die Uraufführung dieser posthumen "Schubert-Symphonie". Vor etwa zwei Jahrzehnten hat Claudio Abbado dieses Grand Duo in der Joachim-Orchesterfassung als "posthume Symphonie" in seine Gesamtaufnahme der Schubert Symphonien mit dem Chamber Orchestra of Europe inkludiert (DG).
Hör-Tipp
Musikgalerie, Montag, 27. Oktober 2008, 10:05 Uhr