Gutes wollen und Böses schaffen

Magma

Michael Stavaric' neuer Text ist in rhythmische Blöcke gegliedert - fast wie die Strophen eines Liedes oder einer biblischen Erzählung. Und so gelingt es ihm, "Magma" in einer ganz anderen Sprache zu schreiben als seine beiden letzten Romane.

Und dann sitzt man im Theater und auf der Bühne steht ein Schauspieler und hält eine Stunde lang einen Monolog, also eigentlich eine Lesung - oder man geht zu einer Lesung und bekommt ein Popkonzert mit Kabaretteinlage. Oder außen auf dem Buch steht "Roman" und drinnen ist eine 240 Seiten lange Aufzählung historischer Begebenheiten mit einem dünnen Geschichtchen dazwischen. Was für eine Avantgarde, die Genres sprengt und sich dann doch - clever geschäftstüchtig - ihrer altmodischen, aber verkaufbaren Hüllen bedient.

Bei "Magma" muss man zumindest nicht überrascht tun, denn nach den ersten beiden Büchern von Michael Stavaric wird sich ja kaum mehr einer ein Werk im Stile der "Buddenbroks" erwartet haben. Um die Handlung ist es dem Autor ohnehin noch nie gegangen, vielmehr um das "Wie etwas erzählt wird":

"Was ich bewusst betreibe, ist eine Art formale Konzeption, wo ich mir lang überlege, in welcher Art von Sprache ich welche Geschichte erzählen will", so Michael Stavaric im Gespräch. "Mir ist die Sprache an sich ein großes Anliegen - also ich will weniger über die Inhaltsebene operieren und viel mehr mittels der Sprache oder mittels eines gewissen Duktus' die Geschichte halt erzählt wissen."

Epochale Bilder mit erdenschweren Formulierungen

Form besiegt Inhalt und wird so gleichermaßen selbst zum Inhalt. Der gesamte Text ist in rhythmische Blöcke gegliedert - fast wie die Strophen eines Liedes oder einer biblischen Erzählung. Stavaric gelingt es, "Magma" tatsächlich in einer ganz anderen Sprache zu schreiben als die beiden letzten Romane. Während es bei "Stilborn" und "Terminifera" die stakkato-artigen Assoziationsketten, die rastlose Innenschau, eine Art Gedankenrausch der Protagonisten war, dominiert jetzt eine neue "Sprachgewalt" oder eben eine "gewaltige Sprache".

Epochale Bilder mit erdenschweren Formulierungen - da gibt es unzählige: "ich meine, fortan, ebenda, bisweilen und bald geschah dieses und jenes". Um dann aber gleich in der nächsten Zeile von einer zeitgemäßen Flapsigkeit wie: "jemand ist pleite", oder "kam nicht schnell genug in die Gänge" oder hatte "Matsch in der Birne" abgelöst zu werden.

Kulturgeschichtliche Anekdoten

Worum geht es in diesem Buch? "Magma" besteht aus sorgfältig ausgewählten, kulturgeschichtlichen Fakten und Anekdoten, vom 16. bis ins 19. Jahrhundert. Der Fokus liegt auf Fortschritt, Erfindungen und den dazugehörigen Rückschlägen. Und mittendrin lebt ein Zoohändler, ein eher zurückhaltender Typ: normaler Job, zwei, drei Bekannte, keine Frau. Am liebsten ist ihm sein Goldhamster Bruno, und mit ihm spricht er auch über sein außergewöhnliches Schicksal. Er ist es nämlich, der die Geschicke der Welt seit Jahrhunderten bestimmt, unbewusst und ungewollt und vor allem immer, wenn er mit Wasser in Berührung kommt, da geschieht dann ein Unglück.

Von einem selbstbewussten Macher wie "Mephisto" ist dieser allmächtige Zoohändler allerdings weit entfernt. Er hat eher sehr menschliche Eigenschaften, ist selbst ein Spielball des Schicksals, auch wenn er es schon gerne hie und da herausfordert.

"Das einzige, was man, glaub ich, zu ihm sagen kann, ist, dass er nicht ausschließlich ein böser zynischer Geist ist, sondern jemand, der sehr wohl das Gute will und Böses schafft manchmal, also ganz im Sinne eines Mephisto, wie er oft in der Litaraturgeschichte aufgetreten ist", so Stavaric über seine Hauptfigur. "Ich glaube, ich wollte mir auch einen ganz persönlichen kleinen Traum damit verwirklichen, nämlich so eine Figur zu schaffen, die mit einer gewissen Hybris und mit einer gewissen Naivität agiert, die biblisch interpretierbar ist und die aber dann doch eine sehr armselige Gestalt ist und nichts zum Besseren wenden kann und die letztendlich mit all ihren Utopien und Plänen und Absichten, die sich im Kopf abspielen, scheitert."

Fakten und Fiktion vermischt

Dem Leser wird es zunächst nicht leicht gemacht, denn er muss sich im ersten Drittel des Buches ganz allein in der Fülle der kulturgeschichtlichen Fakten zurechtfinden und weiß lange Zeit nicht, ob ihn da sozusagen überhaupt noch mal jemand an der Hand nehmen wird. Aber dann kommt sie, die wirklich charmante Geschichte des traurigen Zoohändlers, und ganz oft muss man bei der Lektüre lächeln, denn da gibt es Zartheit, Witz und viele freche Zwischentöne. Sofort schließt man die Protagonisten ins Herz, hofft auf ein Happy End, das natürlich so nicht kommt.

Was der Autor virtuos betreibt, ist das Vermischen von realen Fakten und Fiktion, ein anregendes Spiel mit der Imaginationsfähigkeit des Lesers und seinem Willen, das geschriebene Wort zu glauben. Ist die Geschichte über Pierre Simon de Laplace nun tatsächlich so geschehen? Steht das irgendwo? Ist das eigentlich bewiesen? Und, ist dieser Zoohändler wirklich ein Gott oder einfach nur ein verrückter einsamer Typ, der viel gelesen hat und der mit seinem Hamster spricht? Sind alle historischen Begebenheiten, ist die Menschheitsgeschichte in jeden von uns eingeschrieben oder wissen wir am Ende gar nichts?

"Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass Leser in der Vergangenheit viel eher die Muster ihrer eigenen Gegenwart erkennen und daraus letztlich Rückschlüsse für ihr Präsenz viel leichter ziehen als würde die Handlung gleich in der Gegenwart spielen", meint Stavaric. Es geht weniger darum, geschichtliche Ereignisse aufzubereiten als mittels dieser Ereignisse eine Aussage über das Jetzt zu tätigen und gleichzeitig zu zeigen, wie Geschichte manipuliert wird und wie wir selber manipuliert werden, indem wir nie wissen, was die Wahrheit ist."

Teil einer Geschichte werden

Nach so vielen Umwälzungen ist auch der Zoohändler gegen Ende ziemlich geschafft, auf einer der letzten Seiten sagt er noch einmal: "Ich möchte mich an alles erinnern, was war und was hätte sein können, das Schicksal spielen, das Schicksal herausfordern - ich will Geschichte schreiben." Wollen wir das nicht alle?

"Geschichte definiert sich über andere Menschen", findet Stavaric, "und je mehr Menschen man als Künstler erreichen kann, umso mehr hat man die Möglichkeit, vielleicht selber Teil einer Geschichte zu werden - aber ganz gewiss auch nur eine Fußnote wie so viele in diesem Buch."

So viel Bescheidenheit steht nicht nur einem Zoohändler gut zu Gesicht. Im nächsten Frühjahr wird Michael Stavaric sein erstes Buch bei C. H. Beck veröffentlichen.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Michael Stavaric, "Magma", Residenz Verlag

Link
Residenz Verlag - Magma