Das Leben des Armenarztes Eduard Bloch
Hitlers Edeljude
Auf seine Memoiren und bisher unbekannte Quellen gestützt, arbeitet Hamann in ihrem Buch die Lebensgeschichte des aus Böhmen gebürtigen Mediziners Eduard Bloch heraus, eines frommen Juden, der 1907 zum Hausarzt der Familie Hitler in Linz wurde.
8. April 2017, 21:58
Am 14. Januar 1907 erschien in der Arztpraxis von Dr. Eduard Bloch in der Landstraße 12 in Linz eine 46-jährige Patientin, die über heftige Schmerzen in der Brust klagte. Ihr Name: Klara Hitler. Dr. Bloch untersuchte die Frau, diagnostizierte Brustkrebs, damals de facto ein Todesurteil.
"Ich sagte der Patientin nichts von meinem traurigen Befunde," erinnerte sich Bloch 1942 in seinen in New York niedergeschriebenen Lebenserinnerungen, aus denen Brigitte Hamann in ihrem Buch erstmals zitiert:
"Ich beruhigte die Frau, so gut dies eben in einem solchen Falle möglich ist, deutete aber die Notwendigkeit einer Operation an; inzwischen verschrieb ich ihr ein schmerzstillendes Mittel, das des Nachts wenigstens ihre Schmerzen bannen sollte. Ich bat die Kinder Frau Hitlers zu mir, darunter Frau Raubal, die Gattin eines Linzer Steuerbeamten, und den jüngsten Sohn Adolf Hitler. Anschließend teilte ich der Familie rückhaltlos den Befund mit: die einzige Möglichkeit, das Leben der Mutter zu verlängern, sei eine radicale Operation."
Die Operation erfolgte vier Tage später im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Linz. Allein, Klara Hitler starb elf Monate später nach langem, qualvollem Siechtum. Ihr Hausarzt, der Jude Eduard Bloch, kümmerte sich bis zum Tod der "Zollamtsoberoffizialswitwe" hingebungsvoll um seine Patientin, was ihm die glühende Liebe ihres Sohnes Adolf eintrug, den Bloch ebenfalls einiger kleinerer Wehwehchen wegen behandelte.
Alles andere als geldgirieg
Brigitte Hamann hat für die Arbeit an ihrer Biographie nicht nur Blochs unveröffentlichte Memoiren, sondern auch andere bisher unbekannte Quellen erschlossen. "Dieser Eduard Bloch ist deshalb ein interessanter Mann, weil er eigentlich ein ganz schlichter und sehr demütiger, sehr frommer Mann war, der täglich in den Tempel ging, um für seine Patienten zu beten", erzählt Brigitte Hamann. "Jede Art von Egozentrik war ihm fremd, er hat sich immer auf die Menschen konzentriert und auf die Frage, wie man ihnen helfen kann. Er hat bisweilen auch sein letztes Geld gespendet, wenn mittellose Patienten ihn darum gebeten haben. Das heißt, die kriegten zusätzlich noch Geld von ihm, obwohl sie schon für die Behandlung nichts hatten bezahlen müssen."
Entsprechend populär war Dr. Bloch in weiten Kreisen der Linzer Bevölkerung. Für die Behandlung Klara Hitlers in ihrer letzten Lebensphase - die sich über insgesamt sieben Wochen hinzog - verrechnete er ein Pauschalhonorar von 300 Kronen: Das machte bei 42 Krankenbesuchen ein Honorar von 4 Kronen pro Behandlung, ein lächerlich niedriger Betrag, der alle antisemitischen Klischees von den angeblich so geldgierigen Juden Lügen strafte. Adolf Hitler jedenfalls, der kunstbegeisterte Sohn der Verstorbenen, fasste eine innige Zuneigung zu Dr. Bloch.
"Das war eine ganz, ganz große Sympathie zwischen dem jüdischen Armenarzt und diesem Jüngling von 16, 17 Jahren, der ja damals noch kein Antisemit war, das muss man immer wieder betonen", so Hamann. "Die Hinwendung Hitlers zum Antisemitismus vollzog sich erst 1918/19, nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg."
Engagierter Arzt
Während Dr. Bloch sich über die Jahre und Jahrzehnte hinweg um seine Patienten sorgte und kümmerte, machte sein einstiger Patient Adolf Hitler eine politische Karriere, die ihresgleichen suchte: Am 12. März 1938 zog Hitler als stürmisch umjubelter Okkupant in Linz ein. Beim abendlichen Empfang im Rathaus erkundigte sich der "Führer und Reichskanzler" nach dem einstigen Hausarzt seiner Familie. Zu einem persönlichen Treffen mit Bloch kam es allerdings nicht.
"Er hat sich schon auch erinnert, aber er konnte sich nicht mehr leisten, einen persönlichen Kontakt zu einem sogenannten 'Edeljuden' zu haben", erzählt Hamann. "Schon an diesem Abend im März 38 in Linz hat er einen der lokalen Funktionäre gefragt: 'Sagen Sie, wie geht es meinem lieben, alten Dr. Bloch?' Und dann hat er hinzugefügt: 'Wenn alle Juden so wären wie er, dann gäbe es keinen Antisemitismus.' Das ist natürlich ein schwachsinniger Satz, den hat man damals oft gehört. Aber der alte Dr. Bloch war doch gerührt, als er das hörte, er freute sich."
Emigration nach New York
Klara Hitlers früherer Arzt wurde unter den Schutz der Linzer Gestapo gestellt: Bloch und seiner Frau dürfe kein Haar gekrümmt werden, hieß es. Die Blochs wurden ihres Lebens im nationalsozialistischen Linz dennoch nicht froh. Flucht, Vertreibung und Deportation sorgten dafür, dass sich die Zahl der Jüdinnen und Juden in der Stadt rasch reduzierte.
Ende 1940 emigrierten auch die Blochs. Am 9. Januar 1941 trafen sie an Bord der "Marques de Comillas" in New York ein, wo sie von Tochter, Schwiegersohn und Enkelkindern, die bereits in die USA vorausgereist waren, enthusiastisch empfangen wurden.
"Da zogen sie dann in der Bronx in den fünften Stock eines riesengroßen Hauses, ohne Lift natürlich", so Hamann. "Er hatte großes, großes Heimweh nach Linz, aber auch nach Böhmen. Er war ja aus Böhmen, sein Vater war Hofjude bei den Schwarzenbergs, worauf er sehr stolz war. Er hat sich dann die Zeit damit vertrieben, seine Memoiren zu schreiben, in deutscher Sprache. Und die sind ja die Grundlage für mein Buch."
Eduard Bloch starb am 1. Juni 1945 in New York. Auch wenn man nicht allen Verästelungen der Blochschen Familiengeschichte, die Brigitte Hamann in ihrem Buch detailfreudig ausbreitet, mit gleichbleibendem Interesse folgt: Mit ihrer Biografie hat Hamann einem bemerkenswerten Mann ein mehr als würdiges Denkmal gesetzt.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Brigitte Hamann, "Hitlers Edeljude. Das Leben des Armenarztes Eduard Bloch", Piper Verlag
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Piper Verlag - Hitlers Edeljude