Neues vom Plattenmarkt

Bellinis "La sonnambula" à la Malibran

Das Dauer-Lamento über die Krise der CD-Industrie kann Pause machen: Sie ist heraußen, Cecilia Bartolis und Juan Diego Florez' erste gemeinsame Schallplatten-Gesamtaufnahme. "La sonnambula" von Vincenzo Bellini.

Gleich mehrere Aufkleber trägt die neue Studio-Gesamteinspielung von Vincenzo Bellinis "La sonnambula". "Erste Aufnahmen-Zusammenarbeit von Cecilia Bartoli und Juan Diego Florez". "Erste Aufnahme mit einem Mezzosopran als Amina" - weil die Bartoli in ihren aktuellen Projekten als Reinkarnation von Maria Malibran auftritt, der vielfach Komponisten-inspirierenden Primadonna der Rossini- und Bellini-Zeit. (Und das, obwohl die Stimm-Klangfarbe der Bartoli manchmal gar nicht mehr wie ein Mezzo klingt, sondern eher wie nach Inhalation einer Menge von Elisabeth-Schwarzkopf-Platten...)

Außerdem: "Erste Aufnahme mit einem Orchester auf historischen Instrumenten" - dem "Orchestra la Scintilla" des Züricher Opernhauses, geleitet vom langjährigen René-Jacobs-Weggefährten Alessandro de Marchi.

Sänger-Fest ohne Spitzentöne

In Baden-Baden im April, konzertant "live", mit einem anderen, weniger prominenten Tenor, war die "Sonnambula" mit Cecilia Bartoli vielleicht einen Hauch spontaner als im Studio, aber trotzdem: ein Glück, dieses Sängerinnen- und Sänger-Gipfeltreffen für Bellini zu haben, auch noch mit Ildebrando d'Arcangelo, Gemma Bertagnoli, Liliana Nikiteanu. Eine Warnung ist dennoch nötig: Mit stilfremden Spitzentönen wird bei dieser "Nachtwandlerin" gespart. Der Haupt-Akzent liegt auf dem intimen Ton, auf lebendigem Wort-Vortrag, auf Klangfarben, auf dem terzenseligen Zusammenklang der Stimmen von Bartoli und Florez - und auf der unendlichen Melancholie, deren Meister Bellini mit seinen "melodie lunghe, lunghe, lunghe" (Giuseppe Verdis Worte) gewesen ist.

In Rage arbeitet sich Cecilia Bartoli nur, wenn Amina nach der ersten Nachtwandel-Episode im Bett des Bassisten aufwacht und damit mit einem Schlag zur Ausgestoßenen wird: Amüsant, ihr plötzlich wild attackierendes Singen parallel zu dem von Juan Diego Florez zu hören, den auch in solchen Momenten musikalisch nichts aus der Ruhe bringt.

Amina, eine Partie für Mezzosopran?

Welche Sängerinnen haben der Rolle der unschuldig der Untreue angeklagten, zu Tode betrübten und am Ende der Oper doch himmelhoch jauchzenden Amina ihren Stempel aufgedrückt? Maria Callas natürlich, Joan Sutherland, Renata Scotto, Edita Gruberova, Natalie Dessay - alles Sopranistinnen! Speziell der Final-Arie der Protagonistin wird entgegengefiebert, in Erwartung eines vokalen Trapezaktes, mit Koloraturen in den höchsten Sopranhöhen.

Wie kann es dann aber sein, dass zur Bellini-Zeit die beiden prominentesten Interpretinnen der "Sonnambula" Mezzosopranistinnen waren: Giuditta Pasta, die Uraufführungs-Amina, und Maria Malibran? Ist die "Aufführungstradition" seither übermächtig geworden gegenüber dem, was in den Noten steht?

Als - vor Jahren schon! - Cecilia Bartoli ihren Wunsch bekundete, die Bellini-Oper an der Wiener Staatsoper in einer Neuproduktion zu singen, kam der Begriff einer angeblich existierenden historischen "Malibran-Fassung" zu Ehren: Von ihr erwartete man sich ähnlich starke musikalische Veränderungen wie in der Umarbeitung, teils auch Neukomposition von "I Puritani", mit der Vincenzo Bellini "der" Malibran seine Reverenz erwiesen hat.

Auf der Suche nach "authentischem" Bellini-Gesangsstil

Mittlerweile, auch dank der von Cecilia Bartoli bei ihrem Malibran-Projekt (samt von Konzertlocation zu Konzertlocation mit ihr reisendem Museumsbus!) geleisteten musikwissenschaftlichen "Nachhilfe", ist klar: Im Fall von "La sonnambula" gibt es keine solche Mezzo-Version der Oper. Es genügt, zu den musikalischen Quellen und zur Orchesterstimmung der 1830er Jahre zurückzukehren, und zum Vorschein kommt eine Partie, die ohne Krampf vom Typus "Mezzosopran" des 21. Jahrhunderts zu erfüllen ist - vor allem dann, wenn sich "Virtuosität" à la Malibran in quecksilbriger, farbenreicher Beweglichkeit äußert, nicht in herausgepfiffenen "acuti".

Pointe am Rande: Drei Musiknummern sind in der Neuaufnahme eingestandenermaßen transponiert, aber nicht wegen Cecilia Bartoli, sondern wegen Juan Diego Florez. Selbst ein so unerschütterlich höhensicherer Tenor wie er kommt mit heutiger Gesangstechnik nicht mit Bellinis Schreibweise klar, die auf den "Wundertenor" der 1830er Jahre, Giovanni Battista Rubini, abgestimmt war. Ein Sänger, der sich auf die Spuren Rubinis begeben will wie Cecilia Bartoli auf die von Maria Malibran, müsste schon ab mittlerer Tonhöhe im Falsett singen, ähnlich heutigen Countertenören. Wer schafft, wer riskiert es als erster?

Bellinis "La straniera"

"Belcanto" auf historischem Instrumentarium, das ist ein Trend, der sich verstärken wird. (Bald kommt René Jacobs mit Rossini ins Theater an der Wien, Marc Minkowski hat eben in Brüssel seine erste "Cenerentola" dirigiert.) Auch das britische Authentizitäts-Fanatiker-Opernlabel Opera Rara hat für seine akribisch recherchierten CD-Produktionen früher bereits das "Orchestra of the Age of Enlightenment" engagiert, mit dem Simon Rattle oder Charles Mackerras gearbeitet haben.

Leider fährt über die parallel zur "Sonnambula" der Decca erschienene "OR"-Neuaufnahme von Vincenzo Bellinis im Opernalltag inexistenter früher "Straniera" wieder die Walze des London Philharmonic Orchestra unter der Leitung des seit Jahrzehnten verdienten Opera-Rara-"Hausdirigenten" David Parry drüber, und trotz der Bellini-erfahrenen Patrizia Ciofi in der weiblichen Hauptrolle wird allzu oft die Keule einer pauschalen Opern-"Dramatik" geschwungen, die vielleicht zum frühen Verdi passt - vielleicht aber nicht einmal zu ihm.

Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 30. Oktober 2008, 15:06 Uhr

CD-Tipps
Bellini, "La sonnambula" Bartoli, Florez, d'Arcangelo; de Marchi, Decca
Bellini, "La straniera", Ciofi, Schmunck, Shkosa; Parry, Opera Rara