... im Kampf gegen die Zeit
Kleine Siege
Was tun wir nicht alles, um das stete Verrinnen der Zeit zumindest zu bremsen! George Sand kochte Marmelade ein und nannte es "den Sommer bewahren". Manche setzen auf "Wellness", um die Folgen der Zeit zu mindern. Und dann gibt es noch das Foto.
8. April 2017, 21:58
Geben Sie es zu, auch Sie haben sich schon über sie lustig gemacht, die Touristen aus den fernen asiatischen Ländern, die die bereisten Gegenden überhaupt nur durch das Objektiv der Kamera sehen. Und Klick und Klick und Klick. Als müsste die Kamera die Sonnenbrille ersetzen, ist sie ständig vor dem Auge, denn alles und jeder wird festgehalten, wird gnadenlos in reproduzierbare Lichtflecke verwandelt.
Diese Situation hat sich, zugegeben, mit Aufkommen der digitalen Kameras verbessert. Ein wenig. Die Kamera verweilt nun nicht mehr vor dem Auge, sondern in einem guten Abstand vom Gesicht, um den Ausschnitt der Wirklichkeit zu überprüfen, die gleich in Pixel zerlegt und hoffentlich für immer auf dem Chip geparkt wird.
O nein, das soll nun kein Lamentieren über den raschen Fortschritt der Technik werden, dazu, liebe Leser, bin ich noch zu jung! Und es soll auch kein Sinnieren über die trügerische Hoffnung des "für immer" werden, das es bekanntlich nicht gibt, weder in der Liebe, noch sonst wo. Obwohl ich mir dennoch diese Bemerkung nicht verkneifen kann: Haben "die" uns nicht vor etwa 20 Jahren zum neuen und ultimativen Musik-Speichermedium gelockt, mit dem Hinweis auf optimale Wiedergabe und unbegrenzte und auch handliche Lagerfähigkeit? Und kaum hatten wir uns alle an die CDs gewöhnt, müssen wir schon zittern. Die Information, so schockt man uns immer wieder (sicher in der Absicht, um die noch besseren Speichermedien anzupreisen, die ganz und gar unzerstörbar sind...), löscht sich mit der Zeit, sie zerfällt. Das wäre uns mit den Schallplatten nicht passiert, die konnten nur zerkratzen, und daran war man meist selber schuld.
Bleiben wir bei den Fotos. Es gibt ganz wenige Fotografen, denen es gelingt, die Zeit einzufangen, die Magie eines Augenblicks festzuhalten. Zweien bin ich in der letzten Zeit begegnet, wörtlich und virtuell. Beide haben die flüchtigste Kunst überhaupt zum Thema gewählt, die Musik. Beziehungsweise die Musiker. Beziehungsweise die Momente zwischen der Musik.
Der eine, Barry Feinstein, begleitete Bob Dylan auf seiner ersten elektrischen Tour, Sie wissen schon, damals, als man ihn als Verräter an der puren Folklore beschimpfte, weil er wie die anderen Rockmusiker auch mit elektronischem Equipment auftrat. "Judas, Judas!" schrie einer aus dem Publikum in Manchester 1966, aber Bob reagierte absolut cool. "I don't believe you”, antwortete er, und: "You're a liar!" Dann sagte er zu seiner Band: "Play it fucking loud". Welchen Song er dann spielte, weiß ich nicht, vielleicht war es "Like a Rolling Stone"? Ist auch nicht so wichtig. Ich war bei den Fotos. Barry Feinstein begleitete Bob Dylan auf seiner Tournee 1966, und auch auf der spektakulären Comebacktournee 1974. Und die Fotos? Bob im Fond eines Wagens, Zigarette, Ehering, Sonnenbrille. Ein Mädchen sieht durchs beschlagene Wagenfenster, die Hände gefaltet, als würde sie beten. Magie eines Augenblicks.
Viele dieser magischen Augenblicke, die Barry Feinstein auf Bobs Tourneen 1966 und 1974 eingefangen hat, sind nun in "Real Moments" versammelt: Bob Dylan über eine Wiese tänzelnd, im Hintergrund englische Sozialbauten in Liverpool. Bob Dylan mit Kindern auf einer Sozialbautreppe. Bob Dylan, singend, nah. Fast meint man, ihn zu hören.
Ganz anders, aber ebenso magisch sind die Fotos, die man bis 11. Jänner im Salzburger Museum der Moderne betrachten kann: Jazzthings, von Christian Wurm. Nicht Schwarz-Weiß. Irgendwie farbig, aber keine Farbfotos. Ein wenig wie Schattenspiele. Aber auch er hat die Gabe, in seinen Fotos die Musik einzufangen. Und dem Betrachter eine Ahnung dieser Musik zu vermitteln. Sehnsucht nach wieder einmal einem ordentlichen Jazzkonzert zu wecken. Und einen kleinen Stich Bedauern, weil man gerade dieses hier abgebildete versäumt hat.
Der Krieg gegen die Zeit ist nicht zu gewinnen. Aber gute Fotos, die Vergangenes für einen Moment lebendig werden lassen, sind kleine Siege. Zumindest gegen das Vergessen.
Mehr zu Fotografie und Musik in oe1.ORF.at
Tipp
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Buch-Tipp
"Real Moments. Bob Dylan 1966 - 1974", Fotografien von Barry Feinstein, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag
Veranstaltungs-Tipp
Christian Wurm, Ausstellung "jazzthings", bis 11. Jänner 2009, Museum der Moderne Salzburg,
Ö1 Club-Mitglieder erhalten ermäßigten Eintritt (25 Prozent).
Links
Christian Wurm
Museum der Moderne