Briefe aus "China"

Der Kaiser von China

Die Reisebeschreibungen, die Tilman Rammstedt in seinem neuen Roman beschreibt, stammen nicht aus dem realen Land China, sie sind lediglich den Fantasien eines jungen Mannes entsprungen, der die fremdesten und sonderbarsten Geschichten erfindet.

In einem Interview hat Tilman Rammstedt gesagt, dass die letzten vier Monate für ihn wirklich sehr hart gewesen seien, denn mit nichts anderem mehr als nur noch dem Abschluss seines Romans "Der Kaiser von China" war er beschäftigt. Der Druck dazu ging auch vom Verlag aus, denn dieser wollte das Buch, für dessen erste 16 Seiten Rammstedt heuer den Bachmannpreis zugesprochen bekam, möglichst schnell auf den Markt bringen.

Allzu sehr hetzen ließ sich der 33-jährige Autor, der aus Bielefeld kommt und heute in Berlin lebt, dann aber doch nicht, denn mehrfach musste der Erscheinungstermin des Buches verschoben werden. Jetzt aber ist "Der Kaiser von China" da und man darf sagen, die kleinen Verzögerungen haben sich gelohnt, denn nichts an dem Text macht einen unfertigen Eindruck, ganz im Gegenteil: Der humorvolle Erzählduktus des Beginns, der in Klagenfurt Jury und Publikum gleichermaßen begeisterte, hält sich über die annähernd 200 Seiten bis zum Schluss. Mit einem Wort: Hier wurde (entgegen dem äußeren Anschein) nicht gepfuscht, sondern die Schreibarbeit zu einem gelungenen Abschluss gebracht.

Grenzenlose Fantasien

Wohin die Reise geht, steht schon im Titel des Buches. Es ist allerdings nicht das reale China, also nicht Melamin und Olympia, das hier geschildert wird, sondern es ist dieses China bei Rammstedt die pure Fiktion. Die Hauptfigur des Buches, ein junger Mann mit dem seltsamen Namen Keith Stapperpfennig, tut in seinen teilweise recht ausführlichen Briefen an die Verwandtschaft nämlich nur so, als sei er im Reich der Mitte unterwegs, während er in Wahrheit mitten in Deutschland hockt und über das fremde Land die fremdesten und sonderbarsten Geschichten erfindet.

Der zügellosen Phantasie des Briefschreibers sind dabei keine Grenzen gesetzt, vor allem auch dann, wenn es (wie es in diesen Briefen so oft) um das chinesische Essen oder um die Besichtigung von Gärten, Baudenkmälern oder anderen Sehenswürdigkeiten geht. Gerade dort, wo die Briefe aus China mit ihrem puren Reiseführerlatein zu Ende sind, erklimmt die Phantasie des Autors einsame Höhen und zeichnet das Bild eines Landes, das glaubhaft nur für diejenigen sein kann, die wirklich an alle Klischees glauben. Gerade dazu aber, den schönen Klischees über China Glauben zu schenken, bekommt man, wenn man dieses Buch liest, uneingeschränkt Lust.

Taoismus mit ornithologischer Ausrichtung

Hier nur ein kleines Beispiel für den Duktus der Briefe: Neben dem Tempel der "Acht Unsterblichen" lässt Stapperpfennig eine "Wildganspagode" und eine "Graureiherstatue" stehen. Beide Bauwerke stammen, wie der Briefschreiber hinzufügt, aus dem 7. Jahrhundert, als sich im Taoismus - und jetzt kommt's: - "für kurze Zeit eine ornithologische Ausrichtung" durchgesetzt haben soll.

Herrlich auch das chinesische Essen: Einmal gibt es "kalte Nudeln mit Erdnusssoße", angeblich eine Spezialität der Region, was der mitreisende Großvater nun aber partout nicht glauben will. Er lässt sich die kalten Nudeln wärmen und kommentiert das beflissene Tun des Kellners mit den Worten: "Als nächstes sind die Flecken auf dem Tischtuch auch eine Spezialität der Region."

Grantiger Großvater

Der Großvater, dieser unmögliche Alte, ist der eigentliche Anlass der ganzen Chinafahrt, denn er hat sich die Reise zu seinem 80. Geburtstag gewünscht, und die versammelte Verwandtschaft hat zusammengelegt, um sie ihm zu finanzieren. Begleitet werden sollte der grantige Mann von seinem Enkel, eben Keith Stapperpfennig, nur hat der dann eben das ganze schöne Geld im Casino verspielt.

Ausgerechnet die aktuelle Freundin des Großvaters, jünger und attraktiver als alle vorherigen (der Mann ist nämlich noch im hohen Alter ein wahrer Womanizer), ausgerechnet diese aktuelle Freundin also, Franziska, hat Stapperpfennig ein todsicheres Gewinnsystem verraten, und dieses führte ihn direkt in den Komplettverlust. Damit jedoch nicht genug: Nicht nur des Großvaters Geld bringt der Enkel durch, sondern gleich auch Franziska selbst. Neben dem erschöpft schlafenden Großvater treiben die beiden es immer bunter.

Kinderbuch für Erwachsene

Anders als der Verlust der Freundin ist der Verlust des Geldes dem Großvater jedoch nicht zu verheimlichen. Aus purer Starrköpfigkeit beschließt der alte Mann daraufhin, allein und mit dem Auto nach China zu fahren. Allerdings kommt er nur bis in den Westerwald, wo er überraschend verstirbt.

Keith Stapperpfennig, zur Autopsie des Leichnams aufgefordert, behauptet den Toten, der unzweifelhaft sein Opa ist, nicht zu kennen, und tischt der Verwandtschaft stattdessen ein anderes Ende auf, nämlich die China-Lügengeschichte, die den Großvater schlussendlich in den chinesischen Weiten verschwinden lässt - auf eine Art, die ich hier nicht verraten will.

Nicht allein die Spannung dieses Endes, sondern die ganze Art, in der das Buch geschrieben ist, macht den "Kaiser von China" zu etwas Besonderem. Wahrscheinlich könnte man sagen: Hier haben wir ein schönes Kinderbuch für Erwachsene, gewissermaßen den bösen Bruder von Exuperys "kleinem Prinz".

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Tilman Rammstedt, "Der Kaiser von China", Dumont Verlag

Links
Bachmannpreis - 2008
Dumont Verlag - Der Kaiser von China