Eine musikalische Zeitreise

Plácido Domingo rastet und rostet nicht

Nach über 40 Jahren singt Plácido Domingo Anfang 2009 an der Metropolitan Opera New York nochmals die Rolle, mit der er 1968 sein Debüt im Haus gefeiert hat: den Maurizio in Cileas "Adriana Lecouvreur". Neuigkeiten von einem Jahrhundert-Tenor.

Ursprünglich war alles klar: Da hatte die New Yorker Metropolitan Opera für Februar 2009 einen neuen "Troubadour" am Premieren-Spielplan, mit Salvatore Licitra, Sondra Radvanovsky, Dolora Zajick und Dmitri Hvorostovsky, und etwa zur gleichen Zeit eine Aufführungsserie von Cileas "Adriana Lecouvreur", in der Marcelo Álvarez seinen ersten Maurizio singen und Plácido Domingo hätte dirigieren sollen.

Dann kam der plötzliche Ausfall von Licitra und mit ihm die Krise: Wer sollte als Manrico in Giuseppe Verdis "Il trovatore" nun so schnell in die Fußstapfen eines Richard Tucker, Franco Corelli oder Luciano Pavarotti treten? Hatte nicht Marcelo Álvarez die Partie bereits in der Verdi-Stadt Parma problemlos gesungen? Die Pressemeldung, die die Rollen-Rochade vor ein paar Wochen bekanntmachte, war eine mittlere Sensation.

Tollkühne Aktion
Weil Álvarez als Manrico nötiger gebraucht wurde denn in der "Adriana", machte Plácido Domingo in der Cilea-Oper den "Einspringer". Anstatt "Adriana Lecouvreur" zu dirigieren, war er im Februar als Maurizio auf der Bühne der MET zu erleben - so wie schon vor 40 Jahren, am 28. September 1968, als er neben Renata Tebaldi früher als eigentlich geplant sein Debüt im Haus am Lincoln Center hatte.

Eine kühne, manche würden sagen: tollkühne Aktion von Domingo, nach rund 20 Jahren, in denen er die Rolle nicht mehr verkörpert hat. Vielleicht halten gerade solche Husarenritte Plácido Domingo jung?

Zwischen Dirigentenpodium und Bühne

Gibt es ein Rezept für stimmliche Langlebigkeit? Gewiss, alle wissen es: Sich nie überfordern, nur Schritt für Schritt zu den größeren Partien, schonende Singweise "auf Linie". Wenn es danach ginge, dürfte Plácido Domingo keinen Ton mehr herausbringen: Wie er so alt war wie der "late beginner" Marcelo Álvarez, der sich erst mit 40 allmählich ans dramatischere Fach herantastete, hatte Domingo bereits unzählige Otellos hinter sich - und ein gros seiner Maßstäbe setzenden Plattenaufnahmen. Darunter: "Adriana Lecouvreur“ von Francesco Cilea, ein typisches Studio-Produkt der Zeit. 1977, in den Londoner Abbey Road Studios, war mit Renata Scotto, Elena Obraztsova, Domingo und Sherill Milnes unter der Leitung von James Levine ein Team beisammen, mit dem man sich auch eine MET-Premiere hätte denken können.

"Wer rastet, der rostet" - mit diesem Motto empfängt einen Plácido Domingos Homepage, und er hält sich selbst eisern daran. In den letzten Monaten gab Domingo Konzerte in Mexico, Jordanien, Ungarn und Indien, und war an den beiden amerikanischen Opernhäusern, denen er als künstlerischer Leiter vorsteht, als Dirigent tätig, mit jeweils für ihn neuen Werken.

An der Los Angeles Opera dirigierte er nach der Uraufführung in Paris auch die USA-Premiere von Howard Shore's "The Fly", der Oper nach dem David-Cronenberg-Filmschocker aus den 1980er Jahren, und zur Zeit steht er an der Washington National Opera für Donizettis "Lucrezia Borgia" am Dirigentenpult, mit der umjubelten Renée Fleming in der Titelrolle - während ihre für die MET geplante "Norma" einstweilen nicht zustande kommt.

Neues Aufgabengebiet "Alte Musik"?

Später, im November/Dezember des letzten Jahres , hat Plácido Domingo in Valencia gewirkt, wo er - nach Auftritten in New York letzte Saison - seinen Orest in Christoph Willibald Glucks "Iphigenie auf Tauris" wiederholt hat.

Domingo hat (anfänglich zum Erstaunen der Fans) jahrelang betont, im Alter mehr Händel und überhaupt "Alte Musik" singen zu wollen. Neben dem zwischen Tenor- und Baritonlage angesiedelten Oreste in der "Iphigénie en Tauride" hat er mittlerweile den Bajazet in Händels "Tamerlano" im Repertoire - Fortsetzung folgt.

Berlin, Los Angeles und New York

Apropos "zwischen Tenor und Bariton". Bei Richard Wagner hält sich Domingo an zwei Rollen, die baritonalen Tenören seit jeher zugesagt haben: Im März 2009 stieg er überraschenderweise an der Berliner Staatsoper Unter den Linden als Parsifal in eine laufende Produktion ein, um wenig später, im April und Mai, als "Walküren"-Siegmund an der MET aufzutreten.

Der "Walküren"-Schwerpunkt 2009 liegt aber an "seiner" Los Angeles Opera, wo in der Regie von Achim Freyer ein kompletter "Ring des Nibelungen" im Entstehen ist, mit der "Walküren"-Premiere im April und einem großen 10-wöchigen Opernfestival im Frühjahr 2010 als Ziel, zu dem die von Domingo mitgeplante Neuproduktion der Wagner-Tetralogie dann komplett gezeigt werden soll. Was es auf der Bühne nicht mehr geben wird: Domingo nicht nur als Siegmund in der "Walküre", sondern auch als Siegfried. Wer ihn in "Siegfried" oder "Götterdämmerung" hören will, muss zur CD greifen.

Rossini-Duett mit Juan Diego Florez

Plácido Domingo war im Plattenstudio dem "crossover" nie abgeneigt, hat mit John Denver gesungen, hat Musicalmelodien aufgenommen. Musikalische Spezereien wie italienische Canzonen oder spanische Coplas, an sich sein ureigenstes Metier, hat sich Domingo aber bis spät in seiner Karriere aufgehoben, wie er unterstreicht. Erst letztes Jahr kam "Pasión Espanola", mit Musik halb von der Straße, halb von Komponisten auf den CD-Markt. Coplas, spanische Fast-Volksmusik, mit Alltagswelt-Themen.

Daneben sticht ein "Gastauftritt" unter Plácido Domingos neuesten Aufnahmen, bei Juan Diego Florez' jüngster Arien- und Duett-CD besonders hervor. Ein "Zwei-Tenöre"-Duett der beiden aus Gioachino Rossinis "Otello" als klingende "Fußnote" zu vielen Abenden mit Verdis "Otello"-Oper und Plácido Domingo auf der Bühne - und als Beweis für Domingos Bereitschaft, in die zweite Reihe zurückzutreten. Nicht das geringste unter den vielen Talenten dieses Sängers, der nun schon das zweite Opern-Jahrhundert prägt.

Hör-Tipp
Georg Friedrich Händel: "Tamerlano" , Samstag, 11. April 2009, 19:30 Uhr

CD-Tipps
Placido Domingo, "Pasión Espanola!", DG/Universal 4776590

Juan Diego Florez und Placido Domingo : "BEL CANTO", Decca 4780315

Link
Placido Domingo