Grenzen aller Art

Tränenlachen

Andrea Grill skizziert in ihrem Buch die Beziehung zweier Menschen, in der sich zwei Kulturen begegnen. Die Liebe zwischen einer Österreicherin und einem Albaner ist nicht nur durch Bürokratie und die Sprachbarrieren gefährdet.

Kaum hatte ich dich bemerkt, hast du mich gestört. Wie du angezogen warst, der aufgedruckte Schriftzug "Scorpions" und die bunten Silhouetten der Musiker darunter auf schwarzem Hintergrund; dein Haarschnitt, wie ein katalanischer Fußballer, vorne kurz, hinten lang.

Eine 16-jährige Salzburgerin lernt einen 21-jährigen Albaner bei einer Veranstaltung im Pfarrhof kennen, wo vor der Abschiebung stehende Flüchtlinge um Hilfe bitten. Man schreibt das Jahr 1991, viele Albaner verlassen ihr Land und wandern legal und illegal nach Österreich ein. Galip, der mit ruhiger Stimme ankündigt, sich von einer Brücke stürzen zu wollen, wird über zehn Jahre lang der Gefährte und Geliebte der Ich-Erzählerin.

Die Fremdheit ist einerseits der Hauptreiz, andererseits das Problem dieser nicht nur durch Bürokratie gefährdeten Liebe. Er hat schon vieles hinter sich, sie noch das meiste vor sich, er ist Scheinstudent, sie Studentin, die Arbeit als Filmstatist und Fahrradbote ist für ihn Notwendigkeit, für sie Abenteuer.

Bezwungene Sprachbarrieren

Andrea Grill schildert in ihrem Roman "Tränenlachen" mit selten gehörter Offenheit, was es bedeutet, einem Menschen nahe zu sein, den man in seinen wesentlichen Zügen nicht versteht. Die beiden Protagonisten ringen um Nähe: Sprachbarrieren werden bezwungen, Verwandtschaftsbesuche gemacht, Gemeinsamkeiten entwickelt, Verschiedenheiten zelebriert, dennoch gibt die Erzählerin an, ihren Galip vor allem aus der Entfernung zu lieben, sitzt er im selben Zimmer, wird ihr seine Gegenwart bald zu viel. Anfangs verständigt man sich auf Englisch, als sein Deutsch gut genug ist, um sich in ihrer Muttersprache unterhalten zu können, wird die Kommunikation klamm.

Verlegen und schweigsam hat uns der Sprachwechsel gemacht. Die Unbefangenheit war weg. Schlagartig ist mir alles Gesagte so unmittelbar vorgekommen, als wiege es schwerer, verpflichte mich zu etwas. (...) Ich liebe dich, hast du mir immer abzwingen wollen. (...) Ich habe es nie gesagt. (...) Völlig unzureichend ist es mir vorgekommen, als hätte ich es irgendwo kopiert. Künstlich, wie ein Blumenstrauß aus Plastik.

Nötige Distanz

Erst als sie Albanisch lernt, stellt sich die für sie nötige Distanz wieder her. Das Albanische wird in Salzburg zur Geheimsprache des Paares. Aus einer Position der Sicherheit begibt sie sich auf sein Terrain, während er sie auf ihrem Terrain verunsichert. Sie lernt seine in ganz Europa verstreute Familie kennen.

Die aus bürokratischen Gründen beschlossene Heirat ist unernst und unsentimental, eine Erledigung. Die endlich errungene Staatsbürgerschaft bringt Galip zunächst einmal die Einberufung zum Bundesheer ein, wo er die ungarische Grenze vor illegalen Flüchtlingen schützen soll und genau jene Maisfelder zu bewachen hat, über die er einst selbst illegal nach Österreich gelangt ist.

Fünf Jahre Abstand

Schließlich werden die Anstrengungen zu groß, die Zerwürfnisse zu häufig, das Paar trennt sich. Nach fünf Jahren Abstand meldet sich Galip telefonisch wieder und bittet die Erzählerin, ihre Erinnerungen an die gemeinsame Zeit aufzuschreiben.

Ich erzähle dir dein Leben, soweit ich es kenne, als würdest du dich selber nicht kennen. Das ist befremdlich, und ich versuche es nur, weil du mich darum gebeten hast. (...) Du würdest so viel vergessen, hast du gesagt, alles vergessen. Ob ich den Damespieler kenne, der blind simultan spielt. Eines Tages war sein Hirn voll mit Partien (...), er wusste nicht mehr, wer er war.

Hier lässt Andrea Grill ihr Buch beginnen. Sein erstes Kapitel besteht aus Briefen der Erzählerin an Galip nach Albanien. Die Wahl dieser Form ist nicht unproblematisch, wird dem Adressaten doch sein eigenes Erlebtes, ja sogar sein eigenes Erzähltes erzählt. Doch für die Form des Romans gilt das Gleiche wie für die erzählte Liebesgeschichte selbst: In ihrem Problem liegt ihr Reiz. Das angesprochene Du erhält eine Übersetzung, eine Literarisierung seines Lebens und rückt weiter in die Ferne. Die Du-Anrede stellt aber zugleich eine fast lyrische Nähe zwischen dem erzählenden Ich und dem Leser her.

Ich weine nur, wenn kein Anlass dazu besteht. Wenn ich dich ansah, zu verschiedenen Gelegenheiten, hatte ich ab und zu sehr feuchte Augen. Das ist keine Absicht, die Tränen springen einfach aus mir heraus. Besonders wenn ich lache. (...) Es gibt Dinge, die kann man vorsorglich tun. Einkaufen. Essen. Andere aber sind unmöglich vorwegzunehmen. (...) Sich übergeben. Weinen. (...) Inzwischen weine ich weiterhin vorsorglich, um es mir im Notfall zu ersparen.

Fast ein Reisebericht

Das zweite Kapitel bringt einen formalen Bruch. Keine Briefe mehr. Geschildert wird, wie die Erzählerin durch Albanien fährt und Galips Familie aufsucht. Galip wird seit kurzem vermisst und es gilt, einen Mann zu identifizieren, der aus dem Fenster gefallen und von einem Lastwagen überrollt wurde. Besser gesagt seine Schuhe, denn sonst ist nichts von ihm übriggeblieben. Umgeben von rührend um sie bemühten Verwandten, bleibt die Erzählerin ihrem eigenen Schmerz fern, die besagten Tränen rollen nicht. Die Verwandten freuen sich - bei aller Trauer - über den österreichischen Besuch, zeigen stolz den bescheidenen Wohlstand und führen den Gast durch die veränderte Stadt. Hier gerät der Roman manchmal zum Reisebericht.

Das nur wenige Seiten umfassende dritte Kapitel löst nicht nur das Geheimnis um den Toten auf, sondern gibt auch Aufschluss über die in den Briefen in Kursivschrift eingeschobenen Texte, die dem Leser im ersten Kapitel des Buches Rätsel aufgeben. Das wird hier natürlich nicht verraten.

"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.

Hör-Tipps
Das Buch der Woche, Freitag, 14. November 2008, 16:55 Uhr

Ex libris, Sonntag, 16. November 2008, 18:15 Uhr

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Buch-Tipp
Andrea Grill, "Tränenlachen", Otto Müller Verlag

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Andrea Grill