Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern
Mafia
Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern handelt Petra Reskis Buch. Die Journalistin beschäftigt sich darin auch mit den Geschäften der Mafia in Deutschland. Seit der Veröffentlichung ist Reski zahlreichen Einschüchterungsversuchen ausgesetzt.
8. April 2017, 21:58
Letizia Battaglia hat resigniert. "Wir haben unseren Kampf verloren", sagt sie. "Wir sind gescheitert." Letizia Battaglia ist - oder besser: war - Fotografin, die berühmteste Anti-Mafia-Fotografin Siziliens. Mit der Kamera in der Hand kämpfte sie gegen Erpressung, Mord und Stadtzerstörung. Vergeblich, wie sie rückblickend meint.
Seit Mitte der 1970er Jahre dokumentierte Battaglia - der Name bedeutet Kampf - das blutige Geschäft der Cosa Nostra, in mehr als 600.000 Schwarz-Weiß-Aufnahmen. "Sie war Berichterstatterin, Spionin und Kommandeurin zugleich", sagt die deutsche Journalistin Petra Reski, seit fast 20 Jahren mit Battaglia befreundet.
Als diese im September 2007 den höchsten deutschen Fotopreis erhalten soll, den Erich-Salomon-Preis, setzt Reski sich ins Flugzeug und fliegt nach Sizilien, um für die Wochenzeitung "Die Zeit" ihre Freundin zu porträtieren. Mit diesem Flug nach Palermo beginnt auch Reskis neues Buch, in dem es um alte und neue Mafia-Geschichten geht, um Erinnerungen und Begegnungen, um Orte und Tatorte, um Verbrecher und Aufklärer - und um Frauen wie Letizia Battaglia.
In Kirchen, Justizpalästen und Trattorien
"Ich wollte auch darauf aufmerksam machen, dass es sich nicht nur um ein Phänomen handelt, was sich in irgendwelchen vermeintlich rückständigen sizilianischen oder kalabrischen Dörfern abspielt, sondern auch in Deutschland, bei uns um die Ecke stattfindet", so Reski im Gespräch.
In ihrem Buch mit dem Titel "Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern" liefert Petra Reski ein sehr persönliches, ein anschauliches und durchaus fesselndes Mosaik aus Erlebtem und Recherchiertem - einen Krimi mitten aus Europa. Sie führt uns in Kirchen, Justizpaläste und Trattorien, zu Hochzeiten, Prozessen und Prozessionen und versteht es, mit wenigen Worten einen lebendigen Lokalaugenschein zu vermitteln.
Sie schreibt über den abtrünnigen sizilianischen Mafioso Marcello Fava, der sich immer bekreuzigte, bevor er jemanden umbrachte und nichts weiter gewesen sein will als ein "normaler Soldat", porträtiert Mafia-Bosse wie Messina Denaro, interviewt Staatsanwälte in Sizilien und Kalabrien und beleuchtet das Verhältnis von Mafia und Politik, zum Beispiel an der Person Salvatore Cuffaros, des letzten sizilianischen Ministerpräsidenten, der wegen Begünstigung eines Mafiosos zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde - und das Urteil mit einem Umtrunk feierte, weil er wusste, dass, bis das Urteil in dritter und letzter Instanz bestätigt wird, es längst verjährt sein wird.
Sie schildert die Gottesfürchtigkeit von Mafia-Größen wie Michele Greco, genannt "Der Papst", rekapituliert befremdliche Begegnungen mit Priestern, wie Don Pino in der kalabresischen 'Ndrangheta-Hochburg San Luca, der die Frömmigkeit der Mafiosi lobte und ihre Versammlungen als "volkstümliche Gottesfürchtigkeit der negativen Art" umschrieb, oder Padre Pizzitola, der den Ausspruch tätigte: "Die Antimafia kann auch zu einer Form der Mafia werden!"
"Ein Mafioso ist kein Fremdkörper in der Gesellschaft", meint Reski. "Er lebt dank der Unterstützung von Unternehmern, die dank der Mafia Aufträge kriegen, von Politikern, die dank der Mafia Wählerstimmen bekommen."
In allen Geschäftsbereichen tätig
Petra Reski beschreibt Strukturen, Rituale und Geschäftsfelder der Mafia, vor allem der sizilianischen Cosa Nostra und der kalabresischen 'Ndrangheta. Sie machen ihr Geld nicht nur mit Schutzgelderpressungen, sondern auch mit Waffen-, Drogen- und Menschenhandel, im Bau-, Gastronomie- und Gesundheitsbereich. Dabei sind diese Geschäfte keineswegs auf Italien beschränkt.
Die 'Ndrangheta zum Beispiel, mit geschätzten 44 Milliarden Euro Jahresumsatz die reichste Mafiaorganisation Italiens, kontrolliert den gesamten Kokainhandel in Europa und unterhält allein in Deutschland ein Netz von 300 Pizzerien, nicht zuletzt zum Zweck der Geldwäsche. Spätestens seit dem Massaker von Duisburg im vergangenen Jahr, bei dem sechs Italiener starben, ist die kalabresische Mafia auch der deutschen Öffentlichkeit ein Begriff.
Die Frauen als Fundament
Petra Reskis Buch ist ein Buch über Männer: Killer, Priester, Unternehmer. Noch mehr aber ist es ein Buch über Frauen: Frauen, die für, die gegen, die in der Mafia sind. Fotografinnen wie Letizia und ihre Tochter Shobha, Staatsanwältinnen an beiden Fronten, Aussteigerinnen und Insider. "Die Ehefrauen sind das Fundament der Mafia", schreibt Reski. Und: "Die Mütter sind es, die die mafiosen Werte vermitteln: Ehre und Schande, Treue und Verrat."
"Die Mafia besteht zu 50 Prozent aus Frauen", so Reski. "Es ist nicht so, dass die Frauen stillschweigende Opfer ihrer gewalttätigen Männer sind. Es sind Frauen, die ihre Kinder zur Mafiakultur erziehen. Ohne dieses Fundament der Ehefrauen könnte die Mafia überhaupt nicht existieren. (...) Vor kurzem, als ein Clan von 109 Leuten festgenommen wurde in Neapel, waren davon über 20 Frauen. Die Frauen schmuggeln Waffen, sie bringen ihre polizeilich gesuchten Männer von A nach B, überbringen Botschaften. Ohne die Frauen ist das gar nicht möglich."
Unterstützung durch die Politik
Nach dem "maxiprocesso" von 1986, mit 474 Angeklagten, von denen 360 für schuldig befunden und zu insgesamt 2.665 Jahren Haft verurteilt wurden, nach der legendären Ära der Richter Borsalino und Falcone, die beide 1992 ermordet wurden, nach einer Phase der rigorosen Strafverfolgung scheint, so Petra Reski, die Zeit der durchgreifenden, entschiedenen Mafia-Bekämpfung vorbei. Die Kronzeugenregelung wurde aufgeweicht, verfahrensabkürzende Prozessabsprachen sorgten für milde Urteile, Prozesse wurden verschleppt und erfolgreiche Ermittler diffamiert und strafversetzt.
Ministerpräsident Berlusconi war es, der Staatsanwälte des Antiamafia-Pools als "geistig gestört und anthropologisch anders als der Rest der Menschheit" bezeichnete. Apropos Berlusconi: Ihm und seinem Gewährsmann Marcello Dell'Utri, dem Initiator der Forza Italia, widmet Reski ein ganzes Kapitel, das zeigt, dass nicht nur die ehemaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti und Bettino Craxi über Mafia-Kontakte verfügten. Jahrelang beschäftigte der heutige Regierungschef - als "Stallmeister" in seiner Villa, wie es offiziell hieß - ein Mitglied der Cosa Nostra und genoss die Unterstützung von Mafia-Boss Provenzano für seine Partei.
Doch nicht seine, sondern erstaunlicherweise die Prodi-Regierung war es, die bei Amtsantritt einen gewaltigen Straferlass verfügte, von dem unzählige Mafiosi profitierten. Heute gebe es kein Antimafia-Bewusstsein mehr, zitiert Reski eine enttäuschte Letizia Battaglia. "Die Illegalität steckt in den Köpfen!" "Die italienischen Parteien wissen, man kann nicht ohne die Mafia regieren, man muss sich mit ihr arrangieren", stellt Reski fest. "Das ist das, was viele Italiener sehr frustrierend finden."
Beschimpfungen und Drohungen
Doch nicht nur der italienische Staat scheint sich mit der Mafia zu arrangieren, auch in Deutschland gibt es immer mehr Indizien dafür, dass Politiker und Mafiosi an einem Tisch sitzen. Einige Hinweise liefert Reskis Buch. Damit hat sich die Autorin keinen Gefallen getan. Bei einer Lesung in Ostdeutschland erlebte sie Einschüchterungsversuche, Beschimpfungen und Drohungen, Klagen werden angestrengt. Keine schöne Erfahrung, sagt Petra Reski, und doch: Es ist die übliche Praxis der Mafia. Reski jedenfalls will sich nicht unterkriegen lassen - und nimmt Letizia Battaglia als Vorbild. Die kämpferische Battaglia, nicht die resignierte.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Petra Reski, "Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern", Droemer Verlag