Auf die Zutaten kommt es an

Die Blutwurst

Dem relativ derben Gericht der Blutwurst ist in der Fremdenlegion sogar eine eigene Bruderschaft gewidmet, die jedes Jahr eine Weltmeisterschaft durchführt, an der auch österreichische Fleischer teilnehmen und die eine oder andere Medaille nach Hause bringen.

Jean-Michel Eichelbrenner empfängt mich in seiner Villa bei Le Mans; ein distinguierter Herr in den Sechzigern, emeritierter Professor für Germanistik - und so etwas wie der Außenminister der "Blutwurstbrüder" der Fremdenlegion. Er gehört dem "Kapitel" an, das ist das Gremium der Würdenträger; an ihrer Spitze steht der Großmeister (zurzeit ein Apotheker), hierarchisch darunter die Ritterschaft.

Eid auf die Verteidigung der Blutwurst

Blutwurstritter zu werden ist nicht allzu schwer. Man braucht bloß mindestens einmal pro Woche Blunz'n zu essen und einen Eid auf die Verteidigung der Blutwurst, sowie der französischen Küche im Allgemeinen zu leisten. Bei der Zeremonie reicht der Großmeister den Anwärtern eine Scheibe Blutwurst - "etwa wie beim Letzten Abendmahl", so die Worte Eichelbrenners - und schlägt sie mit dem Bratspieß zu Rittern. 3.000 gibt es schätzungsweise.

Im Kapitel dagegen sitzen nur wenige; es sind Laien oder bereits pensionierte Fleischer, damit's objektiv zugeht, wenn sie ihre vornehmste Pflicht erfüllen: die Blutwurst-Weltmeisterschaft in Mortagne-au-Perche in der südlichen Normandie auszurichten.

Der Professor schlüpft mir zuliebe in die Robe der Würdenträger und sieht nun aus wie eine Figur aus einem Mantel- und Degenfilm. So ziehen sie jedes Jahr am WM-Wochenende, dem dritten im März, durch Mortagne hinter der Blaskapelle her, die den Marsch der Fremdenlegion spielt.

Zwei Tage Verkostung

Herr und Frau Eichelbrenner führen mich in die malerische kleine Stadt am Hügel, durch malerische mittelalterliche Gässchen, zur nüchternen Mehrzweckhalle. Während des Bewerbs liegen an die 700 Blutwürste aus acht bis zehn Ländern auf. Mehrere Jurys verkosten zwei Tage lang, beurteilen Aussehen, Anschnitt, Geruch, Geschmack, Abgang, ermitteln, einem komplizierten Regelwerk folgend, ziemlich viele Sieger und Medaillengewinner, und aus diesen endlich den Weltmeister, den Gewinner des "Großen Internationalen Pokals".

Ja, und dann gibt's noch, für die außergewöhnlichste Kreation in der Blutwurstwelt, einen Spezialpreis der Jury: die "Goldene Palme von Mortagne".

Dampfendes Mus

Zurück in Österreich. Montag früh beim Fleischhauer Dormayer in Langenzersdorf bei Wien: Wir machen Blutwurst. Die Kübel voll schlachtfrischen Schweinebluts stehen bereit, die Fleischbestandteile - Masken, Schwarten, Göderlspeck - haben schon gut drei Stunden gekocht, weißlich-graue Lappen in großen Netzen, die aussehen wie ein Fang Tintenfische. Dormayer verwolft sie gerade; aus dem Fleischwolf plätschert dampfend graues Mus.

Franz Dormayer hat beide großen Mortagner Preise gewonnen. Weltmeister wurde er im Jahr 2000, jenem finsteren Jahr der sogenannten "Sanktionen gegen Österreich". Damals nahmen viele heimische Fleischer am Bewerb gar nicht erst teil: Frankreich, dachten sie, Chirac und so weiter; sie hielten sich für chancenlos!

Dormayer pfiff auf Chirac, gewann, war darüber selbst am meisten erstaunt - und engagiert sich seither so stark für die Bruderschaft, dass man ihn, als einzigen aktiven Fleischhauer, ins Kapitel aufgenommen hat.

Schokolade und Calvados

Auch das Blut geht, gemeinsam mit in Blut eingeweichten Semmeln, durch den Wolf. Der Fleischhauer vermischt es dann in einer Art blechernen Badewanne mit dem Fleischbrei, mit Semmelwürfeln und Gewürzen, füllt die Masse in Rinderdärme (argentinische, weil die europäischen seit BSE-Zeiten verboten sind), er bindet sie ab und gart die Würste eine Stunde lang bei 80 Grad.

Manchen mengt er überraschende Zutaten bei: Schokolade aus Belgien, französischen Calvados, Kiwi, Kokos, Kaffee; Meeresfrüchte: 35 Kompositionen umfasst sein Sortiment. Die "Goldene Palme" erhielt er 2006 für seine "Mozart-Blunz'n", eine Nougat-Marzipan-Wurst, umhüllt von feinstem Blut. Konkurrentin Frau Doktor Didion, die Erfinderin der Blutwurst-Pralinen, wurde da nur Zweite, aber im Jahr darauf hat sie zurückgeschlagen: mit einer Blutwurst-Schwarzwälder-Kirsch-Torte, einer mehrstöckigen.

Und dann sitzt man in Dormayers Garten, genießt schmackhafte "klassische" Blunz'n mit schwarzem Brot und weißem Spritzer, schwelgt in dieser Schlichtheit - und schon erscheint die Welt der Ritter, Roben, Goldenen Palmen fremd und leicht bizarr. Aber Vorsicht: Der gute Ruf der Mortagner Medaillen hat kleinen Betrieben schon im Überlebenskampf geholfen, sagt Franz Dormayer, der bestimmt kein Träumer ist.

Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 23. Mai 2009, 17:05 Uhr

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