Regierungsprogramm ohne Gesundheitsschwerpunkt
Das Gesundheitssystem der Zukunft
Hat Österreich das beste Gesundheitssystem der Welt oder sind Reformen längst überfällig? Im internationalen Vergleich orten Experten Nachholbedarf. Österreichs neue Regierung wäre demnach gefordert, in Krisenzeiten nicht nur die Kassen zu sanieren.
8. April 2017, 21:58
Österreich hat eine neue rot-schwarze Koalition und damit auch einen neuen Gesundheitsminister. Auf ihn wartet vermutlich eine der wichtigsten Aufgaben, die die Regierung zu bewältigen hat: sinnvolle Reformen im Gesundheitssystem. Diese notwendigen Vorhaben werden zwar seit Jahren immer wieder ausführlich diskutiert, tatsächlich umgesetzt wurde bisher jedoch wenig Weltbewegendes.
Aber auch in der jetzt beginnenden Legislaturperiode ist noch wenig Reformbereitschaft von Seiten der Politik zu erkennen. Ist doch im aktuellen Regierungsprogramm die Passage über die "Gesundheit" recht dürftig und allgemein formuliert. Einzig die Sanierung der Krankenkassen wird von Seiten der Politik in Aussicht gestellt. Sie sollen mit 240 Millionen Euro unterstützt werden. Laut Experten wird das für die Kassensanierung allerdings wohl nicht ausreichen.
Die Sage vom besten Gesundheitssystem der Welt
Ein möglicher Grund für die konsequente Verweigerung einer sinnvollen Gesundheitsreform könnte das Gerücht sein, dass Österreich ohnedies das beste Gesundheitssystem der Welt hätte. Diese Meldung kursiert seit zwei oder drei Jahren durch die Medien, wurde von Seiten der Politik bereitwillig aufgegriffen und wird seither bei jeder Gelegenheit alibimäßig abgespult.
Kritiker fragen sich deshalb: Was soll mit diesem Superlativ kaschiert werden und gibt es überhaupt brauchbare Pläne zur Reformierung und Verbesserung des österreichischen Gesundheitssystems? Ein Blick ins Ausland könnte bei dieser Planung helfen. Etwa in Dänemark, so Dr. Andreas Gerber, Kölner Experte für den Vergleich von Gesundheitssystemen - das mit Österreich vergleichbar ist -, funktioniert das Gesundheitssystem besser und effizienter. Dazu bräuchte es keine große Reform, sondern Flexibilität und die Bereitschaft um zu denken und um zu strukturieren.
Mythen, mit denen Gesundheitspolitik gemacht wird
"Kostenexplosion im Gesundheitswesen" - dieser Slogan wird häufig verwendet und klingt irgendwie auch logisch. Wir werden alle älter, die Medizin teurer.
"Nur diese Aussage stimmt nicht", so der Buchautor Martin Rümmele. "Denn laut Statistik Austria bewegen sich die Ausgaben für Gesundheit seit 1998 unverändert bei zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Von 2005 auf 2006 sind sie sogar von 10,3 auf 10,1 Prozent gesunken." Von Kostenexplosion also keine Rede. Es stellt sich nur die Frage, was den Politikern die Gesundheit der Bevölkerung wert ist.
Forderungen aus Sicht der Patientenanwaltschaften
In der laufenden Debatte sollten folgende Punkte berücksichtigt werden, so unser Sendungsgast und Sprecher der ARGE Patientensicherheit, Dr. Gerald Bachinger, Patientenanwalt.
- Zur "Finanzierung aus einer Hand" ein uneingeschränktes Ja, aber kein uneingeschränktes ja zum Hauptverband als Träger.
- Uneingeschränktes Ja zu den Bemühungen, um eine nachhaltige Finanzierung für die folgenden Generationen zu erreichen;
- Uneingeschränktes Ja zur Einrichtung eines Versicherteninformationssystems;
- Uneingeschränktes Ja zur Rezertifizierung der Kassenverträge von Ärztinnen und Ärzten nach Qualitätskriterien und Absolvierung von Fortbildungen;
- Grundsätzliches Ja zur Verschreibung von Wirkstoffen ("aut idem" Regelung)
- Schutzmechanismen für chronisch kranke Patienten und alte Patienten müssen flankierend eingerichtet werden;
- Uneingeschränktes Ja zu Behandlungspfaden und Leitlinien;
- Uneingeschränktes Ja zur Installierung von Beratern/Chefärzten in den öffentlichen Krankenanstalten.
Die Vision von einem besseren Gesundheitssystem
Ein visionäres Gesundheitssystem der Zukunft misst seinen Standard u.a. an präventiven Maßnahmen, die zu weniger chronischen Erkrankungen führen und Krankenhausaufenthalte reduzieren.
Nach internationaler Sicht werden Gesundheitssysteme durch folgende Kriterien beurteilt: Der Qualitätsstandard der medizinischen Leistungen, Gleichheit im Zugang zum System und Gleichheit in der Verteilung der Gesundheitsleistungen.
Das erste Ziel ist die Verbesserung des Gesundheitszustandes. Als zweites Ziel gilt die Fähigkeit des Systems, auf die Bedürfnisse der Bevölkerung wie Kundenorientierung und Respektierung von Persönlichkeitsrechten einzugehen. Als drittes Ziel werden die Fairness in der Finanzierung und der Schutz vor finanziellen Risiken herangezogen.
Im Vergleich zu früheren Regierungen, die eine umfassende Reform bereits erfolgreich vermeiden konnten, hat es die derzeitige Regierung nun um einiges schwerer. Durch die Weltwirtschaftskrise wird ein rapider Anstieg der Arbeitslosenzahl erwartet. Dadurch werden wiederum die Einnahmen der Krankenkassen sinken, bzw. die Ausgaben für die Arbeitslosen steigen. Für Struktur-Reformen im medizinischen Bereich werden darum wieder die nötigen Gelder fehlen.
Diskutieren Sie mit!
Wenn Sie Fragen haben oder von Ihren eigenen Erfahrungen berichten möchten, dann rufen Sie während der Sendung unter der kostenlosen Telefonnummer 0800 22 6979 an, oder posten Sie hier.
- Sind sie mit dem Österreichischen Gesundheitssystem zufrieden?
- Nimmt sich Ihr Arzt genügend Zeit für Sie - fühlen Sie sich von ihm gut betreut?
- Welche Reformen bezüglich Prävention und medizinischer Versorgung würden Sie sich wünschen?
- Befürchten Sie, dass die Krankenkassen ihre Leistungen bald reduzieren müssen?
- Würden Sie zu Gunsten einer sinnvollen Gesundheitsreform eine Erhöhung der Beiträge akzeptieren?
Mehr dazu in der Online-Infomappe
Hör-Tipp
Radiodoktor - Medizin und Gesundheit, Montag, 1. Dezember 2008, 14:20 Uhr