Legende Maradona
Napolis Tifosi
Nur wenige Nationen sind so fußballbegeistert wie Italien. Die Fans des SSC Napoli bilden da keine Ausnahme: Lieber Karten fürs Match als Brot, lautet die Devise. Die Ultras, als brutal bekannt, stellen im Stadion selbst allerdings keine Gefahr dar.
8. April 2017, 21:58
"Ho visto Maradona" - "Ich habe Maradona gesehen" - ist nicht nur der Titel eines Liedes und eines Films, sondern auch das Glaubensbekenntnis der Neapolitaner. Egal, wo auf der Welt man Neapolitaner trifft, in fast jedem Gespräch fällt, in welcher Sprache auch immer, dieser eine Satz und klingt wie "Maradona sehen und sterben".
"Er ist eine Leitfigur, ein Mythos geworden", erzählt György Garics, österreichischer Teamspieler, der zwei Jahre beim SSC Neapel Fußball gespielt hat. "Natürlich hat er dort wunderbare Zeiten erlebt, und den Fans wunderbare Zeiten geschenkt.
In Neapel komme Fußball vor allem anderen, so Garics: "Statt Brot kaufen sich die Leute lieber Karten fürs Spiel am Wochenende." Maradona habe - nicht nur für Neapel, sondern für den Weltfußball generell - einiges getan, "und die Leute sind stolz darauf, dass er irgendwann bei ihnen gespielt hat".
Politische Vereinnahmungsversuche
Nichts ist Fußball in Italien weniger als ein Sport, schreibt Birgit Schönau in ihrem Buch "Calcio. Die Italiener und ihr Fußball". Birgit Schönau ist Italien-Korrespondentin für "Die Zeit" und die "Süddeutsche Zeitung". Fußball in Italien, schreibt sie, sei ein Vehikel für regionales Selbstbewusstsein, vor allem aber für wirtschaftliche Interessen und Politik - und nicht zuletzt eine Bastion paternalistischen Gehabes.
Das Paradebeispiel ist natürlich Silvio Berlusconi. Über sein Medienimperium verdient er gut am Fußball, gleichzeitig hat er als Ministerpräsident und als Eigentümer des AC Milan großen Einfluss. Aber auch Berlusconi hat seine Vorbilder, und eines davon war der neapolitanische Reeder Achille Lauro. Der setzte bereits in den 1950er Jahren den Fußball für seine Interessen ein - nicht zuletzt im Wahlkampf um das Amt des Bürgermeisters, wie Birgit Schönau beschreibt:
Im Wahlkampf ließ der "Comandante", nun Führer der monarchistischen Partei, Mehlsäcke unter den Armen Neapels verteilen. Eine Geste wie aus der Zeit der Cäsaren. Panem et circenses, Brot und Fußball, das war Lauros Versprechen. "Ein großer SSC Neapel für ein großes Neapel" lautete sein Slogan. Damit gewann er die Wahlen haushoch, wurde Bürgermeister und fast gleichzeitig wieder Präsident des Calcio Napoli. (...) Aus Calcio Napoli machte Lauro eine Goldgrube, indem er Träume verkaufte. Träume von der Vendetta des verarmten Südens gegen den reichen, arroganten Norden, ein Rachefeldzug auf dem Fußballplatz.
Träume sind langlebig
Achille Lauro brachte Napoli keinen Meistertitel, das schaffte bisher nur Diego Maradona. Der Argentinier, der selbst aus den Slums kam und zum Weltstar aufstieg, schenkte den Napoli-Tifosi zwei italienische Meistertitel und einen Sieg im UEFA-Pokal. Doch Träume sind langlebig im Fußball, und so behaupteten zum Beispiel Plakate der Post-Faschisten von der Alleanza Nazionale vor ein paar Jahren, mit ihnen werde der soeben Pleite gegangene SSC Napoli nur eine Liga zurückversetzt, und nicht zwei, wie die Regeln es eigentlich fordern.
Der Einfluss der Rechten ist auch im Stadion von Neapel, dem San Paolo, weit geringer als anderswo in Italien. Während etwa bei beiden Römer-Teams die Kurven fest in der Hand von rechtsextremen Gruppierungen sind, sind die Ultras in Neapel dezidiert unpolitisch. Die Stimmung im San-Paolo-Stadion ist dafür umso besser.
"Die Stimmung in Neapel ist ein Wahnsinn", so Garics. "Da bekommt man wirklich Gänsehaut, wenn man unten auf dem Platz vor 60-, 70.000 Menschen steht, die dich anfeuern. Es gibt, glaube ich, nicht viele Vereine, die das überbieten können."
Das 70 000 Zuschauer fassende Stadion ist meist recht gut gefüllt und das, obwohl die hiesigen Ultras nicht nur für die gute Stimmung verantwortlich sind, sondern auch für den schlechten Ruf der Napoli Tifosi.
Gewalttätige Ultras sind im italienischen Fußball seit Jahren ein Problem, und gerade die Gruppen aus Neapel gelten als wenig zimperlich, ihr Territorium nicht nur mit Gesängen und Sprechchören, sondern auch mit Fäusten zu verteidigen. Gewalt passiert dabei nur selten im oder um das Stadion, sondern meist, wenn verfeindete Gruppen unterwegs aufeinander treffen, zum Beispiel auf Autobahnraststätten.
Von Großvater bis Enkel
Doch wie der Fußball insgesamt, so werden auch die Ausschreitungen in Italien eher politisch instrumentalisiert als wirksam bekämpft, und deshalb natürlich gern auch medial heruntergespielt oder aufgebauscht.
"In der Kurve ist es eine wahnsinnige Atmosphäre. Die Stimmung, die da herrscht, ist auch bei kleinen Spielen enorm", sagt Jakob Rosenberg. Der Wiener Politikwissenschaftler hat zwei Jahre in Neapel studiert und das Stadion noch nie als gefährlichen Ort erlebt: "Da wird durchgesungen, da wird die Mannschaft von den Fans nach vorne getrieben. Da habe ich noch nicht erlebt, dass sich irgendwer unwohl fühlen würde."
Das Publikum im Stadion ist eben ein Querschnitt der Gesellschaft, das gilt besonders im fußballverrückten Neapel. Es ist das Stadion mit dem höchsten Zuschauerschnitt in ganz Italien, obwohl es selbst für italienische Verhältnisse eines der marodesten ist: Renoviert wurde das Stadio San Paolo zuletzt vor der Weltmeisterschaft 1990, als hier noch ein gewisser Diego Armando Maradona spielte. Mag der Beton auch bröckeln, der Traum von der Wiederkehr der großen Zeiten hält an.