Die NS-Vergangenheit der Wiener Universitätssternwarte
Täter des Wortes
Die Universitätssternwarte Wien feiert ihr 125-jähriges Bestehen. Für die Astronomen der Anlass sich mit der Geschichte der Sternwarte auseinanderzusetzen und ihre Schattenseiten zu beleuchten: Die Zeit während der Nationalsozialistischen Herrschaft.
8. April 2017, 21:58
Die Geschichte der Universitätssternwarte Wien wies bisher eine Lücke auf: die Zeit des Nationalsozialismus war völlig unerforscht. Dem Direktor, einem überzeugten NS-Mann mit guten Kontakten, wurde lange keine Beachtung geschenkt.
Bruno Thüring war von 1941 bis 1945 Direktor der Universitätssternwarte Wien. Er hatte einen einflussreichen Freund, einen ausgebildeten Astronomen, der als leitender Beamter im Reichserziehungsministerium saß: Wilhelm Führer wurde zur zentralen Figur bei Besetzungen im Wissenschaftsbereich. Er wollte die Wissenschaft nach der NS-Weltsicht umgestalten.
"Deutsche Physik"
Namhafte Gratulanten aus dem Bereich der "Deutschen Physik" wie der Nobelpreisträger Johannes Stark stellten sich ein. Sie alle machten ihren Einfluss gegen die moderne Physik und somit gegen die sogenannte "jüdische Physik" geltend.
Gratulationsbrief von Johannes Stark an Thüring vom 22.12.1940: "...Es wäre sehr erfreulich, wenn Sie sich in Wien auch um die Physik etwas annehmen würden. Mit ihr steht es dort nicht erfreulich, da Heisenberg für die theoretische Professur vorgeschlagen werden sollte...".
Feindbild Einstein
Werner Heisenberg, einer der Väter der Quantenmechanik, aber auch Einstein und seine Relativitätstheorie waren die erklärten Feindbilder Thürings und seiner Freunde. Der Direktor schrieb 1941 das Buch "Albert Einsteins Umsturzversuch der Physik" - eine antisemitische Schrift in polemischem Ton.
Entsprach es dem jahrtausendealten Ziel arischer Wissenschaft, im Begrifflichen möglichste Eindeutigkeit zu erreichen, so fühlt sich jüdische Denkungsart gerade dort wohl, wo infolge vorhandener Uneindeutigkeit "diskutiert" werden kann." (Zitat Bruno Thüring)
Thüring sah die Naturwissenschaften durch jüdische Wissenschaftler untergraben und er glaubte an eine Weltverschwörung, sagt Astronom Thomas Posch, der Thürings Schriften studiert hat.
Einstein stieg mit Hilfe einer im Bereich der Wissenschaft noch nicht dagewesenen, über die ganze Welt sich hinziehenden Propaganda zum berühmtesten Gelehrten der Welt empor. (Zitat Bruno Thüring)
Thüring nutzte seine Position auch für Vortrags und Forschungsreisen ins benachbarte Ausland, um Propaganda fürs Dritte Reich zu machen. Gut belegt ist seine Vortragsreise nach Budapest vom 13. August 1942.
Vortragsreise nach Budapest vom 13. August 1942
Am 15. Juli 42 hielt ich vor der Astronomischen Abteilung des Ungarischen Astronomischen Vereins in Budapest einen Vortrag über Sonnengranulation und Sonnenflecken. ... Insbesondere konnte ich hier eine sicher ehrlich gemeinte stark deutsch-freundliche Haltung und positive Einstellung dem dritten Reiche gegenüber feststellen. Man beneidet das dritte Reich vor allem: 1. um seine glänzende Organisation der Lebensmittelversorgung im Kriege und
2. um die radikale Lösung der Judenfrage."(Zitat Bruno Thüring)
Sonnenforschung
Thüring wurde 1943 zum Wehrdienst einberufen. Er konnte bis Kriegsende nicht mehr in sein Amt als Direktor der Sternwarte zurückkehren, obwohl er mehrfach versuchte, kriegswichtige Gründe anzuführen - die Sonnenforschung war sein Hauptargument.
In der Kriegszeit wurde die Sonnenüberwachung tatsächlich zum zentralen Thema für die Astronomie, denn die Sonnenaktivitäten störten den Funk. "Wie man aus Briefen und Protokollen sehen kann", fasst Franz Kerschbaum vom Institut für Astronomie der Universität Wien zusammen, "war Thüring ein Täter des Wortes."
Hör-Tipp
Dimensionen, Donnerstag, 4. Dezember 2008. 19:05 Uhr