Der gemeinsame Nenner ist das Unterschiedliche

Soul Jazz Records, London

Soul Jazz, das Plattenlabel des Londoners Stuart Baker, bringt seit Jahren Perlen afroamerikanischer und karibischer Musik neu oder erstmals heraus und widmet sich musikethnologischer Forschung. Seine Leidenschaft gilt dem jamaikanischen Label Studio One.

7 Broadwick, Soho, Central London, Soul Jazz Recordstore. Im Fenster hängen die neuesten Eigenveröffentlichungen, an den Wänden Poster der "100 Percent Dynamite"-Serie, darunter die Vinylscheiben und in der Mitte des Lokals die CDs, sortiert nach Funk, Jazz, World und Dub.

Im oberen Stock sitzt Soul-Jazz-Chef Stuart Baker in einem mit Medien aller Art vollgerammelten Büro: Kartons mit Promo-CD-Hüllen und mehrere Stapel an neuen Büchern: "Dancehall - The Rise of Jamaican Dancehall Culture", so der Titel der neuesten Soul-Jazz-Veröffentlichung.

Wir folgen der Leidenschaft, wo immer sie uns hinführt, ist Stuart Bakers Motto für die Auswahl seiner Veröffentlichungen. Dazu zählen auch Reggae und da besonders die schwingende Richtung Dancehall, denn die sei musikalisch wie auch intellektuell sehr stimulierend.

Späte Bekehrung

Als Jugendlicher hat Stuart Baker Reggae eigentlich gehasst. Er zieht mit seinen Eltern Ende der 1970er Jahre in den von karibischen Migranten dominierten Londoner Stadtteil Brixton. Dort ist er andauernd diesem, wie er sagt schrecklichen, international dennoch so erfolgreichen Post-Bob-Marley-Roots-Reggae ausgesetzt.

In den gut mit exklusiven Importen aus Jamaica sortierten Plattengeschäften Brixtons macht der Teenager Stuart schließlich die Entdeckung, dass es außer gut vermarktetem Stadion-Reggae á la Third World, auch einen spannenden, authentischeren Stil gibt. Während Bob Marley nach seinem Tod 1981 zum internationalen Reggae Gott wird, gehe es im selbstfokussierten Dancehall der 1980er Jahre um viel interessantere Themen wie Waffen, Sex und jamaikanische Politik.

Begonnen hat die Soul-Jazz-Erfolgsgeschichte vor 20 Jahren. Der 23-jährige Stuart Baker fährt in die USA, sucht, findet, ersteht rare Funk-, Soul- und Jazz-Platten und verkauft sie dann ihn England.

Erweitertes Spektrum
Ein paar Jahre später gründet er ein eigenes Label, das zuerst, wie der Name verspricht, Soul- und Jazz-Platten herausbringt. Dann habe es irgendwann, irgendwie, erklärt Plattennarr Baker, einen organischen Wechsel gegeben, hin zu Reggae, Punk, Latin und, ja auch, Techno, denn Stuart Baker mag Kraftwerk. Schließlich haben die deutschen Techno-Pioniere Computern und anderen Musik-Maschinen den Soul gelehrt.

Der gemeinsame Nenner dessen, was auf eine Soul-Jazz-Platte komme, sei das Unterschiedliche, die repräsentative Musik aus verschiedenen Kulturen, ob Funk aus Miami oder New Orleans, britischer Dubstep, haitianische Voodoomusik, oder Post Punk aus Sao Paulo, so Stuart Baker.

Der Musikethnologe
Stuart Baker will die spröde, trockene Musikethnologie bewässern und in die Beine und vorallem auch in Herz und Seele des Publikums fließen lassen. So auch bei einer der erfolgreichsten Soul-Jazz-Platten, dem brasilianisch-psychedelischen Tropicalia-Sampler, will er die intellektuelle und spirituelle Ebene miteinander kombinieren, so wie der Name Soul Jazz ja auch zwei verschiedene Musikrichtungen vereine.

Sechs bis acht Leute arbeiten heute in der Plattenfirma, die gemeinsam mit den Schwesterlabels Sounds of the Universe und Microsolutions to Megaproblems kompetente Themen-Kompilationen, 12-Inch-Singles und eine Menge mehr produzieren, nur keine bloßen Re-Releases. Es sei mehr als nur eine alte, beliebte Platte wiederzuveröffentlichen, sagt stuart Baker, man stelle das Material in einen neuen Kontext, präsentiere altes in frischem Gewand, so dass es wie etwas Neues klinge.

Gut ein halbes Dutzend Angestellte arbeiten im Platten-Geschäft und noch ein paar mehr im Lager, genaue Zahlen hat Stuart Baker nicht im Kopf, sie dürften ihn auch nicht sonderlich interessieren: "I am interested in creating new forms."

Wo Unterschiedliches aufeinander prallt, entstehen neue Formen. So wie in den Zentren der afrikanischen Diaspora in Amerika. Denn in fast jeder Stadt, in der die afrikanische Kultur auf die städtische Kultur der Neuen Welt getroffen ist, ist Stuart Baker überzeugt, sind hochinteressante musikalische Hybride entstanden: New Orleans, Havanna, Trinidad und Kingston.

Fokus Kingston
Der Hauptstadt Jamaicas und seinem wohl wichtigsten Label erweist Stuart Baker seit Jahren Referenz. Mit nach musikalischen Gesichtspunkten geordneten Kategorien wie Roots, DJs, Dub, oder Scorchers, also Instrumentalnummern, huldigt er dem mythischen Studio One des legendären Studiobetreibers und Produzenten Clement Coxsone Dodd.

Clement Dodd ließ Stuart Baker und Freunde in seinem gigantischen Song-Archiv gewähren und machte für die Soul-Jazz-Crew auch Kopien seiner Originalbänder oder erlaubte das Remastering von den Originalplatten. Nicht zuletzt dafür hat ihm Stuart Baker mit der mehrstündigen Doku "Studio One Story" ein filmisches Denkmal gesetzt.

Auf gleich mehreren Soul-Jazz-Kompilationen ist der sogenannte Real Rock Riddim aus dem Haus Studio One vertreten. Und Stuart Baker wird nicht müde, die verschiedenen Variationen dieser Nummer zu lieben.

Eine besonders wichtige Soul-Jazz-Platte für den englischen Liebhaber jamaikanischer Musik ist "England Story", eine Kompilation, die sich der jamaikanisch inspirierten Sprechgesangkultur im Vereinten Königreich von 1984 bis 2008 annimmt - gleichsam eine Werkschau über den künstlerischen Clash of Cultures oder besser den Kulturkampf, der - wenn man so will - vor Stuart Bakers Haustür in Südlondon stattfindet. Eine Platte, die er auf jeden Fall machen sollte, betont er, hätte er sie nicht schon im Frühjahr dieses Jahres herausgebracht.

"England Story" erzählt wahrscheinlich mehr über kulturelle Integration und den großen britischen Schmelztiegel als eine ganze Reihe an gut gemeinten Music of Black Origin-Verleihungen", hieß es in einer Kritik in der Tageszeitung "The Guardian", die mit den Worten schloss: "Don't call it urban, it's just the sound from round here.

Hör-Tipp
Diagonal stellt vor, Samstag, 6. Dezember 2008, 17:05 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Links
Soul Jazz Records
The Guardian - The sound from round here