Ein Ausnahmenphysiker

Ein Teilchen, 1000 Träume

Wolfgang Pauli, der Entdecker des Elementarteilchens Neutrino, war auch ein Zahlenmystiker. Der österreichische Ausnahmephysiker beschäftigte sich in der zweiten Hälfte seines Lebens auch mit Psychologie, Alchemie und dem Materie-Geist-Problem.

Wolfgang Pauli ist nicht nur der Entdecker eines Elementarteilchens namens "Neutrino", sondern auch ein Zahlenmystiker gewesen. Als der österreichische Ausnahmephysiker 1958 in Zürich stirbt, ist diese dunkle Facette seines Denkens weitgehend unbekannt. Kaum ein Kollege ahnt, wie intensiv sich Pauli - der scharfzüngige Rationalist - auf die Nachtseite seines hellwachen Verstandes eingelassen hat.

Dieser andere, unbekannte Pauli wird erst jetzt, 50 Jahre nach seinem Tod, allmählich sicht- und begreifbar. Vor allem in den mehr als 1000 eigenen Träumen, die der Physiker aufgezeichnet und teilweise in einem Briefwechsel mit dem Zürcher Tiefenpsychologen C.G. Jung analysiert hat.

Der am "Freiburger Institut für Grenzgebiete der Psychologie" lehrende Physiker Harald Atmanspacher und der Konstanzer Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer beschäftigen sich seit Jahren mit der unbekannten Nachtseite Wolfgang Paulis. 7000 Seiten vornehmlich privaten Schrift- und Briefverkehrs des Physikers liegen seit kurzem vor. Und sie zeigen einen Wolfgang Pauli, der ein intellektuelles Doppelleben geführt zu haben scheint.

Die Tagseite - kurzes Stenogramm über Wolfgang Pauli

Pauli, Wolfgang Ernst Friedrich. Geboren in Wien-Döbling am 24. April 1900. Planck begründet in diesem Jahr die Quantentheorie, Freud publiziert seine "Traumdeutung". Besuch des humanistischen Gymnasiums in Wien. Bereits mit 18 Veröffentlichung einer ersten Arbeit über die Energiekomponenten des Schwerkraftfeldes. Physikstudium in München bei Arnold Sommerfeld. Mit 21 Dissertation und Publikation einer Einführung in die Relativitätstheorie. Einstein zeigt sich beeindruckt.

Mit 22 Assistent bei Max Born in Göttingen, mit 23 Arbeiten bei Niels Bohr in Kopenhagen. Mit 24 Habilitation in Hamburg und Entdeckung des "Ausschließungsprinzips": zwei Elementarteilchen mit halbzahligem Spin, etwa zwei Elektronen, können niemals den gleichen Quantenzustand einnehmen. Aus dieser Erkenntnis erklärt sich beispielsweise die unterschiedliche Beschaffenheit der chemischen Elemente.

Mit 28 Professor an der ETH Zürich. Mit 31 theoretische Formulierung des Neutrinos. Entdecker des Elektronen-Spins. Von 40 bis 45 Gastprofessor am "Institute for Advanced Study" Princeton. Keine Beteiligung am amerikanischen Atombombenprojekt in Los Alamos. 1945 Nobelpreis für Physik. Ein Jahr später Rückkehr nach Europa an die ETH Zürich. Mit 58 Jahren stirbt Wolfgang Pauli an Magenkrebs. Sein Grab liegt am Friedhof in Zürich- Zollikon.

Die Nachtseite Wolfgang Paulis

Der Physiker sitzt gerne in Kinos und Kneipen, hat zeitweilig ein Problem mit Alkohol und Frauen, verschläft als Student häufig die 11:00 Uhr Vorlesung, benötigt für den Führerschein 100 Fahrstunden und durch seine bloße Anwesenheit soll jedes technische Gerät den Geist aufgegeben haben. Die Kollegenschaft nennt dieses Phänomen, an das Pauli selbst geglaubt hat, den "Pauli-Effekt".

Und der Mann, dessen sarkastischer Humor und unerbittliche Gedankenschärfe in wissenschaftlichen Detailfragen gefürchtet ist, beginnt ab den 1930er Jahren damit, sich für Psychologie, Alchemie, Traumsymbolik und das Wesen des Unbewussten zu interessieren.

Psyche und Physis wieder vereint

Wolfgang Paulis großes Projekt ist, den kartesianischen Schnitt zwischen Geist und Materie wieder rückgängig zu machen. 1954, vier Jahre vor seinem Tod, schreibt Pauli:

Es geht mir um die ganzheitliche Beziehung zwischen "Innen" und Außen", welche die heutige Wissenschaft nicht enthält, die aber die Alchemie vorausgeahnt hat und die sich auch in meiner Traumsymbolik nachweisen lässt. Ich bin an die Grenzen des heute Erkennbaren gekommen und habe mich sogar der "Magie" genähert. Dabei bin ich mir darüber klar, dass hier die drohende Gefahr eines Rückfalls in primitivsten Aberglauben besteht und dass alles darauf ankommt, die positiven Resultate und Werte der Ratio dabei festzuhalten.

Manifestationen des persönlich Unbewussten

Nach einer persönlichen Lebenskrise, ausgelöst durch die Scheidung von seiner ersten Frau, nimmt Wolfgang Pauli in den 1930er Jahren Kontakt zu dem Zürcher Tiefenpsychologen C. G. Jung auf. Er beginnt eine Therapie. Darüber hinaus entspinnt sich zwischen den beiden Männern ein Gedankenaustausch, der das nachtseitige Denken Paulis prägen wird.

Pauli interpretiert seine Träume als spontane Manifestationen des persönlich Unbewussten. Zum einen tauchen in seinen Nachtphantasien wiederholt Figuren wie " der Blonde", "der Fremde", "der Meister", "die Lichte" oder "die dunkle Unbekannte" und die "Chinesin" auf. Die beide letzten Figuren stellen nach Jung die unbewusste Seite einer Person dar: im Falle eines Mannes ist das die "Anima". Zum anderen betreten auch durchaus reale Gestalten die Traumszenerie, beispielsweise Albert Einstein.

Es pflegt mir im Traum irgendeine Autorität auf dem betreffenden Spezialgebiet der Physik zu erscheinen und mir zu erklären, die Zerlegung einer Spektrallinie in ein Duplett oder in anderen Fällen die Zerlegung eines chemischen Elements in zwei Isotope sei von fundamentaler Wichtigkeit.

Archetypen als Vorstufe des Denkens

Pauli erinnert sich an Wellen- und Schwingungssymbole in seinen Träumen. Sie drücken einerseits psychologische Prozesse aus, andererseits stellen sie eine vorbegriffliche Sprache für das physikalische Denken dar. Es sind die von Jung als "Archetypen" bezeichneten kollektiven Bilder, die sich im Unbewussten der Menschheit einnisten. Pauli ist überzeugt, dass die Archetypen das wissenschaftliche Denken beeinflussen.

... nach sorgfältiger kritischer Erwägung vieler Erfahrungen kam ich dazu, die Existenz tieferer seelischer Schichten zu akzeptieren, die durch den gewöhnlichen Zeitbegriff nicht adäquat beschreibbar sind. Infolge Fehlens geeigneter Begriffe werden diese seelischen Bereiche durch Symbole dargestellt; und zwar bei mir besonders häufig durch Wellen - oder Schwingungssymbole.

Die Jungeschen Archetypen stellen eine Vorstufe des Denkens dar, einen kollektiven Fundus an archaischen Bildern und Symbolen, mit denen unbewusste Formen des Erkennens möglich werden. Pauli ist überzeugt, dass diese Archentypen auch die Entwicklung großer, wissenschaftlicher Theorien beeinflussen.

Das Beweismaterial liefern Pauli seine eigenen Träume. Dort tauchen regelmäßig Begriffe und Konzepte wie Welle, Teilchen, Dipol, Spektrallinien, oder Radioaktivität auf.

Früher oder später werden sich Atomphysik und Psychologie des Unbewussten in bedeutender Weise annähern, da beide, unabhängig voneinander und von entgegengesetzter Seite, in transzendentales Gebiet vorstoßen, jene mit der Vorstellung des Atoms, diese mit der des Archetypus.

Der Stein der Weisen

Ein in diesem Zusammenhang häufig auftauchendes Bild Paulis ist der radioaktive Zerfall. Dabei sendet ein instabiler Atomkern zu einem völlig unvorhersehbaren Zeitpunkt geladene Teilchen aus, in der Regel begleitet von einem Neutrino. Jenem ungeladenen Teilchen, dessen Existenz Pauli 1931 als Erster vorgeschlagen hat.

In Paulis Träumen spielt der radioaktive Kern aber häufig die Rolle des Steins der Weisen, meint der in Freiburg lehrende Physiker Harald Atmanspacher. Pauli, der an eine tiefe, noch nicht offen gelegte Beziehung zwischen Materie und Seele glaubt, interessiert sich für die Alchemisten. In ihrem Denken sei die Einheit von Materie und Psyche ansatzweise realisiert gewesen.

Diese Nachtseite seiner Seele hat Pauli zu Lebzeiten vor Kollegen und der Öffentlichkeit verborgen. Zu stark ist wohl seine berechtigte Befürchtung gewesen, von spiritistischer und esoterischer Seite gründlich missverstanden und vereinnahmt zu werden.

Hör-Tipp
Dimension, Montag, 15. Dezember 2008, 19:05 Uhr