Konferenz im Rahmen von Wien Modern
Ist die klassische Musik tot?
Stirbt das Publikum für klassische Musik aus? Und wer ist das überhaupt, das Publikum? Eine Konferenz im Rahmen von Wien Modern beschäftigte sich mit diesen und anderen Fragen. Manche Teilnehmer ließen mit unkonventionellen Forderungen aufhorchen.
8. April 2017, 21:58
Auch heuer wieder fand im Rahmen von Wien Modern eine in Kooperation mit Musikinformationszentrum Austria (mica) organisierte Konferenz statt. Die diesjährige Konferenz drehte sich um niemanden Geringeren als Sie - das Publikum.
"Publikumswandel: Herausforderungen für die Kunstmusik in der ganzen Welt", lautete der Titel, und was unter diesem Titel Mitte November im Wiener Konzerthaus stattfand, war ein intensives rund sechsstündiges gemeinsames Nachdenken und Austauschen um diese anonyme Größe, die der Begriff Publikum für uns Musikvermittelnde in der Regel darstellt, ein Stück weit mehr fassen zu können.
Mitorganisatoren waren neben Wien Modern auch noch der Internationale Musikrat, der zu jener Zeit gerade in Wien tagte und die IGNM Österreich.
Das Publikum altert
"Die Beobachtung ist hier, dass sich die Demographie des Publikums altersmäßig fortschreitend entwickelt und eher bei der Jugend die Nachfrage nicht so anzutreffen ist, das ist ein Befund, den uns viele Soziologen, Soziologinnen empirisch geben und manchmal kann man es auch sehen, wenn man in ein Konzert geht", so Peter Rantasa, Geschäftsführenden Direktor des mica.
Pensionisten und die Rockmusik
Auf der anderen Seite, so Rantasa weiter, würde jene Generation, die nun anfängt in Pension zu gehen, leidenschaftlich gerne Rockmusikkonzerte besuchen, weil das jene Musik sei, mit der eben diese Generation aufgewachsen sei.
"Sind Fragen der Ökonomie im Vordergrund? Hat sich die Kunst dem Markt zu widmen oder eben diesem zu entziehen und zu reflektieren?", so Rantasa. "Das sind Fragestellungen, die wir im europäischen und abendländischen Kontext kennen."
Stirbt die klassische Musik aus?
Die Konferenz "Publikumswandel" konnte auch Gäste aus Australien, Brasilien, Paraguay, dem Kongo und den USA begrüßen. Die beiden Vertreter der Industrienationen warfen zwei höchst unterschiedliche Blicke auf die Frage, ob klassische Musik denn nun tot sei oder nicht, jeweils unter Zuhilfenahme vieler Zahlen.
Richard Letts, der Geschäftsführende Direktor des australischen Musikrates verwendete sie, um zu zeigen, wie sehr die Zahl an Musikstudentinnen und Musikstudenten in den letzten Jahren zurückgegangen sei. Überhaupt würden heute nur mehr ein paar wenige privilegierte Kinder mit klassischer Musik in Berührung kommen: "Und wiederum nur ein paar Wenige aus dieser ohnehin schon kleinen Gruppe kommen schließlich auch mit neuer klassischer Musik in Berührung. Die Meisten werden diese Klänge nie hören, es sei denn durch Zufall, etwa in einem Film. Das Überleben der klassischen Musik im Westen wird aber von diesen Kindern abhängen, nicht nur, weil sie das Publikum der Zukunft sind, sondern auch weil sie die Politikerinnen und Politiker der Zukunft sind."
Kein Sinn fürs Publikum?
Schuld am Schwinden des Interesses an klassischer Musik, so mutmaßte Richard Letts, seien nicht zuletzt die Musikerinnen und Musiker, die sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg mehr mit ihren Experimenten als mit ihrem Publikum beschäftigt hätten.
Er wüsste nun schon, dass er sich mit dieser Ansage in Österreich vermutlich keine Freunde machen werde, schickte Letts dem voran, aber das sei ihm jetzt egal, weil dies viel zu wichtig, um es einfach nicht zu sagen. Und er würde dann morgen ja ohnehin wieder im Flugzeug Richtung Australien sitzen.
Warnung vor zu viel Pessimismus
Gary Ingle, der Direktor der US-amerikanischen Organisation Music Teachers National Association warnte demgegenüber vor zu viel Pessimismus, denn von allem gäbe es heute mehr, es gäbe mehr Konzerträume, mehr Festivals, mehr Ensembles und mehr Orchester, mehr Künstlerinnen und Künstler und mehr Publikum.
"Ich glaube dieses Händeringen ist durch eine Reihe falscher Annahmen motiviert. Irgendwie nehmen wir immer an, dass klassische Musik stets ein großes Publikum hatte, aber eigentlich wissen wir, dass das nicht stimmt. Wenn man sich an bestimmte Musikmagazine hält, dann kann man schnell den Eindruck gewinnen, dass klassische Musik einmal sehr profitabel war. Sie war nie profitabel! Auch die Annahme, dass die klassische Musik unterdrückt wird, wenn wir uns nicht um ein größeres Publikum bemühen ist irreführend. Diese Rede von all den potentiellen Konzertbesucherinnen und -besuchern da draußen, die nur auf uns warten; darauf, dass wir ihre Vorstellungskraft und ihr Interesse an klassischer Musik wecken, - nun ich bin mir auch nicht so sicher, dass die stimmt."
Radiohead klassisch
Wir sollten uns statt auf eben diese falschen Annahmen auf zwei Dinge konzentrieren, so Gary Ingle. Erstens sollten wir damit aufhören, ständig das gleiche Repertoire zu spielen und zweitens sollten wir der Entwicklung nichts in den Weg stellen, denn das was wir unter klassischer Musik verstehen, das müsse immer wieder neu verhandelt werden, die klassische Musik müsse sich auch weiterhin immer wieder neu erfinden können. Auch bei der Musik von George Gershwin sei man sich einmal sicher gewesen, dass dies keine klassische Musik sei.
"Etwa vor einem Jahr gab es in der 'New York Times' eine Konzertkritik, die Kritik eines Neuen-Musik-Konzertes und der Kritiker schrieb, dass das interessanteste und kreativste Stück jenes war, das der Gitarrist von Radiohead komponiert hatte", so Ingle. "Wird also die Musik von Radiohead in einem halben Jahrhundert als klassische Musik gelten? Dann würde es wohl auch mehr Publikum dafür geben. Ich unterstreiche es nochmals: Wir müssen uns und die klassische Musik immer wieder neu erfinden, um der Zeit in der wir leben gerecht zu werden. Dann werden wir auch keine Publikumsprobleme haben."
Hör-Tipp
Zeit-Ton, Mittwoch, 17. Dezember 2008, 23:05 Uhr
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Wien Modern