Der Schweizer Schriftsteller und Kabarettist Franz Hohler
Ziviler Ungehorsam als Lebensprinzip
Ähnlich wie in seinen Büchern erzählt Franz Hohler auch vor Publikum stets Geschichten, in denen Alltägliches und Gewöhnliches plötzlich Eigenartiges und Bedrohliches zeigen. Scheinbar Normales wird ins Skurrile und Absurde gesteigert.
8. April 2017, 21:58
Franz Hohler zeigt auf seiner Homepage Ungewöhnliches
Franz Hohler sei ein "realistischer Fantast oder ein fantasiebegabter Realist", sagte einmal sein Schweizer Schriftsteller Kollege Urs Widmer über ihn. Franz Hohler schaffe es, der Bestie Wirklichkeit in die Augen zu schauen, ihren Medusenblick auszuhalten und dabei heiter zu bleiben und optimistisch.
Der 1943 in Biel geborene Franz Hohler wuchs in Olten auf, studierte in Zürich Romanistik und Germanistik und brach schon nach fünf Semestern das Studium zugunsten seines ersten abendfüllenden Programms "pizzicato" ab. Von diesem Moment an war er als "Mann mit dem Cello" ein Begriff und mit seinen literarisch-musikalisch-kabarettistischen Soloprogrammen auf den Kleinkunstbühnen des deutschen Sprachraums präsent. Ein besonderes Anliegen ist ihm Zivilcourage, wie er im Interview Ursula Burkert erzählt.
Den Mut des Alltags unterstützen
Ursula Burkert: Urs Widmer hat einmal über Sie gesagt, sie seien ein fantasiebegabter Realist oder ein realistischer Fantast. Was kann er gemeint haben?
Franz Hohler: Die Wirklichkeit kann man sich nicht aussuchen, die sucht einen heim, aber auch da kann man sich an dem orientieren, was einem Mut macht, was einen freut, und mit dieser Energie das bestehen, das einen niederdrück t und erschreckt. In diesem Widerstreit sind wir ja täglich, wir müssen ja die Energie hernehmen, um zu bestehen und den Fallen fürs Gemüt auszuweichen. Es ist sehr schwierig, ein gutes Essen zu genießen, wenn man weiß, dass Hunderttausende Menschen hungern. Da besteht eine Diskrepanz zwischen Erster und Dritte Welt und wir sind an diesem Ungleichgewicht beteiligt. Allein wenn wir Geld in die Pensionskassen geben und hoffen, dass diese das Geld gewinnorientiert zum Beispiel in den Rohstoffmärkten anlegen und sich an Geschäften beteiligen, die andre arm machen. Da kann man sich nicht rausstehlen. Da eine Balance zu finden, ist nicht leicht, entweder man verdrängt, das finde ich unakzeptabel. Allerdings kann man aber auch nicht die ganze Last der Welt auf sich nehmen. Ich denke auch nicht, dass wir in einer Welt leben, in der man keine Kinder haben sollte. Mit dieser Haltung kann auch nichts besser werden. Man muss irgendwo dazwischen sein. Am besten man tankt Energie, auch mit kleinen Erlebnissen. Der Frühling ist jedesmal so ein Ereignis: Wenn die Mönchgrasmücke wieder kommt und eine Paar nistet in der Umgebung, dann denke ich: Schön, es geht weiter! Die dürfen wir unserem Gemüt zuführen, das hilft uns.
Was macht Sie wütend?
Uneinsichtigkeit macht mich wütend, Unbewusstheit macht mich auch wütend. Wenn ich sehe, wie zum Beispiel aus rein finanziellen Erwägungen mit Geld umgegangen wird, das nur zur Erwirtschaftung von mehr Gewinn angelegt wird. Da gibt es eine Firma in Zug, die hat die Aktienmehrheit an einer kolumbianischen Kohlenmine. Die Zustände in der Mine sind desaströs: Gewerkschaftsführer werden ermordet, Killerkommandos sind auf Leute, die kritisch sind, angesetzt. Wenn man dafür nur ein Achselzucken übrig hat, diese Haltung macht mich wütend, denn sie versucht, die Wirklichkeit in Zinsprozente zu verwandeln, das ist menschenfeindlich und das macht mich wütend.
Wie verhalten Sie sich angesichts der vielen Ungerechtigkeiten auf dieser Welt?
Ein Mittel, das ich benützen kann, ist etwas zu schreiben, etwas dazu sagen. Ich habe kürzlich einen Artikel über einen Schweizer Umweltaktivisten geschrieben, der sieben Jahre im Urwald gelebt hat. Als man begann, die Wälder abzuholzen, hat er den Einheimischen geholfen, Barrikaden zu errichten. Von den Holzgesellschaften wurde ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, jetzt ist er seit fünf Jahren verschwunden. Ich bin sicher, der ist ermordet worden, man hat ihn gesucht, es gibt keine Spuren. Die Firma, die vermutlich auch für seinen Tod verantwortlich ist, ist an die Börse von Hongkong gegangen, für eine Riesensumme. Die Credit Suisse hat dieser Firma, die die Urwälder kaputt macht, diesen Platz an der Börse verschafft. Darüber habe ich geschrieben, das heißt es ist bemerkt worden. Es ist nicht ohne Widerspruch vor sich gegangen. Das ist die kleine Wirkung, die man sich erhofft, nämlich der Geschichte gegenüber. Die Hoffnung, es bewirke eventuell das nächste Mal etwas.
Gibt es noch Zivilcourage oder ist sie in der allgemeinen Zukunftsangst in den Hintergrund getreten?
Ich denke, die Fähigkeit zur Zivilcourage besteht durchaus. Ich bin in einer Jury "prix courage", die beobachtet und schlägt Leute vor, die den Preis bekommen sollen. Da gibt es alle Jahre viele Fälle von mutigen Leuten, die zum Teil ihre Stellen verloren haben, da sie gegen Missstände protestiert haben. Das geht bis zu Menschen, die anderen helfen und Messerstecher abhalten. Der letzte Preisträger, das war ein kleiner italienischer Coiffeur, der einen Hünen gestoppt hat, auf eine Frau einzustechen. Das ist eine impulsive Courage. Ich weiß nicht, ob ich die hätte, wenn man das kann, ist das bewundernswert. Aber es gibt auch noch viele andere Fälle von Zivilcourage. Es gibt auch Menschen, die nicht locker lassen, zum Beispiel wenn es um die Gesundheit geht. Wir hatten einen Fall, da haben Leute protestiert, weil eine Firma Asbest-verseucht war. Diese Leute wurden aus der Firma rausgeschmissen, aber die Firma musste auch stillgelegt werden, bis das Asbest beseitigt worden ist. Ich fühle mich schon als realistischen Optimist, denn ich sehe, dass es in diesen Fällen etwas bewirkt, Zivilcourage zu beweisen. Es ist immer die Frage, nützt es etwas, wenn ich einen Brief für Amnesty International schreibe? Die Erfahrung zeigt: Es nützt! Vielleicht nützt nicht gerade mein Brief, aber dafür der nächste, der vierte und fünfte. Irgendwann nützt es! Aber wenn gar niemand schreibt, dann passiert nie etwas!
Hör-Tipp
Gedanken, Donnerstag, 25. Dezember 2008, 13:10 Uhr
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Franz Hohler