Eine Zeitreise auf Darwins Spuren

Geschichten vom Ursprung des Lebens

Dass die Lehre von der Evolution immer noch umstritten ist, erstaunt angesichts der vielen Fortschritte, die die Menschheit in den letzten 200 Jahren gemacht hat. Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins hat nun ein neues Buch zum Thema herausgebracht.

Hatte es die Evolution darauf angelegt, das Leben in den rund dreieinhalb Milliarden Jahren seit seiner Entstehung so weit zu entwickeln, dass schließlich der Mensch auf dem Planeten erscheinen würde? Nein, natürlich nicht, natürlich gibt es weder einen Plan, noch ein endgültiges Ziel, auf das sich die Evolution zubewegt, und schon gar nicht ist das der Mensch, wiederholen Evolutionsbiologen seit Charles Darwin unermüdlich. Dennoch streben die Stammbäume des Lebendigen, die sie dann aufzeichnen, irgendwie meistens in die Höhe, und allzu oft findet sich auf einem Zweig ganz oben der Mensch. Wenn schon nicht Krone der Schöpfung, dann zumindest die der Evolution, suggerieren solche Bilder.

Kurz vor seiner Emeritierung von der Universität Oxford wollte es der Biologe Richard Dawkins anders versuchen und zäumt das Pferd daher, gewissermaßen, von hinten auf. Er beginnt seine Reise durch die Geschichte des Lebens im Jetzt - genau genommen, beim Genom-Entschlüssler Craig Venter, dessen Hund und allen heute lebenden Menschen.

Pilgerreise zu unseren Ahnen

"Dann kam mir diese Idee mit der Pilgerreise, weil ich eine epische Form für eine Reise von der Gegenwart in die Vergangenheit suchte", erzählt Dawkins. "Da bin ich auf die 'Canterbury Tales' gekommen. An denen hab ich mich orientiert, meine Pilgerreise beginnt also mit einem Ziel, nämlich dem Ursprung des Lebens. Auf dem Weg dorthin treffen immer mehr Pilger aufeinander, jeder kann eine Geschichte erzählen, und jede Geschichte ist quasi ein Erklärstück zur Evolution."

In Geoffrey Chaucers Canterbury Tales aus dem 14. Jahrhundert erzählen sich Pilger, ihrem jeweiligen Stand und ihrer Herkunft entsprechend, auf einer Reise Geschichten über die verschiedenen Facetten der menschlichen Natur. Richard Dawkins begibt sich auf eine Pilgerreise zur Dämmerung der Evolution "A Pilgrimage to the Dawn of Evolution" heißt der Untertitel der "Ancestor's Tales" im Original. Er verfolgt die heute lebenden Menschen über die Generationen zurück bis zu dem Zeitpunkt des letzten gemeinsamen Vorfahren von uns und den uns am nächsten verwandten lebenden Tieren, den Schimpansen. Das war vor rund fünf bis sieben Millionen Jahren. Ab da sind die Schimpansen Teil "unserer" Pilgergruppe, und es geht weiter zurück in der Zeit.

Zurück zur ersten Zelle

Eine weitere Million Jahre früher kommt es zur nächsten Begegnung mit einem letzten gemeinsamen Vorfahren. Dem von uns und Schimpansen - und den Gorillas. Über vierzig solcher Begegnungen wächst die Pilgerschar an, bis sie schließlich, vor etwa dreieinhalb Milliarden Jahren, bei dem einen Punkt ankommt, von dem alles, was heute kreucht und fleucht oder mit Wurzeln in der Erde steckt - zu Land, im Wasser oder in der Luft - abstammt. Von vorne nach hinten erzählt Richard Dawkins die Geschichte des Lebendigen und erklärt nebenbei die Regeln der Evolution.

"Ich lehne die Vorstellung einer zielgerichteten Evolution ab", so Dawkins. "Das war auch der Grund, warum ich mich entschieden habe, die Geschichte rückwärts nachzuzeichnen. Dennoch habe ich gleich zu Beginn des ersten Kapitels meine Schwäche fürs Reimen eingestanden, die mich zu einem vorsichtigen Liebäugeln mit wiederkehrenden Mustern und Gesetzmäßigkeiten, sowie einer vorwärtsgerichteten Evolution verleitet."

Vielleicht, meint Richard Dawkins, würde sich Evolution ab der Entstehung der eukaryontischen Zelle wiederholen. Wenn die einmal da wäre, käme es vielleicht im Laufe der Jahrmillionen wieder zu einer Artenvielfalt, wie wir sie heute kennen. Dafür spricht nach Ansicht Dawkins zum Beispiel, dass Säugtiere auf der Erde nicht nur einmal entstanden und sich dann in weitere Arten verzweigt haben, sondern parallel mehrmals auf verschiedenen Kontinenten.

900 lesenswerte Seiten

Wenig Zuversicht für eine Wiederholung der Evolution, wie wir sie kennen, hätte Dawkins für einen Zeitpunkt vor der ersten Zelle mit Zellkern und Zellorganellen. Dass dieses Grundmodell einer Zelle, aus der alle heute lebenden Pflanzen und Tiere bestehen, je entstanden ist, stellt für manche ein mindestens ebenso unwahrscheinliches Ereignis dar wie die Entstehung des Lebens überhaupt. Dieser Meinung schließt sich auch Dawkins an.

Wenn er mit seiner Pilgerfahrt in der Evolution am Ursprung des Lebens ankommt, kann er nicht mehr umkehren und die Geschichte wieder vorwärts bis heute erzählen. Auf rund 900 lesenswerten Seiten hat Dawkins seine "Zeitreise auf Darwins Spuren", wie es im deutschen Untertitel heißt, zurückgelegt.

Service

Richard Dawkins, "Geschichten vom Ursprung des Lebens. Eine Zeitreise auf Darwins Spuren", aus dem Englischen übersetzt von Sebastian Vogel, Ullstein Verlag