Simha Arom erforschte die Musik der Pygmäen

Polyphonie und Polyrhythmie

Der Ethnomusikologe Simha Arom ist in Fachkreisen weltbekannt für seine Aufnahmen afrikanischer Musik. Besonders jene der Aka-Pygmäen und der Banda Linda. Die Begegnung mit dieser Musik mehrere zeitgenössische Komponisten nachhaltig beeinflusst.

Simha heißt Freude. Sim-cha, mit kurzem I und langem A. Bei den Aschkenasim ist das ein seltener Vorname, bei den Sephardim dagegen ein häufig vergebener. Allerdings für Mädchen. Und so zeigt sich gleich zu Anfang etwas Typisches für das weitere Leben des späteren großen Musikethnologen Simha Arom: Typisch für ihn und sein Leben ist das Untypische.

Simha heißt Freude. Tatsächlich ist es eine Freude, Simha Arom zuzuhören. Das liegt zum einen an der Lebendigkeit und Intensität, mit der er zu erzählen weiß; zum anderen am Inhalt seiner Erzählungen. Simha Arom hat über viele Jahre die Musik der Pygmäen erforscht. Und sowohl die Musik als auch die Menschen, die diese Musik machen, die Aka-Pygmäen, sind in höchstem Maße faszinierend.

Musikstudium unter schwierigen Umständen

Nicht minder faszinierend ist die Lebensgeschichte des Simha Arom, der 1930 in Düsseldorf in eine jüdisch-polnische Familie geboren wird, als Kind im französischen Exil nur knapp der Deportation nach Auschwitz entgeht und über Andorra und Barcelona auf ein Flüchtlingsschiff nach Palästina gelangt. Im Kibbuz entdeckt er seine außerordentliche musikalische Begabung.

Unter schwierigen Umständen schafft er es, an der Musikakademie von Jerusalem Geige studieren zu können. Aber eine schwere Verletzung während des Unabhängigkeitskriegs von 1948 macht für alle Zukunft seine - bis dahin realistische - Hoffnung zunichte, ein großer Geiger zu werden. Stattdessen wird Simha Arom in kürzester Zeit ein großer Hornist, erhält 1951 ein Stipendium ans Pariser Conservatoire National und diplomiert 1954 mit Auszeichnung. Er wird Solohornist in Lausanne und schließlich im Kol Israel Orchestra, dem Orchester des Israelischen Rundfunks.

Nicht gemacht für den Orchesterdienst

Aber Simha Arom ist nicht gemacht für das vergleichsweise langweilige Leben eines Orchestermusikers. Nicht gemacht fürs Disziplin-Regime, fürs Funktionieren. Als er 1963 eingeladen wird, in die Republik Zentralafrika zu gehen, um dort ein Jugendblasorchester aufzubauen, kommt ihm die fundamentale Veränderung gerade recht. Er spricht ausgezeichnet Französisch, er ist ein hervorragender Hornist. Ein Jugendblechblasorchester? In Zentralafrika? Warum nicht, denkt Simha Arom.

Dass er in Zentralafrika eine Passion für den Rest seines Lebens entwickeln würde, das war damals, 1963, noch nicht abzusehen. "Ich erlebte ein positives Trauma, als ich die Musik dort zum ersten Mal hörte", erinnert sich Simha Arom. "Ich war als Musiker in der westlichen Welt ausgebildet worden. Ich kannte die Musik von Mozart bis Schönberg und ein bisschen weiter. Aber solche Musik, so etwas hatte ich niemals zuvor gehört." Sehr komplizierte, hochkomplexe Musik. Gespielt ohne Noten. 10, 15, 20 Musiker sangen und spielten zusammen - ohne Dirigenten. Wie ist das möglich? Wie?

Die Musik der Pygmäen

Simha Arom war "beleidigt", wie er sagt. Weil er nicht und nicht begreifen konnte, wie die Musik funktionierte, worauf sie aufbaute, was sie trieb. Er beginnt, Dörfer aufzusuchen. Er macht erste Aufnahmen. Und er begegnet den Aka, den kleingewachsenen Waldmenschen. Sie leben weitgehend im Einklang mit der Natur. Die Pygmäen definieren sich in allem immer als Gemeinschaft. Und so existiert auch ihre Musik in einem intensiven Zusammenspiel aller mit allen.

"Es ist nicht hierarchisiert. Die Kultur wird von allen geteilt. Jeder kennt den kompletten Korpus aller Musik des ganzen Stammes. Jeder tanzt und jeder singt. Manche schlagen die Trommeln. Andere klatschen. Jeder ist aktiv, aber immer nur so weit, wie er oder sie aktiv sein will. Es gibt keinen Chef", erzählt Simha Arom. Er habe Gänsehaut bekommen, als er die Musik der Pygmäen gehört habe. "Denn das ist eine Musik, die aus der Urzeit kommt. Sie ist vollkommen archaisch. Und wenn man sie hört, dann spürt man, dass man diese Musik irgendwo ganz tief auch in sich selbst hat."

Bewegt-bewegende Biografie
Später hat Simha Arom viele Jahre das Institut für mündlich überlieferte Sprachen und Kulturen ("Laboratoire des langues et civilisations à tradition orale" - LACITO) am Centre national de la recherche scientifique (CNRS) geleitet. Im Mai 2008 war er im Arnold Schönberg Center der allseits begeisternde Gast des Orpheus Trust und der Wiener Akademie des Exils der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung. Der Anlass - die Präsentation des Buches "Douce France? Musik-Exil in Frankreich/ Musiciens en exil en France 1933-1945" (Herausgeber Michel Cullin, Primavera Driessen Gruber, Böhlau-Verlag).

Neben Simha Aroms bewegt-bewegender Biografie und seiner jahrelangen Forschung über die Musik der Aka und der Banda Linda galt das Publikumsinteresse auch seiner Freundschaft mit György Ligeti. Kennengelernt hatten sich die beiden anlässlich eines Seminars über jemenitische Musik, das Simha Arom 1974 im Phonogramm-Archiv der Universität von Jerusalem gegeben hatte. Ligeti beschäftigte sich gerade intensiv mit Polyrhythmie, Arom brachte ihm seine Aufnahmen zu Gehör. In der Folge entspann sich ein anhaltender Briefwechsel, schließlich eine Freundschaft.

Ligetis Etüden

Zu den Feiern anlässlich Ligetis 65. Geburtstags erreichte Simha Arom eine Einladung. Er möge mit afrikanischen Musikern nach Hamburg kommen und eine Vorführung der Polyrhythmien geben. Nach der Vorführung war Ligeti tief bewegt, erinnert sich Simha Arom. "Später hat Pierre-Laurent Aimard, der Pianist, Ligetis Etüden für Klavier aufgenommen, in die ja viele afrikanische Techniken eingeflossen sind."

Aimard hatte dann die Idee, ein Konzert in zwei Teilen zu machen: im ersten Teil mit Ligetis Klavierstücken, gefolgt von einem zweiten mit den Pygmäen und den Banda Linda - die ihn beeinflusst hatten. Daraus wurden schließlich Tourneen. Davon Simha Arom erzählen zu hören, das ist einmal mehr ... Sim-cha. Eine Freude!

Hör-Tipp
Ö1 extra: Simha Arom. Pygmäen, Polyphonie und Polyrhythmie, Freitag, 26. Dezember 2008, 22:05 Uhr

Buch-Tipps
Simha Arom, "La boîte à outils d?un ethnomusicologue. Textes réunis et présentés par Nathalie Fernando", Les Presses de l'Université de Montréal

"Douce France? Musik-Exil in Frankreich/ Musiciens en exil en France 1933-1945", Hrsg. von Michel Cullin, Primavera Driessen Gruber, Böhlau-Verlag