Greenspan als verhinderter Jazzer

Jazz in Zeiten der Wirtschaftskrise

Angeblich laufen in ökonomischen Krisenzeiten die Künste zu besonderer Hochform auf. Zum Wahrheitsbeweis in Sachen Jazz ein Blick auf kommende Jazzfestivals und die verhinderte musikalische Karriere des Ex-US-Notenbankchefs Alan Greenspan.

Die allgegenwärtige Finanzkrise, die Banken und Autofabrikanten bereits zu spüren bekamen, hat nun auch die Musikbranche erfasst: Erste Opfer sind Jazzfestivals, denen durch den Ausfall der Sponsoren ihre finanzielle Grundlage abhanden kommt. Besonders in Übersee, das uns in Sachen Börsencrash um einiges voraus ist, bläst ein scharfer Gegenwind.

Montreal etwa, die selbsternannte "Stadt der Festivals", ist vom Hauptsponsor General Motors abhängig, der verlautbart hat, dass trotz Hilfspaket aus Washington die kommende Saison 2009 des Festival International de Jazz de Montreal die letzte sein wird, die man finanziell unterstützt.

Festivals ersatzlos gestrichen

Das St. Louis Jazz and Heritage Festival wurde bereits ersatzlos gestrichen, das International Jazz Festival Ottawa, das vor allem aus Mitteln der öffentlichen Hand finanziert wurde, konnte seine Finanzierung noch nicht sichern, und die Stadt Chicago wird als ersten Schritt beim Chicago Jazz Festival des Jahres 2009 nicht nur die Zahl der Bühnen, sondern auch die Veranstaltungsdauer von vier auf drei Tage kürzen.

Auch das jährliche Bluesfestival der Stadt wird betroffen sein. Avantgardefestivals wie etwa das kanadische International Musique Actuelle Victoriaville mussten bereits abgesagt und auf spätere Jahre verschoben werden. Die Gründe dafür liegen, ebenso wie in anderen Branchen, im mangelnden Vertrauen der Kreditgeber, aber auch in der ungewissen Zukunft der Fluglinien und der Wechselkurse, sowie in den schwer kalkulierbaren Finanzaussichten staatlicher und privater Sponsoren.

Parallelen in der Geschichte

Vergleichbares geschah schon Ende der 1920er-Jahre, als die Ära des sogenannten "Jazz Age" im Oktober 1929 zu einem abrupten Ende kam, mit gravierenden Folgen auch für die Musikindustrie. In Zeiten allgemeinen Wohlstands, wie sie zu Beginn der 1920er Jahre im Norden der USA herrschten, bestand eine große Nachfrage nach Vergnügen und Unterhaltung. Die folgende Weltwirtschaftskrise verschlechterte die ökonomische Situation sowohl des Publikums als auch der Musiker, und der Jazz entwickelte sich zu kommerzieller Unterhaltungsmusik mit immer größer werdenden Orchestern, der "Swing" beziehungsweise "Symphonic Jazz" trat seinen Siegeszug um die Welt an.

Besonders dem Medium Rundfunk hatte diese Musikrichtung ihren grandiosen Erfolg zu verdanken. Während die Schallplattenindustrie als Folge der allgemeinen Rezession in eine tiefe Krise abglitt, erlebten Livekonzerte im Rundfunk mit den großen Ensembles von Benny Goodman, Count Basie und Duke Ellington, die praktisch umsonst genossen werden konnten, einen wahren Boom. Für andere aber bedeutete die Wirtschaftskrise das Ende der Karriere. Joe "King" Oliver etwa, Mentor des jungen Louis Armstrong, verlor seine gesamten Ersparnisse bei einem Bankenkollaps in Chicago, musste in der Folge seine Band auflösen und sich als Hausmeister in Savannah/Georgia durchschlagen, wo er 1938 völlig verarmt starb.

Meilensteine im Ölschockjahr

Verlust und Profit lagen also in enger Nachbarschaft, schwierige Zeiten konnten neben Bankrott immer auch Meisterwerke hervorbringen, so entstanden etwa im Ölschockjahr 1973 Meilensteine der Jazzgeschichte, wie etwa Herbie Hancocks millionenfach verkauftes "Headhunters"-Album oder Billie Cobhams "Spectrum".

Mittlerweile macht in Jazzkreisen ein Radiointerview mit dem ehemaligen US-Notenbankchef Alan Greenspan die Runde, der wegen seiner deregulierten Finanzpolitik als einer der Wegbereiter der amerikanischen Kreditkrise gilt. In seiner Jugendzeit war Greenspan in diversen Big Bands in New York als Saxophonist und Klarinettist aktiv, bis er eines Tages neben dem 15-jährigen Stan Getz musizieren durfte. Der junge Saxophonist beeindruckte Greenspan derart, dass dieser beschloss, seine musikalische Karriere an den Nagel zu hängen und Ökonomie zu studieren. Der Rest ist Finanzgeschichte. Aber Stan Getz deswegen gleich für die Finanzkrise mitverantwortlich zu machen, das ginge dann doch etwas zu weit.

Hör-Tipp
Die Ö1 Jazznacht, Samstag, 3. Jänner 2009, 23:45 Uhr

CD-Tipps
Joe "King" Oliver’s Creole Jazz Band, "The Complete Set", Challenge Records 79007

Duke Ellington, "Black & Tan Fantasy", Nocturne Records JZBD017

Duke Ellington, "Money Jungle", Blue Note Records 85129

Herbie Hancock, "Headhunters", Sony BMG SON065123

Billie Cobham, "Spectrum", Rhino Records 07268

Link
Online Newshour - Interview mit Alan Greenspan
Red Hot Jazz - Joe "King" Oliver