Die Geschichte der Sneakers

Brandmale der Markengesellschaft

Im Fall des Turnschuhs sind es die Aufsteigermythen um junge, schwarze Männer, die aus den härtesten Stadtvierteln Amerikas kommen und es trotzdem "geschafft" haben. "Sie vermarkten doch nur unsere Armut!", meint Karl Sanders, ein Streetball-Spieler.

"And here they were branded - Hier wurden ihnen Erkennungszeichen in die Haut gebrannt." Der Tourguide in der ghanaischen Sklavenburg Elmina erzählt sehr emotional die Geschichte der vielen Tausenden Sklavinnen und Sklaven, die von dieser Festung aus nach Amerika und Europa verschifft wurden.

Unter den Besucherinnen und Besuchern ist auch eine Gruppe jugendlicher Basketballspielerinnen und -spieler aus Ghanas Hauptstadt Accra. Die "Nima Flames" wandern mit ihrem Coach auf den Spuren ihrer Vorfahren. Die meisten von ihnen tragen Turnschuhe (engl. "Sneakers") der Marken Nike, Reebok und Adidas.

Konsum, Kultur und Politik

Die Urszene zur Bedeutung von "Sneakers" in der Auseinandersetzung von Konsum, Kultur und Politik ereignete sich 1968 bei den Olympischen Spielen in Mexiko. Damals begannen die deutschen Turnschuhhersteller Adidas und Puma schwarze Sportlerinnen und Sportler dafür zu bezahlen, dass sie in ihren Schuhen antraten.

Es waren dieselben Olympischen Spiele, bei denen die Läufer Tommy Smith und Juan Carlos in schwarzen Strümpfen und mit Lederhandschuhen auf dem Siegespodest standen. Ihre Turnschuhe trugen sie als Symbol für die verzweifelte Lage der schwarzen Bevölkerung in Südafrika und den USA in den Händen. Als die amerikanische Hymne ertönte, streckten sie ihre Fäuste zum "Black Power"-Salut in die Höhe und verharrten so minutenlang im Blickfeld von Millionen Fernsehzuschauerinnen und -zuschauern.

Die Botschaft kam an: Smith und Carlos hatten 24 Stunden Zeit, ihre Medaillen abzugeben und das olympische Dorf zu verlassen. Das war der Auftakt zu einem bis heute anhaltenden "Sneaker War", eine um Lebensstil und Konsum organisierte Marketingschlacht, die das Leben schwarzer Großstadtkids jahrzehntelang nachhaltig beeinflussen und im Zuge der Globalisierung Jugendliche auf der ganzen Welt in ihren Bann ziehen sollte.

Es begann mit Michael Jordan

"Jahrelang konzentrierten wir uns auf Design und Herstellung unserer Schuhe, jetzt verstehen wir, dass wir eine Marketing-Firma sind, die ein Image verkauft. Unsere Produkte sind nur Mittel zum Zweck." So erklärte Nike-Präsident Phil Knight schon vor Jahren seine Marketingstrategien.

Nike nutzte sehr früh seine Kontakte im asiatischen Raum und erreichte durch die Verlagerung der Produktion nach Indonesien eine drastische Senkung seiner Herstellungskosten. Dadurch konnten Millionen Dollar in die teuerste Image-Kampagne gesteckt werden, die es in der Sportartikel- und Bekleidungsindustrie je gegeben hatte. Knight konzentrierte die Werbung 1982 mit einem Millionenvertrag auf einen jungen Basketballspieler: Michael Jordan avancierte als erster Schwarzer zum globalen Werbeträger, der mit einer Marke identifiziert wurde.

Doch ohne das gerade durch Firmen wie Nike forcierte Outsourcing von Textil- und Industriejobs, von denen große Teile der schwarzen Bevölkerung lebten, und die darauf folgende Ghettoisierung afroamerikanischer Stadtteile Ende der 1980er Jahre, hätte dieser Mythos vom kometenhaften Aufstieg eines Sportidols nie entstehen können. Der Umsatz von Nike stieg durch Michael Jordan von fünf Millionen auf heute zehn Milliarden Dollar. In Stadtteilen, die vor allem von Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern bewohnt wurden, gab es ab Ende der 1980er Jahre nur noch für Frauen ein paar wenige Jobs im Dienstleistungssektor - den Männern blieben der Drogenhandel und Basketball als letzte ökonomische Ressource. Heute sind alleine in New York City 52 Prozent aller schwarzen Männer arbeitslos, die Rate bei Jugendlichen ist noch um vieles höher.

Vom Ghetto ins Luxusleben

Die Geschichte des Sneakers erzählt immer auch die politische Geschichte der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA. Wie Hip-Hop ist heute Basketball in den USA eine im Wesentlichen schwarze Domäne. Ein gutes Spiel vermittelt die gleiche intensive, mitreißende Stimmung wie das Konzert einer Hip-Hop-Band, gefeiert wird neben der dynamischen Spielgestaltung die besondere Kreativität und Virtuosität der Athleten. Wie der originelle Reim im Hip-Hop unabhängig vom Inhalt funktionieren kann, so dienen virtuose Spielzüge wie "Slamdunk" oder "Dribbling" nicht nur dem Punktegewinn - elegante oder autoritäre Bewegungen verunsichern den Gegner und unterhalten das Publikum.

Die desolate Landschaft afroamerikanischer Stadtviertel dient als dramatischer Hintergrund für die Erfolgsgeschichten der von Konzernen vermarkteten Superstars, denn es gibt keinen größeren Sprung als den aus dem "Ghetto" hinein ins Luxusleben.

Das "Ghetto" hat die gleichen Attribute wie Gangsta-Rap, das Leben dort ist gefährlich, aber authentisch, es fühlt sich echt an und verwegen, voller Leid und Leidenschaft. Ein Ort für Dissidenten und Desperados, harte Kontraste, extreme Charaktere und Erfahrungen, die einer weißen Mittelschicht allesamt sehr fern sind. Doch genau diese weiße Mittelschicht ist die wichtigste, weil kaufkräftigste Gruppe für Sneakers.

Allgegenwärtiges Logo

Auch auf Accras Straßen ist das Nike-Logo, der "Swoosh", allgegenwärtig. Nike-Sneakers erzielen auf dem Markt die höchsten Preise und vermitteln das höchste Sozialprestige. Auf manchen Autos kleben gar Sticker mit "Nike is God" - und doch wollen nicht alle diesem Gott so bedingungslos folgen.

Aziz und Ajara haben die Sklavenburg mittlerweile verlassen und sitzen am Strand, schauen aufs Meer hinaus. "Dort, immer geradeaus, ist New York...", träumt sich Ajara ins unerreichbare Paradies. "Ja, da will ich hin!", meint Aziz, "aber ich würde dort nicht für Nike spielen. Lieber für ein Underground-Team. Nike sagt immer, 'Just Do It', doch was meinen sie eigentlich damit? Das sollen sie mir zuerst erklären."

Text: Katharina Weingartner

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