Das Erstarken der Geheimdienste
Marionetten
"Marionetten" ist nicht der erste Krimi, in dem der heute 77-Jährige John Le Carré kritisch mit den Amerikanern umgeht. Es geht um das langsame Erstarken der Geheimdienste und ihre Wandlung in geschlossene, wenig kontrollierte Zirkel der Macht.
8. April 2017, 21:58
Ein einziger von Le Carrés Romanen wöge 1.000 Leitartikel auf, sagt einer, der es wissen muss: der Berliner Publizist Gustav Seibt. Und tatsächlich: Wem die Artikel zum Thema innere Sicherheit zu abstrakt, die Politberichte im Fernsehen zu meinungslos sind, wem Murat Kurnaz wegen seines frommen Bartes unsympathisch und Khaled el-Masri ebenfalls suspekt ist, der liest in John Le Carrés neuem Thriller, was ihn das trotzdem alles angeht. Und versteht mühelos, dass ein Regiment der Staatsschützer das Ende demokratischer Rechtsstaatlichkeit bedeuten würde - eine Entwicklung, die sich nach 9/11 in Deutschland andeutete. Hamburger Verfassungsschützer wissen ein Lied davon zu singen.
Fragwürdige Mittel
Nach den verheerenden Anschlägen auf die New Yorker World Trade Center waren sie mit amerikanischen Geheimdienstlern konfrontiert, die auf der Suche nach den Hintermännern der Täter das Heft in die Hand nehmen wollten. In Hamburg studierte Mohamed Atta, einer der Drahtzieher und Selbstmordattentäter vom 11. September 2001.
Die Amerikaner halten die Deutschen für Multikulti-Weicheier, mutmaßte damals einer der deutschen Staatsschützer. Und in den Folgejahren wurde allmählich öffentlich, zu welchen Mitteln die Amerikaner gegriffen hatten: Entführung, Folter, Guantanamo. So weit die der Öffentlichkeit zugängliche Realität.
Das Problem, nicht die Lösung?
An dieser Stelle setzt John Le Carrés neuer Thriller "Marionetten" an. Und es ist nicht der erste, in dem der heute 77-Jährige kritisch mit den Amerikanern umgeht. In dem Roman "Marionetten" geht es nicht um Öl, nicht um Krieg, aber um ein weiteres Puzzleteil des aktuellen Gesamtkunstwerkes westlicher Politik: um das langsame Erstarken der Geheimdienste, ihrer Wandlung in geschlossene, wenig kontrollierte Zirkel der Macht.
"Wir müssen immer aufpassen, dass diese enorme geheime Welt, wie sie jetzt ist, dass sie statt die Lösung zu sein das Problem selber wird", meint John Le Carré. "Der Begriff, dass wir irgendwie einen großen Kreis gründen von Menschen, die alles besser wissen als die anderen und dadurch den anderen überlegen sind, ist mir eigentlich sehr unangenehm. Und ich finde, das ist eine große Gefahr der jetzigen Zeit. Ich wünsche, Obama würde sagen, der Krieg gegen den Terror ist vorbei, aber der Kampf gegen Terroristen geht weiter."
John Le Carré, ein stattlicher 2-Meter-Gentleman mit buschigen Augenbrauen und tadelloser Haltung, hat in Bern Germanistik studiert. Hildebrandlied, Walther von der Vogelweide und solche Sachen, sagt er. Wahrscheinlich spräche er Frühmittelhochdeutsch. Ob man ihn denn verstünde? Der Mann, der als David John Moore Cornwell in Großbritannien geboren wurde, lebte als englischer Diplomat in Bonn und später ein Zeit lang in Hamburg. Sein neuester Roman "Marionetten" spielt fast ausschließlich in der Hansestadt.
Im Visier der Ermittler
Der Plot: Issa, ein junger Mann, lässt sich aus Tschetschenien nach Hamburg schleusen, behauptet, der Sohn eines vermögenden russischen Militärs zu sein, dessen Erbe er nun an Ort und Stelle antreten wolle. Sein Schlüssel passt zu einem Tresor-Schließfach, die Geheimnummer stimmt auch, aber Issa ist verdächtig. Könnte er nicht ein Wiedergänger Mohamed Attas sein? Er ist Muslim. Er war in Russland im Gefängnis. Er will Asyl in Deutschland. Aber sein Geld will er tschetschenischen, also muslimischen Hilfs-Organisationen spenden. Er will es nicht haben. Er behauptet, es sei schmutziges Geld. Er und alle, die mit ihm zu tun haben, geraten nun ins Visier der Ermittler.
Das Vorbild für seine Hauptfigur Issa fand John Le Carré in Deutschland: "Da wurde ich von einer Journalistin - Carla Hohenstein - eingeladen, mit Murat Kurnaz zusammenzutreffen, und war von seiner Geschichte sehr beeindruckt. Er ist ein großer, starker Mann. (...) Und schon der Anblick eines Menschen dieser Statur, was er gelitten hat in diesem engen Käfig, das war für mich etwas ganz Fürchterliches."
Mehr als drei Monate recherchiert
Am 11. September 2001 hielt John Le Carré sich gerade in Hamburg auf, als seine Sekretärin ihn anrief und sagte, er solle unter allen Umständen sofort fernsehen. An diesem Tag wurde die Idee geboren, Hamburg, die Stadt der Djihad-Schläfer, wie sie eine Weile hieß, zum Spielort eines Thrillers zu machen. Über drei Monate habe er in der Hansestadt recherchiert, erzählt der Autor. Akribisch, wie sich herausstellt. Jede Kneipe, jede Unterführung, jeder Vivaldi-Lautsprecher im Hauptbahnhof ist genau an der Stelle, die Le Carré in seinem Roman beschreibt.
Einige seiner Figuren sind ihm ein wenig holzschnittartig geraten, darunter auch die Hauptfigur Issa. Anders die Figuren der Ermittler, besonders der deutschen. Hervorragend in ihren Zweifeln und Konflikten beschriebene Menschen, die auch als von der Macht ihrer Funktion Verführte gezeigt werden.
Intime Kenntnis der Szene
John Le Carré kennt Wohl und Wehe des Agentenberufes selbst, denn er war nach seinem Studium in Bern erst Diplomat, dann Geheimagent seiner Majestät, bevor er seine Insiderkenntnisse in Agententhrillern fruchtbar machte. Titel wie "Der Spion, der aus der Kälte kam” und "Das Russlandhaus” zeugen von intimer Kenntnis der Szene. Trotzdem, auf seine Jahre beim britischen Geheimdienst ist er nicht wirklich stolz - gehörte es doch auch zu seiner Aufgabe, getarnt als Kommunist linksgerichtete Studentengruppen auszuspionieren. Aber Le Carré kann sich das heute verzeihen. Er weiß jetzt, warum er einen solchen Job antreten musste:
"Ich war damals ohne Eltern. Und suchte dadurch meine Identität zu finden. Ich war als Kind zu jung, im Zweiten Weltkrieg mitzumachen. Das verlieh mir irgendwie ein schlechtes Gewissen. Als ich dann angesprochen wurde, als junger Soldat, fühlte ich mich sehr stolz und wollte mitmachen, koste es was es will. Daraus habe ich meine Selbstachtung zum ersten Mal gefunden."
"Sohn eines Hochstaplers"
Der Agent: das Kind, das nirgendwohin gehört. Le Carré schrieb einmal über seinen Vater: Er war ein ruchloser Schwindler, ein Pumpgenie, Hochstapler, Gentleman. Tatsächlich saß Ronnie Cornwell häufiger im Gefängnis und trat ab mit 30 Millionen Pfund Schulden. John Le Carrés Mutter hat die Familie verlassen, da war ihr Sohn fünf.
"Graham Greene hat einmal behauptet, die Kindheit eines Schriftstellers sei sein Kreditkonto. Nach diesem Maßstab bin ich ein geborener Millionär", so Le Carré. "Ich sah in der geheimen Welt einen sicheren Hafen für den unreformierbaren Sohn eines Hochstaplers."
Sein Vater habe ihn zum Spion gemacht, schrieb er vor Jahren. "Ich war vor seinen Lügen geflohen." Und: "In der geheimen Welt fand ich eine Art Reinheit, Mission und Patriotismus auch, die mir erlauben würden, als junger Ritter auf einem weißen Ross in dem Kampf gegen das Böse loszuziehen. So sah ich die geheime Welt damals. Und so sah sie sich auch, glaube ich."
Heute sieht Johne Le Carré die Welt des Geheimdienstes weniger idealistisch. "Mit der Einschränkung der Bürgerrechte spielen wir dem Terrorismus in die Hände", hat der Autor 2001 in einem Interview gesagt. Mit seinem neuen Roman "Marionetten" wiederholt er diese Warnung in spannender erzählerischer Form. Und absolut überzeugend.
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
John Le Carré, "Marionetten", aus dem Englischen übersetzt von Regina Rawlinson, Ullstein Verlag
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Ullstein .- John Le Carré