Eine Sängerin der Superlative

Das Stimmphänomen Marilyn Horne

Jürgen Kesting nennt sie "die größte Virtuosa der Welt": Marilyn Horne, von den 1960er bis 90er Jahren Mezzosopran-Triebfeder der Belcanto-Renaissance und Sängerin der Superlative, wird 75. Ein Stimmphänomen, auf den ersten Ton erkennbar.

Trinklied des Orsini aus "Lucrezia Borgia"

Wer an die Belcanto-Renaissance der 1960er Jahre denkt, denkt an Marilyn Horne. Wer an das Rossini-Revival der 1970er Jahre denkt, verneigt sich vor Marilyn Horne. Wer Händel-Aufnahmen aus den 1980er Jahren sucht, kommt an Marilyn Horne nicht vorbei.

"Die größte Virtuosa der Welt" nennt der sonst so über-strenge Jürgen Kesting die amerikanische Mezzosopranistin: Marilyn Horne war ein Stimmphänomen, auf den ersten Ton erkennbar, aber mit 100 Facetten und einer atemberaubenden Reichweite - im Repertoire und im Stimmregister.

Eine Karriere, eine Stimme der Rekorde

Obwohl sie im Plattenstudio einer "Fidelio"-Leonore nichts schuldig geblieben ist, besaß sie die maskuline, um nicht zu sagen: "kerlig" klingende Tiefe, um für eine Generation zur Idealbesetzung für Belcanto-Hosenrollen zu werden. "Rinaldo" mit ihr in der Titelrolle war in den 1980er Jahren die erste (!) Händel-Oper an der New Yorker Metropolitan Opera.

Von "Tancredi" über "L'assedio di Corinto" bis zur "Italiana in Algeri" reichte Marilyn Hornes Rossini-Repertoire: Das Rossini-Festival in Pesaro bekam internationalen Klang, sobald sie vorbei sah, und bis davor negierte Stücke wie "La donna del lago" wurden angesetzt, weil sie sie singen konnte - mit Verve, Bravour und einem wahren Arsenal an Belcanto-Gesangsraffinessen.

Und als ob das noch nicht genügen würde, hat Marilyn Horne in den späten 1960er Jahren an einem legendären Abend in der Carnegie Hall nach viel Rossini auch noch die Brünnhilden-Schlussszene aus der "Götterdämmerung" zum besten gegeben - rekordverdächtig, wie die 45 Jahre professioneller Karriere, auf die die am 16. Jänner 1934 Geborene zurückblicken kann.

Gelsenkirchens "Mädchen aus dem goldenen Westen"

Wie erlebt man als Sängerin den "Durchbruch"? Man kehrt, als amerikanische Opern-Gastarbeiterin in Gelsenkirchen, heim in die USA, springt bei einer "Beatrice di Tenda" mit Joan Sutherland in New York für Giulietta Simionato ein - und "a star is born", so sieht es oberflächlich aus. In Wahrheit hat Marilyn Horne vor diesem "Durchbruch" schon 15 Jahre gesungen: im "Los Angeles Concert Youth Choir", als Singstimme für die Hauptdarstellerin im "Carmen Jones"-Film von 1954, in diversen Fernsehshows, als Background-Sängerin.

An der University of Southern California in LA studierte sie, und fiel nicht nur dem großen Regisseur Carl Ebert auf, sondern auch Igor Strawinsky. Der Komponist brachte sie 1956 nach Wien, für einen Auftritt bei den Wiener Festwochen, worauf sie in Europa blieb und nach Gelsenkirchen ins Engagement ging - als Sopran. Mimi, Mädchen aus dem goldenen Westen, Amelia in "Simon Boccanegra", Tatiana, "Wozzeck-Marie", das alles hat Marilyn Horne in Gelsenkirchen gesungen.

Das Belcanto-Dreamteam
Dann kam die Begegnung mit Joan Sutherland und Richard Bonynge und mit ihr der Schritt in eine neue musikalische Welt: Die Stimmen passten zusammen, harmonierten auch im Gesangstechnischen, außerdem stimmte die "Chemie". Sutherland und Horne wurden zum Sopran-Mezzosopran-Idealpaar für so viele Belcanto-Opern von Rossinis "Semiramide" bis Bellinis "Norma" und für mehr als zwei Jahrzehnte.

Übrigens war, so wie Joan Sutherland mit Richard Bonynge, auch Marilyn Horne lange mit einem Dirigenten verheiratet: Richard Lewis. Man wetteiferte im Plattenstudio im Austüfteln von "Themen"-Alben: Wenn Cecilia Bartoli heute Bellinis Star-Interpretin Maria Malibran "wiederentdeckt", tut sie das auf den Spuren von Marilyn Horne.

Geburtstagsfeier in der Carnegie Hall
Für die Vielen, die Marilyn Horne herzlich zugetan sind, kam vor zwei Jahren die Nachricht, dass sie an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt war, als ein Schock. Man las von "guten Prognosen", danach gab es keine weiteren Hiobsbotschaften mehr. Zuletzt hat die Sängerin die "Marilyn Horne Foundation" auf die Beine gestellt, mit dem Ziel, die junge Generation zum Liedersingen zu bringen.

Sie selbst ist im Lauf ihrer Karriere, auch noch nach dem Bühnenabschied 1996, auf 1.300 Liederabende gekommen. Und natürlich feiert diese Stiftung ihre Stifterin zum 75. Geburtstag groß, am 18. Jänner in der New Yorker Carnegie Hall, mit, alphabethisch und unter anderem, Nicole Cabell, David Daniels, Joyce DiDonato, Susan Graham, Thomas Hampson, Dmitri Hvorostovsky, Karita Mattila, James Morris, Thomas Quasthoff, Samuel Ramey, Frederica von Stade, Dolora Zajick - und noch mehr Überraschungsgästen.

Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 15. Jänner 2009, 15:06 Uhr

Link
Marilyn Horne Foundation