Kündigung statt besserer Arbeitsbedingungen?
Aufruhr an Österreichs Universitäten
An Österreichs Universitäten regt sich Widerstand: Lektor/innen und Drittmittelangestellte kämpfen mit Rahmenbedingungen, die ihre Arbeit verhindern bzw. nicht unterstützen. Kann das neue Universitätsgesetz hier Abhilfe schaffen oder bleibt die Misere?
8. April 2017, 21:58
Mit der Novellierung des Universitätsgesetzes 2002, die am 1. Oktober 2009 in Kraft getreten ist, sollten die Arbeitsbedingungen an Österreichs Universitäten verbessert werden. Lektoren, Lektorinnen, Assistenten und Assistentinnen melden Bedenken an. Denn die prekären Arbeitsverhältnisse an Österreichs Universitäten werden nicht abgeschafft.
Nicht nur die Studenten und Studentinnen an Österreichs Universitäten klagen über überfüllte Hörsäle und fehlende fachliche Betreuung. Sondern auch das wissenschaftliche Personal hat seine Probleme. Lehre und Studentenbetreuung an Österreichs Universitäten liegt zum Großteil in den Händen so genannter Lektoren und Lektorinnen.
Diese bekommen Arbeitsverträge, die von Semester zu Semester verlängert werden. Mit dem Universitätsgesetz 2002 wurden diese Kettenverträge zeitlich limitiert. Wer länger als sechs beziehungsweise acht Jahre mit einem Kettenvertrag beschäftigt wird, muss in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen werden - oder: er oder sie muss die Universität verlassen.
Weniger Lohn für gleiche Leistung
Diese Anstellungen sind unsicher. Denn: noch im September kann der Lektor oder die Lektorin eine Zu- oder Absage erhalten. Unklar ist auch bis zuletzt, mit welcher Stundenzahl er oder sie beschäftigt werden und wie die Tätigkeit von Seiten der Universität eingestuft wird. Denn nicht immer gibt es gleichen Lohn für gleiche Leistung. Die Einstufung des Lehrauftrages hängt vom aktuell verfügbaren Budget eines Institutes ab.
Nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) sind Lektoren und Lektorinnen zwar unfall- und krankenversichert. Ihre Pensionsvorsorge müssen diese Universitätsangestellten aber privat finanzieren. Bei einem durchschnittlichen Einkommen von 1.000 Euro pro Monat bleibt nach Abzug der Lebenshaltungskosten hier jedoch wenig finanzieller Spielraum. Über die Runden kommen die meisten nur mit einem zweiten Job.
Prozentuell stellen die externen Lektorinnen und Lektoren rund ein Fünftel des universitären Personals. An manchen Instituten wird der universitäre Betrieb fast ausschließlich von Lektoren und Lektorinnen bestritten. Am Institut für Afrikanistik zum Beispiel sind zwei Professoren, zwei Assistentinnen, eine Sekretärin und 19 Lektoren und Lektorinnen beschäftigt. 12 von ihnen müssen durch Inkrafttreten des Universitätsgesetzes 2002 nach dem Wintersemester 2010/ 2011 die Universität verlassen.
Mangelnde Betreuung der Studierenden
Am Institut für Politikwissenschaften betrifft das etwa 30 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Wie Lehre und Studentenbetreuung geleistet werden sollen, wenn ein Drittel des Personals schlagartig wegfällt, ist den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen unklar. Dazu kommt, dass diese hochqualifizierten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen arbeitslos werden.
Den drohenden Personalnotstand wollen die Universitäten mit der Einführung der sogenannten "Senior Lecturer"-Stellen kompensieren. Statt bisher 7,99 Stunden pro Woche sollen die Lektoren und Lektorinnen 16 Stunden Lehrverpflichtung abhalten. Dafür kommen sie in den Genuss eines Kollektivvertrages. Doch das Budget reicht nur für wenige Vortragende, die unbefristet angestellt werden können. Die übrigen müssen die Universität verlassen.
Forschung und Lehre werden getrennt
Die Lektorenvertreter/innen sehen in der praktischen Umsetzung dieser Verträge zusätzliche Probleme. Denn mit 16 Stunden Lehrverpflichtung bleibt den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen keine Zeit zur Forschung. Unterrichten sie aber weniger, müssen sie in den verbliebenen Reststunden Verwaltungsarbeiten übernehmen.
Wer kann sich auf das Abenteuer Wissenschaft noch einlassen? Lässt sich unter diesen Voraussetzungen eine wissenschaftliche Karriere planen? Viele junge Wissenschaftler/innen setzen auf die Schlagworte Flexibilität und Mobilität. Mehrere Sprachen zu sprechen und Auslandserfahrungen zu erwerben, das gehört heute auch in der Wissenschaft zum guten Ton. Leisten können sich das de facto aber nur wenige. Denn es kostet nicht nur Zeit und Energie, sondern auch viel Geld, wenn man zwischen zwei Städten hin und her pendelt.
Wissenschaftler/innen verlassen Österreichische Universitäten
Es gibt aber noch eine zweite Berufsgruppe an Österreichs Universitäten, die unter prekären Arbeitsverhältnissen leben: Die so genannten Drittmittelangestellten. Diese hochqualifizierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind hauptsächlich in der Forschung tätig. Sie haben über private Sponsoren aus der Wirtschaft oder über Fonds die Finanzierung ihrer Projekte selbst organisiert.
Mit dem Universitätsgesetz 2002 wurden diese Forscher und Forscherinnen formal an der Universität angestellt. Damit trat auch die Kettenvertragsregelung in Kraft. Nach sechs Jahren Forschungstätigkeit müssen diese Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ihre Arbeit abbrechen.
Am Institut für Biochemie der Universität Wien zum Beispiel müssen von 15 Forschungsgruppenleitern zehn das Institut verlassen. Selbst wenn sie weiterhin die Geldmittel für ihre Projekte aufstellten, dürfen sie nach der geltenden Kettenvertragsregelung nicht länger am Institut arbeiten.
Plattform Drittmittelpersonal
Maximilian Forchler ist als Postdoc ebenfalls Drittmittelangestellter an der Universität Wien. Er hat gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen die Plattform Drittmittelpersonal gegründet. Das Ziel dieser Plattform war es, bei den Verhandlungen zur Novellierung des Universitätsorganisationsgesetzes, das am 9. Juli 2009 im Parlament beschlossen wurde und mit 1. Oktober in Kraft tritt, die Interessen der Drittmittelangestellten einzubringen. Mit Erfolg.
Denn mit der Novellierung des Gesetzes ist es nun möglich, nicht sechs sondern zehn beziehungsweise 12 Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellt zu werden. Mit der Einführung des Kollektivvertrages am 1. Oktober 2009 sollten zumindest ein Teil der befristeten Verträge in unbefristete Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden.
Das bedeutet, dass aus den vorhandenen Projekten und Personen ausgewählt werden muss, wer in die Vergünstigung eines Kollektivvertrages kommt und wer nicht. Allein an der Universität Wien sind davon 1.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen betroffen.
Kein Geld für fixe Posten
Die Forderung, dass die Universität Lektor/innen und Drittmittelangestellte aber schrittweise in unbefristete Arbeitsverhältnisse überführt - und zwar unter den Bedingungen eines Kollektivvertrages - stellt die Universitäten vor finanzielle Probleme. Denn Angestellte sind teurer. Die Sozialabgaben waren bis dato nicht budgetiert. Friedrich Faulhammer, Sektionschef im Wissenschaftsministerium, kann die Sorgen der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jedoch nicht verstehen. Denn mit 30 Millionen zusätzlich pro Jahr will das Ministerium die Mehrkosten abdecken.
Rektor Georg Winckler von der Universität Wien errechnet jedoch 60 bis 80 Millionen Euro Mehrkosten. Wer diese Finanzierungslücke wie schließen soll, ist bis heute unklar.
Der Schatten der Kollektivverträge
Die Personalvertreter und -vertreterinnen an den Universitäten bemerken, dass die Einführung des Kollektivvertrags ihre Schatten wirft. Einerseits wurde eine Reihe von Verträgen abgeschlossen, die mit dem 29. September 2009 beginnen und damit noch nicht unter die neue Kollektivvertragsregelung fallen. Andererseits werden volle Verträge abgestuft, erzählt die Betriebsrätin Susanne Mann von der Universität für angewandte Kunst in Wien, indem die Betroffenen keinen vollen, sondern nur 75 Prozent Verträge mehr erhalten.
Die Novellierung des Universitätsgesetzes 2002 sollte die Arbeitsbedingungen des wissenschaftlichen Personals an Österreichs Universitäten verbessern. Für die Drittmittelangestellten ist dies gelungen, indem die Kettenvertragsregelung erst nach zehn beziehungsweise 12 Jahren in Kraft tritt. Ob dieser Passus auch auf die Lektoren und Lektorinnen angewandt wird, liegt im Ermessensspielraum der jeweiligen Institutsleiter und Rektoren.
Die Einführung des lang erwarteten Kollektivvertrags hingegen verschärft die finanzielle Situation und vergrößert den personalen Notstand an den Universitäten. Denn um die Mehrkosten zu finanzieren, muss Personal reduziert werden. Damit stellt sich die Frage nach der Qualität der Studien. Ob eine Forschungs- und Bildungsinstitution wie die Universität unter marktwirtschaftlich geführten Organisationsstrukturen auch ihren Kerngeschäften Forschung und Bildung gerecht wird, das bleibt offen.
Hör-Tipp
Journal Panorama, Dienstag, 6. Oktober 2009, 18:25 Uhr
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IG Externe LektorInnen und freie WissenschafterInnen