Wie ein sehr persönliches Parfum
Das Vibrato
Das Vibrieren eines Tones, das mit der Stimme, sowie auf Saiten- und Blasinstrumenten erzeugt werden kann, ist für viele der Inbegriff eines schönen Tons. Andererseits: Nichts kann so stören wie das eiernde Vibrato alternder Operettensoubretten.
8. April 2017, 21:58
Einerseits: Das Vibrato ist wohl die "via regia" zwischen der Seele und dem Instrument von Musikerinnen und Musikern. Dieses leichte Zittern oder Vibrieren eines Tones, das mit der Stimme, sowie auf Saiten- und Blasinstrumenten erzeugt werden kann, ist für viele Musikbegeisterte der Inbegriff eines schönen Tons.
Es handelt sich dabei um periodische leichte Tonhöhenschwankungen im Bereich von vier bis sechs Hertz, was in etwa einem Viertelton entspricht. Ein Vibrato kann als ein Einfärben von Tönen betrachtet werden, es vermag unzählige Farbschattierungen und Emotionen hervorzurufen: Kraft oder Spannung, Aufregung, Sanftheit, Strömen oder Schweben. Das schimmernde Vibrato von Fritz Wunderlich mit all seiner natürlichen Schönheit löst wohl bei vielen Zuhörern wohlige Gefühle aus. Ein spätromantisches Cellostück, das mit einem schönen und nuancierten Vibrato gespielt wird, geht mir mehr zu Herzen als wenn ich nur "gerade" Töne höre.
Schlechte Intonation kaschiert
Andererseits: Nichts kann mich so sehr in die Flucht treiben wie das eiernde Vibrato alternder Operettensoubretten oder das übertrieben schmalzige Spiel eines Geigers unter "Dauerstrom". Und dann kann das Vibrieren natürlich auch von Sängerinnen und Sängern beziehungsweise Instrumentalistinnen und Instrumentalisten dazu missbraucht werden, eine schlechte Intonation zu kaschieren.
Den Zuhörern wird das Motto präsentiert: "Suchen Sie sich eine Tonhöhe aus, die Ihnen zusagt!" Was natürlich der ursprünglichen Intention dieser Verzierung (nicht Verschleierung) einer Note widerspricht. Die Musikerkollegin Agnes Heginger hat einmal gesagt, dass für sie das Vibrato so etwas wie ein sehr persönliches Parfum sei. Dieses Duftwässerchen kann den Träger oder die Trägerin noch sinnlicher und geheimnisvoller wirken lassen. Ein aufdringliches und billiges, vielleicht sogar übel riechendes "Eau de toilette" wird dagegen viele in die Flucht schlagen.
Begriffsbestimmung
Der Begriff selbst tauchte zum ersten Mal im 17. Jahrhundert auf und wurde für verschiedene Arten der Verzierung und Ausschmückung eines Tones verwendet.
Zu beachten ist, dass die Terminologie des Vibrato nicht einheitlich gehandhabt wurde. Vor allem in der älteren Literatur ist die Abgrenzung des Vibratos zum Tremolo, das eigentlich die periodische Schwankung der Lautstärke bezeichnet, nicht vorhanden. Und es wurde in älteren Notentexten eigentlich nie gefordert oder notiert. Und diese Tatsache bietet den Raum für verschiedenste Spekulationen und zum Teil heftige Streitereien unter Musikexperten: Mit wie viel Vibrato soll oder darf musiziert werden? Das durchgängige Vibrieren mancher Sänger und Instrumentalisten ist besonders Anhängern der historischen Aufführungspraxis ein Gräuel. Sie argumentieren, dass beispielsweise im Barock Noten nur sehr selten anvibriert wurden und preisen den "reinen" Ton.
Komplizierte Quellenlage
Nur: Wir wissen nicht wirklich, wie im Barock gesungen und musiziert wurde. Es gibt verschiedene Quellen, und deren Aussagen gehen keineswegs alle in die gleiche Richtung. Es ist alles sehr kompliziert, hätte ein kürzlich verstorbener österreichischer Bundeskanzler gesagt. Das generelle Vibrieren der Streicher im Orchester dürfte aber wahrscheinlich eine Erfindung des 20. Jahrhunderts sein.
Und hier haben unerbittliche Klangforscher wie Nikolaus Harnoncourt dafür gesorgt, dass ein Bachoratorium heutzutage kaum mehr von einem Orchester mit einer spätromantischen Klangvorstellung interpretiert wird, was in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts durchaus üblich war. In der "Neuen Musik" ist das Dauervibrato ohnehin eher verpönt. Doch wie viel oder wie wenig "Parfum" in welchem musikalischen Stil letztendlich verwendet werden soll, das bleibt eine Geschmacksfrage.
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 19. Jänner bis Donnerstag, 22. Jänner 2009, 9:45 Uhr