Über die Unmöglichkeit des Miteinander

Die Spur der Gewalt

Alle vier schreiben hebräisch, alle vier schreiben über "Das Verheißene Land", alle vier beschäftigen sich mit dem allgegenwärtigen Thema Gewalt: Yiftach Ashkenazy, Etgar Keret, Itamar Levy und Shin Shalom. Vier israelische Autoren aus verschiedenen Generationen.

Vier Autoren, vier Generationen, vier Mal Israel. Der Jüngste, Yiftach Ashkenazy, wurde 1980 im Norden Israels geboren, in der kleinen Stadt Karmiel. Der Älteste stammt aus Polen, aus der Gegend von Lublin: 1904 erblickte Shin Shalom das Licht dieser Welt.

Die andern beiden stammen aus Tel Aviv: Itamar Levy, Jahrgang 1956, schreibt noch immer, wenn er nicht gerade Bücher sucht, und betreibt in Zarufa, ca. 25 km südlich von Haifa, eine Buchhandlung. Und Etgar Keret, Jahrgang 1967, gehört zu den international renommierten Regisseuren seines Landes. Alle vier haben in der einen oder anderen Weise Gewalt erfahren.

Ein anderes, unerwartetes Leben

Shin Shalom zum Beispiel. Er hieß eigentlich Shalom Joseph Shapira, und er war siebzehn, als er seine polnische Heimat verließ, um den großen Traum wahr werden zu lassen: in Erez Israel zu leben, in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten, von eigener Hände Arbeit, in Frieden und nahe von Jerusalem. Seine neue Heimat fand er am südöstlichen Ufer des Sees Genezareth, in einem der ältesten Kibbuzim, in Kinneret.

Dass sein neues Leben nicht leicht sein würde, war ihm klar. Nicht klar war ihm jedoch, wie rigoros sich die Kibbuzniks gegen die "Anderen" abschotten würden. Und dass die Idee der friedlichen Koexistenz nicht zu verwirklichen ist. Acht Jahre blieb er in Kinneret, dann ging er vorübergehend nach Deutschland, um dort zu studieren und zu unterrichten.

Die Kluft zwischen Arabern und Juden

In der neuen Sprache scheint er sich schneller zurecht gefunden zu haben als im neuen Leben: Shin Shalom schrieb Gedichte, er übersetzte eine Reihe von Klassikern der Literatur - für seine Version der Shakespeare’schen Sonette wurde er sogar ausgezeichnet. Ende der 1940er Jahre schrieb er an seinem Galiläischen Tagebuch, in dem er vieles Selbsterlebtes mit einfließen ließ: das Leben im Kibbuz, die Gemeinschaft, die dauernden Auseinandersetzungen mit den arabischen Nachbarn, die Hilflosigkeit angesichts der Gewaltbereitschaft von beiden Seiten, und schließlich die Intoleranz, die Unmöglichkeit, eine Liebe zwischen einem israelischen Lehrer und einer jungen Araberin zuzulassen.

Auch Itamar Levy, eine, eigentlich zwei Generationen später, setzt sich mit der Kluft zwischen Arabern und Juden auseinander. Er erzählt von einem Zwölfjährigen, der gerne lernen will, aber nicht darf, der in die Schule gehen will, aber nicht kann, weil das israelische Militär alle Schulen im Dorf und in der Umgebung geschlossen hat. So bringt sich der Junge mit Hilfe der Hefte seines großen Bruders selber das Lesen und Schreiben bei, übt unverdrossen und erzählt nebenbei die Geschichte seiner Familie. Erzählt vom Mord an seinem Vater, von der Ausgangssperre, vom Protest und vom Steine werfen.

Dieses erste Buch über die Intifada, 1991 in Israel erschienen, spürt auf einfühlsame Weise den Wurzeln der Gewalt nach. Im wirklichen Leben hat sich Itamar Levy auch aufs Nach- und Aufspüren verlegt: er ist zum begehrten Buchfinder geworden.

Geschichten über das Unmögliche

Die Kurzgeschichten von Etgar Keret haben ein wenig mit denen von Ephraim Kishon zu tun. Auch Keret kondensiert das reale Leben zu wenigen Seiten, über die man lachen kann. Zumindest manchmal, denn Kerets Geschichten werden immer bitterer. Sie handeln von der Unmöglichkeit. Jeglicher Unmöglichkeit, aber vor allem der des friedlichen (Zusammen-) Lebens.

Da wäre zum Beispiel die Geschichte von der israelischen Ehefrau, die heimlich eine Garagen-Tankstelle betreibt - mit einem Palästinenser als Partner. Eine der älteren Geschichten. Oder die Geschichte vom Hund, der erschossen wird, weil er alle außer seinem Herrchen beißt. Irgendwie hat er den finalen Schuss aber überlebt und kriecht zu seinem Herrchen zurück. Jetzt kann er nicht mehr beißen – obwohl er es immer noch versucht.

Eine jüngere Geschichte, richtig. Wie er diese Geschichten findet? "Man muss nur aus dem Fenster sehen”, sagte er in einem Interview, "dann fallen einem derartige Geschichten ein. Wir brauchen kein Reality-TV, in Israel muss man nur aus dem Fenster sehen, dann sieht man all den Irrsinn, der draußen geschieht."

Bitter und gewalttätig

Und zu guter letzt der Jüngste und sprachlich und inhaltlich gesehen der Gewalttätigste der Vier: Yiftach Ashkenazy. Autobiographisch nannte er seinen ersten Roman "Die Geschichte vom Tod meiner Stadt", der eigentlich nur Gedankensplitter und einzelne Episoden, erlebt und gedacht von verschiedenen Personen, aneinander reiht.

Konsequenterweise ist Ashkenazy umgestiegen: in seinem zweiten Buch "Mein erster Krieg" veröffentlichte er eine Reihe von Kurzgeschichten, bitterer und gewalttätiger als sein Kollege Keret sie bislang erfinden konnte.

Hör-Tipp
Terra incognita, Donnerstag, 22. Jänner 2009, 11:40 Uhr

Buch-Tipps
Shin Shalom, "Galiläisches Tagebuch", Schönbach Verlag 1990

Itamar Levy, "Buchstaben von der Sonne, Buchstaben vom Mond", Suhrkamp 1997

Etgar Keret, "Mond im Sonderangebot", Luchterhand 2003

Yiftach Ashkenazy, "Die Geschichte vom Tod meiner Stadt", Luchterhand 2007

Links
Neue Zürcher Zeitung - Artikel über Itamar Levy
Ther Guardian - Artikel über Etgar Keret