Ein fast unbemerkter Abgang

Christine von Kohl gestorben

Am 23. Jänner ist in Wien die Journalistin und hochgeschätzte Balkanexpertin Christine von Kohl im Alter von 86 Jahren verstorben. Ihre große, jahrzehntelange Erfahrung als Journalistin hat Frau von Kohl mit vielen ausgezeichneten Büchern über die Region gekrönt.

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet ist Christine von Kohl am Freitag, 23. Jänner 2009, in Wien im Alter von 86 Jahren gestorben. Einzig die österreichische Nachrichtenagentur APA hat von ihrem Ableben Notiz genommen.

Die gebürtige Dänin, aufgewachsen in Berlin, kam 1960 erstmals als Auslandskorrespondentin nach Österreich. Von 1968 bis 1985 lebte sie in Belgrad, von wo sie für mehrere Medien wie "Die Presse", die "Neue Zürcher Zeitung", die "Deutsche Welle", den "Deutschlandfunk" und den "Hessischen Rundfunk", sowie diverse skandinavische Medien tätig war.

Nach Wien zurückgekehrt, arbeitete sie von 1990 bis 1994 für die "Helsinki Föderation für Menschenrechte" als Beraterin für Balkan-Fragen und gründete den "Verein der Flüchtlinge und Vertriebenen aus Bosnien-Herzegowina in Österreich" und das "Kulturni Centar".

Christine von Kohl war eine in der Öffentlichkeit und in den Medien sehr präsente Person. Sie war eine europaweit anerkannte Balkanexpertin. Während dem Krieg (1991-1999), der zum Zerfall von Jugoslawien führte, war ihre Stimme eine von den wichtigsten und verlässlichsten Informationsquellen, wenn es um Geschehnisse in diesem heiklen Raum ging.

Stabilität oder Chaos in Europa

Christine von Kohl gehörte zur - immer seltener werdenden und nicht gerade beliebten - journalistischen Gattung engagierter Journalistinnen und Journalisten. Sie verstand ihre Arbeit nicht als das bloße Sammeln von Ereignissen und als Beschreibung des oberflächlich Sicht- und Hörbaren.

Sie stand immer auf der Seite der Opfer, unabhängig davon, wer das war, und versuchte, die Untaten der Öffentlichkeit zu berichten. Christine von Kohl wollte die Menschen in Süd-Osteuropa aktiv unterstützen und ihnen helfen. Sie galt als eine äußerst leidenschaftliche Menschenrechtlerin.

Um die weit verbreitete Ignoranz einem geschichtlich und politisch so aufgeladenen Gebiet wie dem Balkan gegenüber zu mindern, veröffentlichte sie Bücher, die Süd-Osteuropa den Menschen im Rest der Welt näher bringen sollten. 1990 erschien das Buch "Jugoslawien". 1992 schrieb sie gemeinsam mit ihrem, vor einem Jahr verstorbenen, Mann, Wolfgang Libal, "Kosovo: Gordischer Knoten am Balkan". Mit Libal, der selbst einer der besten Kenner Süd-Osteuropas war, schrieb Christine von Kohl im Jahr 2000 das Buch mit dem für die Region symptomatischen Titel "Der Balkan: Stabilität oder Chaos in Europa".

Ihre Zeitschrift "Balkan" hat sich sehr rasch einen Namen bei allen gemacht, die sich mit diesem Teil von Europa beschäftigten. Christine von Kohl beharrte hartnäckig auf der nicht so populären Bezeichnung "Balkan", anstatt das politisch korrekte "Süd-Osteuropa" zu verwenden.

Eine "unangenehme" Persönlichkeit
Ihre Beharrlichkeit und ihr Mangel an Kompromissbereitschaft, wenn es um die Verletzung der Menschenrechte geht, trug ihr viele Feinde von allen Seiten ein. Ihre Deutlichkeit nervte und beunruhigte Laissez-faire-Politiker und Befürworter einer Nicht-Einmischungspolitik (nicht nur auf dem Balkan). Alles in allem war sie für viele eine unangenehme Persönlichkeit. Für diejenigen aber, die in Süd-Osteuropa ehrlich etwas in Richtung Demokratisierung bewegen wollten und noch immer wollen, war Christine von Kohl eine zuverlässige Partnerin.

Ihr letztes Buch, "Eine Dänin am Balkan", ist im März 2008 erschienen. Das ist auch ein Beweis, wie stark sie mit dem Balkan verbunden war. Im APA-Bericht zu ihrem Tod kann man lesen: "Bis zuletzt war ihr der Balkan ein Anliegen: Es ist noch viel zu tun!" Über Christine von Kohl und den Balkan könnte man nur schwer etwas Passenderes sagen.

Buch-Tipps
Christine von Kohl, "Jugoslawien", C.H. Beck Verlag, 1990

Christine von Kohl, "Balkan-Europäischer Kulturraum", Picus Verlag, 2005

Christine von Kohl, "Albanien", C.H. Beck Verlag, 2003

Christine von Kohl, "Eine Dänin am Balkan. Zwischen Kosova und Brüssel", Wieser Verlag, 2008

Wolfgang Libal und Christine von Kohl, "Der Balkan", Europa Verlag Hamburg, 2000

Wolfgang Libal und Christine von Kohl, "Kosovo: Gordischer Knoten des Balkan", Europa-Verlag (1992)

Links
Wieser Verlag - Eine Dänin am Balkan
Center for European Integration Strategies