Wort und Musik

Kontra-Punkt

In der Literatur wird die Musikalität eines Textes zum Qualitätskriterium. Denn der Aufbau, der Rhythmus, der Einsatz von Wiederholungen und Variationen sind den Literaten ebenso selbstverständlich wie den Komponisten.

Ernst Jandl und Christian Muthspiel

Die Verbindung von Wort und Musik spiegelt sich in Begriffen wie Wortmelodie oder Satzrhythmus wider. In der Literatur wird die Musikalität eines Textes zum Qualitätskriterium, denn der Aufbau, der Rhythmus, der Einsatz von Wiederholungen und Variationen sind den Literatinnen und Literaten ebenso selbstverständlich wie den Komponistinnen und Komponisten.

Für die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann führt eine Spur von der einen zur anderen Kunst, wenn sie in ihrem Essay "Musik und Dichtung" 1959 schreibt: "Es gibt ein Wort von Hölderlin, das heißt, dass der Geist sich nur rhythmisch ausdrücken könne." Musik und Dichtung haben für Ingeborg Bachmann "eine Gangart des Geistes. Sie haben Rhythmus, in dem ersten, dem Gestalt gebenden Sinn. Darum vermögen sie einander zu erkennen. Darum ist da eine Spur."

Ordnung und chaosträchtige Wider-Vernunft

Als "dämonisches Gebiet" bezeichnet Thomas Mann die Musik in seinem Vortrag "Deutschland und die Deutschen", den er 1945 in der Library of Congress in Washington hielt. Er bedauerte, dass Johann Wolfgang von Goethe in seinem Drama "Faust" die Musik aussparte. Thomas Mann: "Sie ist christliche Kunst mit negativem Vorzeichen. Sie ist berechnetste Ordnung und chaosträchtige Wider-Vernunft zugleich, die der Wirklichkeit fernste und zugleich passionierteste der Künste, abstrakt und mythisch."

Folgerichtig machte Thomas Mann seinen Dr. Faustus zum Komponisten. Doch sein Protagonist Adrian Leverkühn komponiert nicht im Geiste der deutschen Romantik: Er schreibt Zwölftonmusik. "Thomas Mann verwendet hier die Zwölftonmusik als Parabel für den Nationalsozialismus", sagt der Burgtheaterdramaturg Sebastian Huber, "und zwar ganz gegen die historische Zuordnung, denn diese Musik wurde von den Nationalsozialisten als 'entartet' eingestuft. Doch für Thomas Mann repräsentierte die Zwölftonmusik eine Allmachtsfantasie. Das ließ ihn zu dieser Analogie greifen." Arnold Schönberg protestierte gegen den Roman "Dr. Faustus" aufs Heftigste.

Musikalischer Dialog mit Jandls Stimme

"Him hanfang war das wort". Dieses lautmalerische Zitat der Botschaft aus dem Evangelium nach Johannes setzt der Poet Ernst Jandl an den Beginn seines Sprechgedichtes "Fortschreitende Räude". Der Musiker und Komponist Christian Muthspiel greift dieses und weitere 19 Gedichte Jandls auf. In dem vielstimmigen Solo "für und mit ernst" (2008 als CD bei Universal erschienen) tritt Muthspiel mit vielfältigem akustischen und elektronischem Instrumentarium mit Jandls Stimme in einen Dialog. Seine Musik fragt und antwortet, erzählt und widerspricht, konterkariert und trägt.

Der Debatte "prima la musica, poi le parole" also: "Wer hat den Vorrang - die Musik oder das Wort?", fügt Christian Muthspiel ein neues Element hinzu, denn hier treten zwei gleichberechtigte Partner in einen Diskurs. Jandls Sprechgedichte, die erst durch lautes Lesen wirksam sind, steigern sich durch die Wirkung der Musik. Der imaginäre Dialog zwischen dem Schriftsteller und dem Komponisten wird zu einem Sprach- und Sprechkonzert zweier Soloperformer.

Christian Muthspiel: "Für mich gibt es hier zwei Ebenen: Ernst Jandl, den Lyriker, und Ernst Jandl, den Performer. Jandl hat auch beim Schreiben rhythmisch gedacht, er hat sängerisch gedacht. Diese körperlich-rhythmische Arbeit bietet sich an, vertont zu werden. Doch als Musiker durfte ich keine Kalauer daraus machen und Jandls Arbeit verdoppeln. Ich musste mit dem Text etwas dagegensetzen. Darum: für und mit ernst."

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Christian Muthspiel, Ernst Jandl, "für und mit ernst", Universal Music